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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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zurückschrickt, sie vielmehr durch seine Organe, die nautischen Vereine, selbst
zuerst und am lautesten fordert, -- mit bemerkenswerther Einstimmigkeit für
geradezu unleidlich. Nicht unterstützt von seemännischer Sachkunde, würden
die gewöhnlichen Strafgerichtshöfe nur mit äußerster Unsicherheit über die
Schuldfrage entscheiden können und ihre Sprüche könnten sich des Vertrauens der
Meistbetheiligtm auf ihre wohlerwogene Gerechtigkeit nicht erfreuen. Daran
würde auch die Zuziehung von Sachverständigen im gegebenen Falle wenig
ändern. Es handelt sich hier nicht blos, wie wenn der Gerichtschemiker
eine Leiche auf Arsenik oder Cyankali untersucht, um objective Thatsachen.
Es handelt sich um die Frage, ob Anordnung oder Unterlassung eines be¬
stimmten Manövers mit dem Schiffe Schuld involvire oder nicht; eine Frage,
die nur der Sachkenner befriedigend beantworten kann, sodaß hier auf die
Sachverständigenaussage sich das ganze Erkenntniß zu stützen hätte, nicht auf
des Richters eigenes Urtheil. Das aber ist eine trügerische Grundlage, denn
der blos auskunftsweise befragte Experte spricht niemals unter der Verant¬
wortlichkeit, welche der entscheidende oder mitentscheidende Richter fühlt, und
wird in den Fällen, auf die es hier vorzüglich ankommt, stets eher geneigt
sein, einem Standesgenossen durchzuhelfen, als die nackte subjective Wahrheit
auf alle Gefahr hin auszusprechen. Man muß ihn zum Mitgliede des Ge¬
richtshofes machen, wenn man im Interesse der Gerechtigkeit und des all¬
gemeinen Zweckes des Gesetzes von seiner Sachkunde den entsprechenden
Nutzen haben will.

Der deutsche nautische Verein hat demgemäß schon auf seiner ersten all¬
gemeinen Versammlung zu Berlin, im Frühjahr 1868, Seegerichte gefordert
und schickt sich nun an, auf dem dritten, ebenfalls zu Berlin im nächsten Fe¬
bruar abzuhaltenden Tage diese Forderung etwas näher auszuführen. Man wird
voraussichtlich verlangen, daß die Seegerichte aus einem rechtsgelehrten Vorsitzer
und seemännischen Beisitzern bestehen, nach dem Vorgang der Handelsgerichte, --
daß die Beisitzer Capitäne von der Handelsmarine seien, nicht von der Kriegs¬
flotte, auf der man schon wegen des regelmäßigen Ueberflusses an Mann¬
schaft die Lage an Bord eines Kauffahrteischiffes nicht völlig würdigen lernt,
-- und daß sie fest angestellt, nicht von Fall zu Fall oder auf kürzere Zeit
wie die Kaufleute zu den Handelsgerichten zugezogen werden. Dieser letztere
Anspruch rechtfertigt sich theils durch die eigenthümlichen Erwerbsverhältnisse
der Capitäne, theils aus der Natur der Sache. Der rasche Wechsel in den
Personen der kaufmännischen Beisitzer gereicht den Handelsgerichten nicht zum
Vortheil und erklärt manche gegen sie noch vorhandene Eingenommenheit
unter den Juristen. Mangel an Beschäftigung werden die zu Richtern er¬
korenen Seeleute nicht verspüren, wenn man nicht zu viele Seegerichte bildet, --
wenn z. B. je eines für die Nordsee (in Hamburg) und für die Ostsee (in


zurückschrickt, sie vielmehr durch seine Organe, die nautischen Vereine, selbst
zuerst und am lautesten fordert, — mit bemerkenswerther Einstimmigkeit für
geradezu unleidlich. Nicht unterstützt von seemännischer Sachkunde, würden
die gewöhnlichen Strafgerichtshöfe nur mit äußerster Unsicherheit über die
Schuldfrage entscheiden können und ihre Sprüche könnten sich des Vertrauens der
Meistbetheiligtm auf ihre wohlerwogene Gerechtigkeit nicht erfreuen. Daran
würde auch die Zuziehung von Sachverständigen im gegebenen Falle wenig
ändern. Es handelt sich hier nicht blos, wie wenn der Gerichtschemiker
eine Leiche auf Arsenik oder Cyankali untersucht, um objective Thatsachen.
Es handelt sich um die Frage, ob Anordnung oder Unterlassung eines be¬
stimmten Manövers mit dem Schiffe Schuld involvire oder nicht; eine Frage,
die nur der Sachkenner befriedigend beantworten kann, sodaß hier auf die
Sachverständigenaussage sich das ganze Erkenntniß zu stützen hätte, nicht auf
des Richters eigenes Urtheil. Das aber ist eine trügerische Grundlage, denn
der blos auskunftsweise befragte Experte spricht niemals unter der Verant¬
wortlichkeit, welche der entscheidende oder mitentscheidende Richter fühlt, und
wird in den Fällen, auf die es hier vorzüglich ankommt, stets eher geneigt
sein, einem Standesgenossen durchzuhelfen, als die nackte subjective Wahrheit
auf alle Gefahr hin auszusprechen. Man muß ihn zum Mitgliede des Ge¬
richtshofes machen, wenn man im Interesse der Gerechtigkeit und des all¬
gemeinen Zweckes des Gesetzes von seiner Sachkunde den entsprechenden
Nutzen haben will.

Der deutsche nautische Verein hat demgemäß schon auf seiner ersten all¬
gemeinen Versammlung zu Berlin, im Frühjahr 1868, Seegerichte gefordert
und schickt sich nun an, auf dem dritten, ebenfalls zu Berlin im nächsten Fe¬
bruar abzuhaltenden Tage diese Forderung etwas näher auszuführen. Man wird
voraussichtlich verlangen, daß die Seegerichte aus einem rechtsgelehrten Vorsitzer
und seemännischen Beisitzern bestehen, nach dem Vorgang der Handelsgerichte, —
daß die Beisitzer Capitäne von der Handelsmarine seien, nicht von der Kriegs¬
flotte, auf der man schon wegen des regelmäßigen Ueberflusses an Mann¬
schaft die Lage an Bord eines Kauffahrteischiffes nicht völlig würdigen lernt,
— und daß sie fest angestellt, nicht von Fall zu Fall oder auf kürzere Zeit
wie die Kaufleute zu den Handelsgerichten zugezogen werden. Dieser letztere
Anspruch rechtfertigt sich theils durch die eigenthümlichen Erwerbsverhältnisse
der Capitäne, theils aus der Natur der Sache. Der rasche Wechsel in den
Personen der kaufmännischen Beisitzer gereicht den Handelsgerichten nicht zum
Vortheil und erklärt manche gegen sie noch vorhandene Eingenommenheit
unter den Juristen. Mangel an Beschäftigung werden die zu Richtern er¬
korenen Seeleute nicht verspüren, wenn man nicht zu viele Seegerichte bildet, —
wenn z. B. je eines für die Nordsee (in Hamburg) und für die Ostsee (in


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[0511] zurückschrickt, sie vielmehr durch seine Organe, die nautischen Vereine, selbst zuerst und am lautesten fordert, — mit bemerkenswerther Einstimmigkeit für geradezu unleidlich. Nicht unterstützt von seemännischer Sachkunde, würden die gewöhnlichen Strafgerichtshöfe nur mit äußerster Unsicherheit über die Schuldfrage entscheiden können und ihre Sprüche könnten sich des Vertrauens der Meistbetheiligtm auf ihre wohlerwogene Gerechtigkeit nicht erfreuen. Daran würde auch die Zuziehung von Sachverständigen im gegebenen Falle wenig ändern. Es handelt sich hier nicht blos, wie wenn der Gerichtschemiker eine Leiche auf Arsenik oder Cyankali untersucht, um objective Thatsachen. Es handelt sich um die Frage, ob Anordnung oder Unterlassung eines be¬ stimmten Manövers mit dem Schiffe Schuld involvire oder nicht; eine Frage, die nur der Sachkenner befriedigend beantworten kann, sodaß hier auf die Sachverständigenaussage sich das ganze Erkenntniß zu stützen hätte, nicht auf des Richters eigenes Urtheil. Das aber ist eine trügerische Grundlage, denn der blos auskunftsweise befragte Experte spricht niemals unter der Verant¬ wortlichkeit, welche der entscheidende oder mitentscheidende Richter fühlt, und wird in den Fällen, auf die es hier vorzüglich ankommt, stets eher geneigt sein, einem Standesgenossen durchzuhelfen, als die nackte subjective Wahrheit auf alle Gefahr hin auszusprechen. Man muß ihn zum Mitgliede des Ge¬ richtshofes machen, wenn man im Interesse der Gerechtigkeit und des all¬ gemeinen Zweckes des Gesetzes von seiner Sachkunde den entsprechenden Nutzen haben will. Der deutsche nautische Verein hat demgemäß schon auf seiner ersten all¬ gemeinen Versammlung zu Berlin, im Frühjahr 1868, Seegerichte gefordert und schickt sich nun an, auf dem dritten, ebenfalls zu Berlin im nächsten Fe¬ bruar abzuhaltenden Tage diese Forderung etwas näher auszuführen. Man wird voraussichtlich verlangen, daß die Seegerichte aus einem rechtsgelehrten Vorsitzer und seemännischen Beisitzern bestehen, nach dem Vorgang der Handelsgerichte, — daß die Beisitzer Capitäne von der Handelsmarine seien, nicht von der Kriegs¬ flotte, auf der man schon wegen des regelmäßigen Ueberflusses an Mann¬ schaft die Lage an Bord eines Kauffahrteischiffes nicht völlig würdigen lernt, — und daß sie fest angestellt, nicht von Fall zu Fall oder auf kürzere Zeit wie die Kaufleute zu den Handelsgerichten zugezogen werden. Dieser letztere Anspruch rechtfertigt sich theils durch die eigenthümlichen Erwerbsverhältnisse der Capitäne, theils aus der Natur der Sache. Der rasche Wechsel in den Personen der kaufmännischen Beisitzer gereicht den Handelsgerichten nicht zum Vortheil und erklärt manche gegen sie noch vorhandene Eingenommenheit unter den Juristen. Mangel an Beschäftigung werden die zu Richtern er¬ korenen Seeleute nicht verspüren, wenn man nicht zu viele Seegerichte bildet, — wenn z. B. je eines für die Nordsee (in Hamburg) und für die Ostsee (in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/511>, abgerufen am 26.05.2024.