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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Hält man diesen Gesichtspunkt fest im Auge, so entscheidet sich auch wie
von selbst die Frage nach den politischen Rechten der Frauen. speciell nach
ihrem Stimmrecht, auf das Mill so großen Werth legt, daß er bei der
letzten englischen Reformbill vorschlug, anstatt "Männer" "Personen" in das
Gesetz zu setzen. So weit es sich um den normalen Zustand, nämlich um ver¬
heiratete Frauen handelt, müssen wir sagen, daß ihnen das Stimmrecht
zu geben nur zweierlei bedeuten könnte, entweder (was meist der Fall sein
würde) ihren Gatten zwei Stimmen zu geben, oder Unfrieden in die Ehe
zu bringen. Gemeiniglich wird der Fall so stehen, daß, was auch die Diffe¬
renzen innerhalb der Familie sein mögen, die Frau nach außen unbedingt
gegen die Gegner des Mannes Front machen wird, schon weil sie weiß,
daß der gemeinsame Ausdruck des Willens beider dem Hause ein ganz anderes
Ansehen sichert; sie hat ihre Familie aufgegeben, um der Ausgangspunkt
einer neuen zu werden, wie könnte sie geneigt sein diese selbst zu erschüttern?
Und wie könnte es die Absicht des Gesetzes sein dürfen, sie dazu bewegen zu
wollen? Jedermann, der mit offenem Auge durch die Welt geht, weiß, wie
manche Ehe durch Verschiedenheit der religiösen Auffassungen getrübt wird.
Das läßt sich nicht ändern, denn in Gewissenssachen soll man Gott mehr ge¬
horchen als den Menschen, aber sollte der Staat unnöthig einen neuen
Erisapfel in das eheliche Leben werfen, indem er den Frauen politisches
Stimmrecht gibt?

Die Wahrheit zu sagen, liegt die ganze Sphäre der Mill'schen Dis-
cussion nicht in dem ehelichen Leben, welches den normalen Zustand des
Weibes bildet, obwohl er beständig davon spricht; das Weib, das ihm vor¬
schwebt, ist vielmehr das unvermählte oder die Wittwe und die Lage beider
ist allerdings eine ganz andere, für sie haben die Fragen, welche Mill an¬
regt, in der That eine hervorragende Bedeutung.

Es ist statistisch constatut. daß obwohl durchschnittlich mehr Knaben als
Mädchen geboren werden, dies mehr als ausgeglichen wird durch die größere
Sterblichkeit des männlichen Geschlechts. Einmal unterliegen Knaben in den
ersten Lebensjahren aus ärztlich noch nicht hinreichend aufgeklärten Gründen
mehr als Mädchen den Kinderkrankheiten und Seuchen; sie scheinen aus sprö¬
deren Stoff gebildet. Sodann erreicht die weibliche Bevölkerung durchschnittlich
ein höheres Alter, als die männliche, weil der letzteren alle gefährlicheren
Berufsarten zufallen, namentlich See- und Kriegsdienste, wogegen die
Todesfälle bei Wochenbetten kaum in Betracht kommen; man erwäge nur.
daß die Feldzüge in der Krimm. Italien und Mexiko Frankreich mehr als
eine halbe Million rüstiger Männer gekostet haben. Dieser Ueberschuß der
weiblichen Bevölkerung ist also zur Ehelosigkeit oder Wittwerschaft ver¬
urtheilt und bei der Vertheilung des Reichthums, welche wir überhaupt finden,


Hält man diesen Gesichtspunkt fest im Auge, so entscheidet sich auch wie
von selbst die Frage nach den politischen Rechten der Frauen. speciell nach
ihrem Stimmrecht, auf das Mill so großen Werth legt, daß er bei der
letzten englischen Reformbill vorschlug, anstatt „Männer" „Personen" in das
Gesetz zu setzen. So weit es sich um den normalen Zustand, nämlich um ver¬
heiratete Frauen handelt, müssen wir sagen, daß ihnen das Stimmrecht
zu geben nur zweierlei bedeuten könnte, entweder (was meist der Fall sein
würde) ihren Gatten zwei Stimmen zu geben, oder Unfrieden in die Ehe
zu bringen. Gemeiniglich wird der Fall so stehen, daß, was auch die Diffe¬
renzen innerhalb der Familie sein mögen, die Frau nach außen unbedingt
gegen die Gegner des Mannes Front machen wird, schon weil sie weiß,
daß der gemeinsame Ausdruck des Willens beider dem Hause ein ganz anderes
Ansehen sichert; sie hat ihre Familie aufgegeben, um der Ausgangspunkt
einer neuen zu werden, wie könnte sie geneigt sein diese selbst zu erschüttern?
Und wie könnte es die Absicht des Gesetzes sein dürfen, sie dazu bewegen zu
wollen? Jedermann, der mit offenem Auge durch die Welt geht, weiß, wie
manche Ehe durch Verschiedenheit der religiösen Auffassungen getrübt wird.
Das läßt sich nicht ändern, denn in Gewissenssachen soll man Gott mehr ge¬
horchen als den Menschen, aber sollte der Staat unnöthig einen neuen
Erisapfel in das eheliche Leben werfen, indem er den Frauen politisches
Stimmrecht gibt?

Die Wahrheit zu sagen, liegt die ganze Sphäre der Mill'schen Dis-
cussion nicht in dem ehelichen Leben, welches den normalen Zustand des
Weibes bildet, obwohl er beständig davon spricht; das Weib, das ihm vor¬
schwebt, ist vielmehr das unvermählte oder die Wittwe und die Lage beider
ist allerdings eine ganz andere, für sie haben die Fragen, welche Mill an¬
regt, in der That eine hervorragende Bedeutung.

Es ist statistisch constatut. daß obwohl durchschnittlich mehr Knaben als
Mädchen geboren werden, dies mehr als ausgeglichen wird durch die größere
Sterblichkeit des männlichen Geschlechts. Einmal unterliegen Knaben in den
ersten Lebensjahren aus ärztlich noch nicht hinreichend aufgeklärten Gründen
mehr als Mädchen den Kinderkrankheiten und Seuchen; sie scheinen aus sprö¬
deren Stoff gebildet. Sodann erreicht die weibliche Bevölkerung durchschnittlich
ein höheres Alter, als die männliche, weil der letzteren alle gefährlicheren
Berufsarten zufallen, namentlich See- und Kriegsdienste, wogegen die
Todesfälle bei Wochenbetten kaum in Betracht kommen; man erwäge nur.
daß die Feldzüge in der Krimm. Italien und Mexiko Frankreich mehr als
eine halbe Million rüstiger Männer gekostet haben. Dieser Ueberschuß der
weiblichen Bevölkerung ist also zur Ehelosigkeit oder Wittwerschaft ver¬
urtheilt und bei der Vertheilung des Reichthums, welche wir überhaupt finden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/517>, abgerufen am 06.06.2024.