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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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ist wiederum der größte Theil dieser Ehelosen genöthigt, sich selbst eine
Existenz zu gründen. Hier zu helfen und Hindernisse, die sich in Recht und
Sitte noch entgegenstellen, zu beseitigen, ist der Zweck einer berechtigten und
hoffnungsreichen Agitation; der Beruf der Familie sür die Erziehung der
Mädchen scheint sich uns darin zusammenzufassen, daß sie zu Hausfrauen ge¬
bildet werden, denn die Ehe bleibt der Normalstand des Weibes. Aber in
den zahlreichsten Fällen sind die Eltern nicht in der Lage, die Tochter ruhig
auf eine Heirath warten zu lassen, indem sie nur etwa der Mutter bei der
Hausarbeit hilft. Die Mädchen sollen sich selbst etwas verdienen, dasür
müssen ihnen alle Wege geöffnet werden, die nicht mit den berechtigten An¬
forderungen der Sitte und Gesundheit in Widerspruch treten. Daß in
dieser Beziehung bei uns in Deutschland die Schranken noch bei weitem zu
eng gezogen sind, ist oft erörtert worden; aber in Folge der berechtigten Agi¬
tation, namentlich der Vereine zur Förderung der Erwerbsthätigkeit des
weiblichen Geschlechts beginnt bereits die Besserung und Verwendung weib¬
licher Arbeiterinnen in anderen Zweigen, als den bisher hauptsächlich ge¬
kannten der Dienstboten, Lehrerinnen, Erzieherinnen und Fabrikarbeiterinnen.
Eine tüchtige Schule in bürgerlicher Berufsarbeit wird selbst der künstigen
Hausfrau nie schaden, vielmehr sie mehr befähigen, ihrem Mann hilfreich zur
Seite zu stehen. Der Berufskreis der Frauen wird sich in dieser Beziehung
in dem Maße erweitern, als sie die falsche Scham ablegen und vorziehen,
sich in Bureau's, als Gehilfinnen im Post- und Telegraphenfach, in Drucke¬
reien, als Diakonissinnen, selbst als weibliche Aerzte lieber einen auskömm¬
lichen Unterhalt zu erwerben, als sich bei mühsamer Tapisseriearbeit zu Hause
abzumühen, um einen kärglichen Lohn zu ernten. Hat nun ein Mädchen
oder eine Wittwe sich in dieser Weise eine selbständige Lebensstellung ge¬
schaffen und fordert sie dann Theilnahme auch an politischen Rechten, so wüßten
wir kaum, aus welchen Grund hin ihnen dieselbe verweigert werden sollte.
Die durchschlagenden Gründe, welche verbieten, der Ehefrau diesen Antheil
am öffentlichen Leben zu gewähren, treffen hier nicht zu. Die Alleinstehende
ist wahrscheinlich ebenso selbständig als der Arbeiter oder kleine Gewerb-
treibende, wahrscheinlich hat sie einen noch stärkeren Kampf in der Con-
currenz auszuhalten; sie zahlt ihre Steuern wie ein Mann, sie hat in manchen
Dingen vielleicht mehr Erfahrung als das stärkere Geschlecht, z. B. was
Armen- und Erziehungswesen betrifft, sie ist jedenfalls durchschnittlich ebenso
gebildet, als Männer, die auf gleicher socialer Stufe stehen. Also wenn
solche Mädchen und Wittwen fordern, am öffentlichen Leben Theil zu neh¬
men, so wissen wir nicht, mit welchem Rechte man sie zurückweisen will.
Nur gehört allerdings dazu, daß sie diese Theilnahme wirklich fordern, und
es ist bezeichnend, daß gerade solche Frauen, die sich zur gcwnbNchen Selbst


ist wiederum der größte Theil dieser Ehelosen genöthigt, sich selbst eine
Existenz zu gründen. Hier zu helfen und Hindernisse, die sich in Recht und
Sitte noch entgegenstellen, zu beseitigen, ist der Zweck einer berechtigten und
hoffnungsreichen Agitation; der Beruf der Familie sür die Erziehung der
Mädchen scheint sich uns darin zusammenzufassen, daß sie zu Hausfrauen ge¬
bildet werden, denn die Ehe bleibt der Normalstand des Weibes. Aber in
den zahlreichsten Fällen sind die Eltern nicht in der Lage, die Tochter ruhig
auf eine Heirath warten zu lassen, indem sie nur etwa der Mutter bei der
Hausarbeit hilft. Die Mädchen sollen sich selbst etwas verdienen, dasür
müssen ihnen alle Wege geöffnet werden, die nicht mit den berechtigten An¬
forderungen der Sitte und Gesundheit in Widerspruch treten. Daß in
dieser Beziehung bei uns in Deutschland die Schranken noch bei weitem zu
eng gezogen sind, ist oft erörtert worden; aber in Folge der berechtigten Agi¬
tation, namentlich der Vereine zur Förderung der Erwerbsthätigkeit des
weiblichen Geschlechts beginnt bereits die Besserung und Verwendung weib¬
licher Arbeiterinnen in anderen Zweigen, als den bisher hauptsächlich ge¬
kannten der Dienstboten, Lehrerinnen, Erzieherinnen und Fabrikarbeiterinnen.
Eine tüchtige Schule in bürgerlicher Berufsarbeit wird selbst der künstigen
Hausfrau nie schaden, vielmehr sie mehr befähigen, ihrem Mann hilfreich zur
Seite zu stehen. Der Berufskreis der Frauen wird sich in dieser Beziehung
in dem Maße erweitern, als sie die falsche Scham ablegen und vorziehen,
sich in Bureau's, als Gehilfinnen im Post- und Telegraphenfach, in Drucke¬
reien, als Diakonissinnen, selbst als weibliche Aerzte lieber einen auskömm¬
lichen Unterhalt zu erwerben, als sich bei mühsamer Tapisseriearbeit zu Hause
abzumühen, um einen kärglichen Lohn zu ernten. Hat nun ein Mädchen
oder eine Wittwe sich in dieser Weise eine selbständige Lebensstellung ge¬
schaffen und fordert sie dann Theilnahme auch an politischen Rechten, so wüßten
wir kaum, aus welchen Grund hin ihnen dieselbe verweigert werden sollte.
Die durchschlagenden Gründe, welche verbieten, der Ehefrau diesen Antheil
am öffentlichen Leben zu gewähren, treffen hier nicht zu. Die Alleinstehende
ist wahrscheinlich ebenso selbständig als der Arbeiter oder kleine Gewerb-
treibende, wahrscheinlich hat sie einen noch stärkeren Kampf in der Con-
currenz auszuhalten; sie zahlt ihre Steuern wie ein Mann, sie hat in manchen
Dingen vielleicht mehr Erfahrung als das stärkere Geschlecht, z. B. was
Armen- und Erziehungswesen betrifft, sie ist jedenfalls durchschnittlich ebenso
gebildet, als Männer, die auf gleicher socialer Stufe stehen. Also wenn
solche Mädchen und Wittwen fordern, am öffentlichen Leben Theil zu neh¬
men, so wissen wir nicht, mit welchem Rechte man sie zurückweisen will.
Nur gehört allerdings dazu, daß sie diese Theilnahme wirklich fordern, und
es ist bezeichnend, daß gerade solche Frauen, die sich zur gcwnbNchen Selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/518>, abgerufen am 12.05.2024.