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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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die es sich vor allen wendet, warm aufgenommen; es eröffnete ihm für sein
nächstes Werk den Eintritt in die lisvus ach Äsux Nonäes, will sagen, die
Verbreitung in die ersten Lesecabinette der ganzen Erde. Und nicht genug,
daß die Revue nach dem großen Erfolg seines ersten Romanes "Graf
Kostia" ohne Ausnahme alle seine Schriften brachte, von denen er seit 1862
jährlich eine in einem kleinen Bande geliefert; sie hat ihm durch einen ihrer
besten Kritiker, Emile Mont6gut, im Bereich ihrer eigenen Blätter noch ein
besonderes Denkmal setzen lassen. Darnach ließ auch die gesammte übrige
französisch druckende Presse nicht aus sich warten. Sie hat wie in Frankreich,
so in Belgien und der Schweiz fast durchgängig seinen Werken das Lob der
Meisterschaft gespendet.

In seiner Vaterstadt freilich macht man ihm dauernd zum Vorwurf,
wie er trotz seiner Geburt und seiner Familientraditionen weniger Genfer
sei, als irgend einer ihrer jetzigen Autoren, Er hat allerdings nur in einer
einzigen seiner Schriften ausdrücklich die Scene nach Genf verlegt, und
gerade hier hat er bei allen guten Eigenschaften, die er den werthen Mit¬
bürgern läßt, im Ganzen doch ein abschreckendes Bild von der Kleinlichkeit
und Engherzigkeit des dortigen Honoratiorenthums gegeben. Aber das Bild
war treu und es konnte in seiner Objectivität nur heilsam wirken. Und
daß durch seine Schöpfungen immer noch ein gutes Theil heimathlicher Luft
weht, das haben die ächten Franzosen, so warm sie ihm entgegenkamen, doch
immer herauszuerkennen gewußt. Ihm selbst entgeht das nicht, wie er denn
einen seiner Helden einmal sagen läßt: "ich glaube wenig an die Macht der
Reisen; die Ideen, die unsere Jugend liebend hegte und die ersten Regungen unseres
Geistes erfaßten, lassen unvertilgbare Spuren in uns zurück; man kann vorüber¬
gehende Neigungen haben, aber früher oder später kommt man auf die erste Liebe
zurück". So ist bei ihm in der Darstellung oft die wanderlustige, malerische Weise
seines Lehrers und Freundes Töpffer unverkennbar, die Natureindrücke, die
er an den Ufern des heimathlichen Sees empfing, fo mächtig in ihm, daß
er den Leser nicht blos oft ausdrücklich an diese Gestade führt, sondern
überhaupt die Katastrophen aller seiner Romane an kleine Orte, an die sich
der unmittelbare Verkehr mit einer herrlichen und imposanten Natur knüpft,
niemals aber in große Städte verlegt. So ist das kritische Raisonnement,
womit der Genfer jedes philosophische Apercu, jedes religiöse Dogma zu
vergegenständlichen sucht, bei ihm besonders wirksam, nur ist es hier erhöht
zu der künstlerischen Verbindung von Denken und Schauen, die einst Rousseau
zum Meister in der Piosopopöie machte. Vor allem vertritt er die hervor¬
stechendste Eigenschaft seiner Mitbürger, den Kosmopolitismus. Dann, wie
in dem Erstlingswerke, bleibt es auch später durchgängig ein Hauptmittel
feiner Darstellungskunst, auf den höchsten geistigen Gebieten den Austausch


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die es sich vor allen wendet, warm aufgenommen; es eröffnete ihm für sein
nächstes Werk den Eintritt in die lisvus ach Äsux Nonäes, will sagen, die
Verbreitung in die ersten Lesecabinette der ganzen Erde. Und nicht genug,
daß die Revue nach dem großen Erfolg seines ersten Romanes „Graf
Kostia" ohne Ausnahme alle seine Schriften brachte, von denen er seit 1862
jährlich eine in einem kleinen Bande geliefert; sie hat ihm durch einen ihrer
besten Kritiker, Emile Mont6gut, im Bereich ihrer eigenen Blätter noch ein
besonderes Denkmal setzen lassen. Darnach ließ auch die gesammte übrige
französisch druckende Presse nicht aus sich warten. Sie hat wie in Frankreich,
so in Belgien und der Schweiz fast durchgängig seinen Werken das Lob der
Meisterschaft gespendet.

In seiner Vaterstadt freilich macht man ihm dauernd zum Vorwurf,
wie er trotz seiner Geburt und seiner Familientraditionen weniger Genfer
sei, als irgend einer ihrer jetzigen Autoren, Er hat allerdings nur in einer
einzigen seiner Schriften ausdrücklich die Scene nach Genf verlegt, und
gerade hier hat er bei allen guten Eigenschaften, die er den werthen Mit¬
bürgern läßt, im Ganzen doch ein abschreckendes Bild von der Kleinlichkeit
und Engherzigkeit des dortigen Honoratiorenthums gegeben. Aber das Bild
war treu und es konnte in seiner Objectivität nur heilsam wirken. Und
daß durch seine Schöpfungen immer noch ein gutes Theil heimathlicher Luft
weht, das haben die ächten Franzosen, so warm sie ihm entgegenkamen, doch
immer herauszuerkennen gewußt. Ihm selbst entgeht das nicht, wie er denn
einen seiner Helden einmal sagen läßt: „ich glaube wenig an die Macht der
Reisen; die Ideen, die unsere Jugend liebend hegte und die ersten Regungen unseres
Geistes erfaßten, lassen unvertilgbare Spuren in uns zurück; man kann vorüber¬
gehende Neigungen haben, aber früher oder später kommt man auf die erste Liebe
zurück". So ist bei ihm in der Darstellung oft die wanderlustige, malerische Weise
seines Lehrers und Freundes Töpffer unverkennbar, die Natureindrücke, die
er an den Ufern des heimathlichen Sees empfing, fo mächtig in ihm, daß
er den Leser nicht blos oft ausdrücklich an diese Gestade führt, sondern
überhaupt die Katastrophen aller seiner Romane an kleine Orte, an die sich
der unmittelbare Verkehr mit einer herrlichen und imposanten Natur knüpft,
niemals aber in große Städte verlegt. So ist das kritische Raisonnement,
womit der Genfer jedes philosophische Apercu, jedes religiöse Dogma zu
vergegenständlichen sucht, bei ihm besonders wirksam, nur ist es hier erhöht
zu der künstlerischen Verbindung von Denken und Schauen, die einst Rousseau
zum Meister in der Piosopopöie machte. Vor allem vertritt er die hervor¬
stechendste Eigenschaft seiner Mitbürger, den Kosmopolitismus. Dann, wie
in dem Erstlingswerke, bleibt es auch später durchgängig ein Hauptmittel
feiner Darstellungskunst, auf den höchsten geistigen Gebieten den Austausch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/75>, abgerufen am 17.06.2024.