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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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mit Geist als Gründlichkeit an die Lösung eines bedeutenden ästhetisch -
philosophischen Problems in den Gesprächsformen der höchsten gesellschaft¬
lichen Kreise, indem es den mannigfaltigen Gesichtspunkten der Betrachtung,
den philosophischen, kulturhistorischen, poetischen und religionsphilosophischen,
durch Individuen verschiedener Nationalitäten Gestalt gab. Damit hatte er
die Methodik aller seiner Arbeiten gezeichnet. Der Charakter der Antike
aber, wie er ihn hier beschreibt: "die Kraft, die sich kennt und beherrscht, die
Schönheit, die ihrer selbst genießt", wird als das Beste und Köstlichste auf
Erden überhaupt gepriesen und bildet das Grundthema auch seiner modernen
Ethik, das er durch seine Schriften in allen Tonarten zu variiren sucht. Der
kleine Roman endlich, in dem das Ganze verschlungen war, besagte, daß das
Schicksal, wiewohl es allenthalben überraschend und ironisirend eingreift, doch
mit dem klaren Streben des Menschen eben so deutlich im Bunde steht, als
es dem unklaren den Untergang bringt: auch dies ein Glaubensbekenntniß,
dem wir immer wieder begegnen.

Das Buch verleugnete geflissentlich jede schweizerisch particularistische
oder locale Eigenthümlichkeit; es trat vielmehr sofort mit Bewußtsein in die
Reihen der französischen Nationalliteratur ein. und das sollte uns billig nicht
Wunder nehmen. Geister, deren Phantasie und Erfahrung ein weites Be¬
reich umfaßt, haben immer einem großen Ganzen gewidmet, was sie schufen,
nur das Gebiet, soweit die heimathliche Zunge klingt, als ihr Vaterland ge¬
kannt. Für die französisch Dichtenden aber kommt noch das Dogma hinzu,
daß nur in Paris und im Anschluß an seine Weise der mustergiltige Ton
und Stil gefunden wird. Wir kennen keine solche Centralisation, aber auch
uns erscheint es, seit wir zum Bewußtsein gelangt, welch theures, unver¬
gleichliches Band die Sprache ist, nur als das einzig natürliche, daß ferne
Provinzen unter fremdem Scepter, denen ihre deutsche Sprache geblieben ist,
auch in allen Richtungen zum Anschluß an das deutsche Wesen drängen.

Was Cherbuliez betrifft, so hatte er zudem ein verlockendes Vorbild.
Denn von dem größten aller Genfer, an dem er mit innigster Verehrung
hängt, war es ja klar, daß er, auf seine heimathlichen Thäler beschränkt, ohne
seine Theilnahme an der tonangebenden französischen Literatur und im Wett¬
eifer mit ihren glänzendsten Sternen nie der gewaltige Prophet und Refor¬
mator geworden wäre, als den die Nachwelt ihn feiert. Einen Platz in
dieser Literatur zu verdienen, hatte denn auch unser Autor durch sorgfältiges
Studium angestrebt, und dies verhalf ihm zu einer Würdigung ihrer classischen
Poesie, wie sie selbst in Frankreich nichts Gewöhnliches ist. während wir
andrerseits kaum irgend einen Schriftsteller wüßten, dem jene Formen des
Pariser Salons für seine Darstellung so unentbehrlich geworden.

Und der Erfolg gab ihm Recht. Sein Buch wurde in den Kreisen, an


mit Geist als Gründlichkeit an die Lösung eines bedeutenden ästhetisch -
philosophischen Problems in den Gesprächsformen der höchsten gesellschaft¬
lichen Kreise, indem es den mannigfaltigen Gesichtspunkten der Betrachtung,
den philosophischen, kulturhistorischen, poetischen und religionsphilosophischen,
durch Individuen verschiedener Nationalitäten Gestalt gab. Damit hatte er
die Methodik aller seiner Arbeiten gezeichnet. Der Charakter der Antike
aber, wie er ihn hier beschreibt: „die Kraft, die sich kennt und beherrscht, die
Schönheit, die ihrer selbst genießt", wird als das Beste und Köstlichste auf
Erden überhaupt gepriesen und bildet das Grundthema auch seiner modernen
Ethik, das er durch seine Schriften in allen Tonarten zu variiren sucht. Der
kleine Roman endlich, in dem das Ganze verschlungen war, besagte, daß das
Schicksal, wiewohl es allenthalben überraschend und ironisirend eingreift, doch
mit dem klaren Streben des Menschen eben so deutlich im Bunde steht, als
es dem unklaren den Untergang bringt: auch dies ein Glaubensbekenntniß,
dem wir immer wieder begegnen.

Das Buch verleugnete geflissentlich jede schweizerisch particularistische
oder locale Eigenthümlichkeit; es trat vielmehr sofort mit Bewußtsein in die
Reihen der französischen Nationalliteratur ein. und das sollte uns billig nicht
Wunder nehmen. Geister, deren Phantasie und Erfahrung ein weites Be¬
reich umfaßt, haben immer einem großen Ganzen gewidmet, was sie schufen,
nur das Gebiet, soweit die heimathliche Zunge klingt, als ihr Vaterland ge¬
kannt. Für die französisch Dichtenden aber kommt noch das Dogma hinzu,
daß nur in Paris und im Anschluß an seine Weise der mustergiltige Ton
und Stil gefunden wird. Wir kennen keine solche Centralisation, aber auch
uns erscheint es, seit wir zum Bewußtsein gelangt, welch theures, unver¬
gleichliches Band die Sprache ist, nur als das einzig natürliche, daß ferne
Provinzen unter fremdem Scepter, denen ihre deutsche Sprache geblieben ist,
auch in allen Richtungen zum Anschluß an das deutsche Wesen drängen.

Was Cherbuliez betrifft, so hatte er zudem ein verlockendes Vorbild.
Denn von dem größten aller Genfer, an dem er mit innigster Verehrung
hängt, war es ja klar, daß er, auf seine heimathlichen Thäler beschränkt, ohne
seine Theilnahme an der tonangebenden französischen Literatur und im Wett¬
eifer mit ihren glänzendsten Sternen nie der gewaltige Prophet und Refor¬
mator geworden wäre, als den die Nachwelt ihn feiert. Einen Platz in
dieser Literatur zu verdienen, hatte denn auch unser Autor durch sorgfältiges
Studium angestrebt, und dies verhalf ihm zu einer Würdigung ihrer classischen
Poesie, wie sie selbst in Frankreich nichts Gewöhnliches ist. während wir
andrerseits kaum irgend einen Schriftsteller wüßten, dem jene Formen des
Pariser Salons für seine Darstellung so unentbehrlich geworden.

Und der Erfolg gab ihm Recht. Sein Buch wurde in den Kreisen, an


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[0074] mit Geist als Gründlichkeit an die Lösung eines bedeutenden ästhetisch - philosophischen Problems in den Gesprächsformen der höchsten gesellschaft¬ lichen Kreise, indem es den mannigfaltigen Gesichtspunkten der Betrachtung, den philosophischen, kulturhistorischen, poetischen und religionsphilosophischen, durch Individuen verschiedener Nationalitäten Gestalt gab. Damit hatte er die Methodik aller seiner Arbeiten gezeichnet. Der Charakter der Antike aber, wie er ihn hier beschreibt: „die Kraft, die sich kennt und beherrscht, die Schönheit, die ihrer selbst genießt", wird als das Beste und Köstlichste auf Erden überhaupt gepriesen und bildet das Grundthema auch seiner modernen Ethik, das er durch seine Schriften in allen Tonarten zu variiren sucht. Der kleine Roman endlich, in dem das Ganze verschlungen war, besagte, daß das Schicksal, wiewohl es allenthalben überraschend und ironisirend eingreift, doch mit dem klaren Streben des Menschen eben so deutlich im Bunde steht, als es dem unklaren den Untergang bringt: auch dies ein Glaubensbekenntniß, dem wir immer wieder begegnen. Das Buch verleugnete geflissentlich jede schweizerisch particularistische oder locale Eigenthümlichkeit; es trat vielmehr sofort mit Bewußtsein in die Reihen der französischen Nationalliteratur ein. und das sollte uns billig nicht Wunder nehmen. Geister, deren Phantasie und Erfahrung ein weites Be¬ reich umfaßt, haben immer einem großen Ganzen gewidmet, was sie schufen, nur das Gebiet, soweit die heimathliche Zunge klingt, als ihr Vaterland ge¬ kannt. Für die französisch Dichtenden aber kommt noch das Dogma hinzu, daß nur in Paris und im Anschluß an seine Weise der mustergiltige Ton und Stil gefunden wird. Wir kennen keine solche Centralisation, aber auch uns erscheint es, seit wir zum Bewußtsein gelangt, welch theures, unver¬ gleichliches Band die Sprache ist, nur als das einzig natürliche, daß ferne Provinzen unter fremdem Scepter, denen ihre deutsche Sprache geblieben ist, auch in allen Richtungen zum Anschluß an das deutsche Wesen drängen. Was Cherbuliez betrifft, so hatte er zudem ein verlockendes Vorbild. Denn von dem größten aller Genfer, an dem er mit innigster Verehrung hängt, war es ja klar, daß er, auf seine heimathlichen Thäler beschränkt, ohne seine Theilnahme an der tonangebenden französischen Literatur und im Wett¬ eifer mit ihren glänzendsten Sternen nie der gewaltige Prophet und Refor¬ mator geworden wäre, als den die Nachwelt ihn feiert. Einen Platz in dieser Literatur zu verdienen, hatte denn auch unser Autor durch sorgfältiges Studium angestrebt, und dies verhalf ihm zu einer Würdigung ihrer classischen Poesie, wie sie selbst in Frankreich nichts Gewöhnliches ist. während wir andrerseits kaum irgend einen Schriftsteller wüßten, dem jene Formen des Pariser Salons für seine Darstellung so unentbehrlich geworden. Und der Erfolg gab ihm Recht. Sein Buch wurde in den Kreisen, an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/74>, abgerufen am 27.05.2024.