Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

geben wurden, die Hansestädte. Oldenburg, seine eigenen Provinzen Han¬
nover und Schleswig-Holstein abgetrumpft. Vergebens also hatten die nau¬
tischen Vereine der Nordsee vorher ihre Stimmen dafür erhoben, daß der
Prüfungszwang nicht auf Kenntnisse oder Fertigkeiten erstreckt werde, welche
mit der sicheren Führung eines Schiffes über See nichts zu thun haben, wie
z. B. allerhand höhere Mathematik, und daß nicht durch ausschließliche Ein¬
führung von Jahrescursen an die Stelle von Semestercursen der auf weiter
Fahrt versegelte junge Seemann unter Umständen in die Lage komme, viele
Monate müssig am Lande zu liegen. Dem Ostseemann ist dies gleichgültiger;
er fährt nach England oder höchstens dem Mittelmeere, und kann sich leicht
darauf einrichten, in irgend einem bestimmten Monat zurückzukommen. Hier
muß man bedauern, daß der Reichstag auf Präsident Delbrück's Zureden,
einem Antrag von Miquel entgegen, auf seine Mitwirkung beim Erlaß dieser
Prüfungsvorschriften verzichtet hat. Auch in ihm überwiegen ja die altpreußi¬
schen Stimmen, aber sie werden doch nicht auf Grund einer einzigen, bin¬
denden Instruction abgegeben, und so würde seine Entscheidung weit größere
Unbefangenheit und Reife für sich gehabt haben, weit eher als endgiltig
angesehen worden sein. Es ist schon begreiflich, wenn die Seeleute und
Rheder der Nordsee nicht gern bei einer Entscheidung sich beruhigen wollen,
die im Grunde einige Navigationsschullehrer in Danzig und Stettin ge¬
geben haben.

Nicht aus falscher Weichlichkeit oder Lust an einem gesetzlosen Leben
fordert der Seemannsstand Berücksichtigung seiner Verwahrung gegen unbe¬
gründeten Prüfungszwang. Vor solcher Entartung hat ihn die frische Luft
der See, die Rauhheit seiner gefahrenreichen und den Mann im Manne be¬
ständig herausfordernden Existenz bewahrt; daß ein ernster Kern in ihnen
steckt, der bereit ist sich nothwendiger Zucht freiwillig zu fügen, beweisen die
auf Erlaß einer norddeutschen Seemannsordnung und Einsetzung von See¬
gerichten zielenden Bestrebungen des Deutschen Nautischens Vereins. Die
Hauptaufgabe der letztern nehmlich und eine .der Hauptaufgaben der ersteren
würde sein, die Verantwortlichkeit der Schiffsführer auszudehnen. Gegen¬
wärtig bleiben Fahrlässigkeiten in der Führung von Seeschiffen, selbst wenn
sie namhaften Schaden an Leib und Leben wie an Gütern nach sich ziehen,
aus Mangel an klarem, praktischem Recht und sachverständigen kompetenten
Gerichten meistens straflos. Das fehlende Recht soll die Bundes-Seemanns-
Ordnung schaffen; für die Rechtsprechung bedarf es zweckmäßig besetzter See¬
gerichte, weil es dabei nicht allein auf eine allgemeinen Rechtsgrundsätzen
gemäße Anwendung des Gesetzes, sondern auf richtige Beurtheilung thatsäch¬
licher Möglichkeiten ankommt, und die bloße Heranziehung von Experten nie
dieselbe Garantie für sachentsprechende Erkenntnisse gilt als eigene Sachkunde


geben wurden, die Hansestädte. Oldenburg, seine eigenen Provinzen Han¬
nover und Schleswig-Holstein abgetrumpft. Vergebens also hatten die nau¬
tischen Vereine der Nordsee vorher ihre Stimmen dafür erhoben, daß der
Prüfungszwang nicht auf Kenntnisse oder Fertigkeiten erstreckt werde, welche
mit der sicheren Führung eines Schiffes über See nichts zu thun haben, wie
z. B. allerhand höhere Mathematik, und daß nicht durch ausschließliche Ein¬
führung von Jahrescursen an die Stelle von Semestercursen der auf weiter
Fahrt versegelte junge Seemann unter Umständen in die Lage komme, viele
Monate müssig am Lande zu liegen. Dem Ostseemann ist dies gleichgültiger;
er fährt nach England oder höchstens dem Mittelmeere, und kann sich leicht
darauf einrichten, in irgend einem bestimmten Monat zurückzukommen. Hier
muß man bedauern, daß der Reichstag auf Präsident Delbrück's Zureden,
einem Antrag von Miquel entgegen, auf seine Mitwirkung beim Erlaß dieser
Prüfungsvorschriften verzichtet hat. Auch in ihm überwiegen ja die altpreußi¬
schen Stimmen, aber sie werden doch nicht auf Grund einer einzigen, bin¬
denden Instruction abgegeben, und so würde seine Entscheidung weit größere
Unbefangenheit und Reife für sich gehabt haben, weit eher als endgiltig
angesehen worden sein. Es ist schon begreiflich, wenn die Seeleute und
Rheder der Nordsee nicht gern bei einer Entscheidung sich beruhigen wollen,
die im Grunde einige Navigationsschullehrer in Danzig und Stettin ge¬
geben haben.

Nicht aus falscher Weichlichkeit oder Lust an einem gesetzlosen Leben
fordert der Seemannsstand Berücksichtigung seiner Verwahrung gegen unbe¬
gründeten Prüfungszwang. Vor solcher Entartung hat ihn die frische Luft
der See, die Rauhheit seiner gefahrenreichen und den Mann im Manne be¬
ständig herausfordernden Existenz bewahrt; daß ein ernster Kern in ihnen
steckt, der bereit ist sich nothwendiger Zucht freiwillig zu fügen, beweisen die
auf Erlaß einer norddeutschen Seemannsordnung und Einsetzung von See¬
gerichten zielenden Bestrebungen des Deutschen Nautischens Vereins. Die
Hauptaufgabe der letztern nehmlich und eine .der Hauptaufgaben der ersteren
würde sein, die Verantwortlichkeit der Schiffsführer auszudehnen. Gegen¬
wärtig bleiben Fahrlässigkeiten in der Führung von Seeschiffen, selbst wenn
sie namhaften Schaden an Leib und Leben wie an Gütern nach sich ziehen,
aus Mangel an klarem, praktischem Recht und sachverständigen kompetenten
Gerichten meistens straflos. Das fehlende Recht soll die Bundes-Seemanns-
Ordnung schaffen; für die Rechtsprechung bedarf es zweckmäßig besetzter See¬
gerichte, weil es dabei nicht allein auf eine allgemeinen Rechtsgrundsätzen
gemäße Anwendung des Gesetzes, sondern auf richtige Beurtheilung thatsäch¬
licher Möglichkeiten ankommt, und die bloße Heranziehung von Experten nie
dieselbe Garantie für sachentsprechende Erkenntnisse gilt als eigene Sachkunde


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121848"/>
          <p xml:id="ID_237" prev="#ID_236"> geben wurden, die Hansestädte. Oldenburg, seine eigenen Provinzen Han¬<lb/>
nover und Schleswig-Holstein abgetrumpft. Vergebens also hatten die nau¬<lb/>
tischen Vereine der Nordsee vorher ihre Stimmen dafür erhoben, daß der<lb/>
Prüfungszwang nicht auf Kenntnisse oder Fertigkeiten erstreckt werde, welche<lb/>
mit der sicheren Führung eines Schiffes über See nichts zu thun haben, wie<lb/>
z. B. allerhand höhere Mathematik, und daß nicht durch ausschließliche Ein¬<lb/>
führung von Jahrescursen an die Stelle von Semestercursen der auf weiter<lb/>
Fahrt versegelte junge Seemann unter Umständen in die Lage komme, viele<lb/>
Monate müssig am Lande zu liegen. Dem Ostseemann ist dies gleichgültiger;<lb/>
er fährt nach England oder höchstens dem Mittelmeere, und kann sich leicht<lb/>
darauf einrichten, in irgend einem bestimmten Monat zurückzukommen. Hier<lb/>
muß man bedauern, daß der Reichstag auf Präsident Delbrück's Zureden,<lb/>
einem Antrag von Miquel entgegen, auf seine Mitwirkung beim Erlaß dieser<lb/>
Prüfungsvorschriften verzichtet hat. Auch in ihm überwiegen ja die altpreußi¬<lb/>
schen Stimmen, aber sie werden doch nicht auf Grund einer einzigen, bin¬<lb/>
denden Instruction abgegeben, und so würde seine Entscheidung weit größere<lb/>
Unbefangenheit und Reife für sich gehabt haben, weit eher als endgiltig<lb/>
angesehen worden sein. Es ist schon begreiflich, wenn die Seeleute und<lb/>
Rheder der Nordsee nicht gern bei einer Entscheidung sich beruhigen wollen,<lb/>
die im Grunde einige Navigationsschullehrer in Danzig und Stettin ge¬<lb/>
geben haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_238" next="#ID_239"> Nicht aus falscher Weichlichkeit oder Lust an einem gesetzlosen Leben<lb/>
fordert der Seemannsstand Berücksichtigung seiner Verwahrung gegen unbe¬<lb/>
gründeten Prüfungszwang. Vor solcher Entartung hat ihn die frische Luft<lb/>
der See, die Rauhheit seiner gefahrenreichen und den Mann im Manne be¬<lb/>
ständig herausfordernden Existenz bewahrt; daß ein ernster Kern in ihnen<lb/>
steckt, der bereit ist sich nothwendiger Zucht freiwillig zu fügen, beweisen die<lb/>
auf Erlaß einer norddeutschen Seemannsordnung und Einsetzung von See¬<lb/>
gerichten zielenden Bestrebungen des Deutschen Nautischens Vereins. Die<lb/>
Hauptaufgabe der letztern nehmlich und eine .der Hauptaufgaben der ersteren<lb/>
würde sein, die Verantwortlichkeit der Schiffsführer auszudehnen. Gegen¬<lb/>
wärtig bleiben Fahrlässigkeiten in der Führung von Seeschiffen, selbst wenn<lb/>
sie namhaften Schaden an Leib und Leben wie an Gütern nach sich ziehen,<lb/>
aus Mangel an klarem, praktischem Recht und sachverständigen kompetenten<lb/>
Gerichten meistens straflos. Das fehlende Recht soll die Bundes-Seemanns-<lb/>
Ordnung schaffen; für die Rechtsprechung bedarf es zweckmäßig besetzter See¬<lb/>
gerichte, weil es dabei nicht allein auf eine allgemeinen Rechtsgrundsätzen<lb/>
gemäße Anwendung des Gesetzes, sondern auf richtige Beurtheilung thatsäch¬<lb/>
licher Möglichkeiten ankommt, und die bloße Heranziehung von Experten nie<lb/>
dieselbe Garantie für sachentsprechende Erkenntnisse gilt als eigene Sachkunde</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0093] geben wurden, die Hansestädte. Oldenburg, seine eigenen Provinzen Han¬ nover und Schleswig-Holstein abgetrumpft. Vergebens also hatten die nau¬ tischen Vereine der Nordsee vorher ihre Stimmen dafür erhoben, daß der Prüfungszwang nicht auf Kenntnisse oder Fertigkeiten erstreckt werde, welche mit der sicheren Führung eines Schiffes über See nichts zu thun haben, wie z. B. allerhand höhere Mathematik, und daß nicht durch ausschließliche Ein¬ führung von Jahrescursen an die Stelle von Semestercursen der auf weiter Fahrt versegelte junge Seemann unter Umständen in die Lage komme, viele Monate müssig am Lande zu liegen. Dem Ostseemann ist dies gleichgültiger; er fährt nach England oder höchstens dem Mittelmeere, und kann sich leicht darauf einrichten, in irgend einem bestimmten Monat zurückzukommen. Hier muß man bedauern, daß der Reichstag auf Präsident Delbrück's Zureden, einem Antrag von Miquel entgegen, auf seine Mitwirkung beim Erlaß dieser Prüfungsvorschriften verzichtet hat. Auch in ihm überwiegen ja die altpreußi¬ schen Stimmen, aber sie werden doch nicht auf Grund einer einzigen, bin¬ denden Instruction abgegeben, und so würde seine Entscheidung weit größere Unbefangenheit und Reife für sich gehabt haben, weit eher als endgiltig angesehen worden sein. Es ist schon begreiflich, wenn die Seeleute und Rheder der Nordsee nicht gern bei einer Entscheidung sich beruhigen wollen, die im Grunde einige Navigationsschullehrer in Danzig und Stettin ge¬ geben haben. Nicht aus falscher Weichlichkeit oder Lust an einem gesetzlosen Leben fordert der Seemannsstand Berücksichtigung seiner Verwahrung gegen unbe¬ gründeten Prüfungszwang. Vor solcher Entartung hat ihn die frische Luft der See, die Rauhheit seiner gefahrenreichen und den Mann im Manne be¬ ständig herausfordernden Existenz bewahrt; daß ein ernster Kern in ihnen steckt, der bereit ist sich nothwendiger Zucht freiwillig zu fügen, beweisen die auf Erlaß einer norddeutschen Seemannsordnung und Einsetzung von See¬ gerichten zielenden Bestrebungen des Deutschen Nautischens Vereins. Die Hauptaufgabe der letztern nehmlich und eine .der Hauptaufgaben der ersteren würde sein, die Verantwortlichkeit der Schiffsführer auszudehnen. Gegen¬ wärtig bleiben Fahrlässigkeiten in der Führung von Seeschiffen, selbst wenn sie namhaften Schaden an Leib und Leben wie an Gütern nach sich ziehen, aus Mangel an klarem, praktischem Recht und sachverständigen kompetenten Gerichten meistens straflos. Das fehlende Recht soll die Bundes-Seemanns- Ordnung schaffen; für die Rechtsprechung bedarf es zweckmäßig besetzter See¬ gerichte, weil es dabei nicht allein auf eine allgemeinen Rechtsgrundsätzen gemäße Anwendung des Gesetzes, sondern auf richtige Beurtheilung thatsäch¬ licher Möglichkeiten ankommt, und die bloße Heranziehung von Experten nie dieselbe Garantie für sachentsprechende Erkenntnisse gilt als eigene Sachkunde

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/93
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/93>, abgerufen am 13.05.2024.