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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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schon, an wie vielen Stellen der Schuh, ja alle Kleider ihn drücken. Die
lange Vernachlässigung hat ihn in einem Zustande gesetzlicher und thatsäch¬
licher Ordnung stecken lassen, der nirgend mehr die gemäßigsten Ansprüche
erfüllt. Daher der Eifer, den die Angehörigen dieser sonst so phlegmatischen
Menschenklasse in ihren Vereinen entwickeln, die gleichzeitige Aufnahme der
verschiedensten Gegenstände, alle gleich wichtig, alle gleich dringlich, alle
gleich schwierig. Die Tagesordnung, welche für die nächste Jahresversamm¬
lung in Aussicht genommen worden ist, würde für ihrer drei zur Noth hin¬
reichen.

Die gemeinschaftliche deutsche Handelsflagge hat unser Seemannsstand
noch ohne sein Zuthun erlangt, aber auf's Freudigste und Vorbehaltloseste
begrüßt. Die schwarzweißrothe Flagge, obwohl eine der jüngsten auf den
Meeren der Welt, ist doch auch eine der geliebtesten, und wird vorkommenden
Falls so enthusiastisch vertheidigt werden, wie irgend eine andere. Desto
schmerzlicher berührte es in seemännischen Kreisen, als man in diesem Sommer
aus New-Uork vernahm, die Hamburger Dampfer seien dort mit einer bis¬
her unbekannten "Bundespostflagge" erschienen. Hoffentlich hat das General¬
postamt in Berlin, von dem der erste Anlaß zu dieser anstößigen Neuerung
nicht ausgegangen ist. sie beseitigt, bevor der Deutsche nautische Verein sich
wiederum versammelt.

Die nächste Folgerung aus der Einheitlichkeit der Flagge mußte sein,
daß jeder deutsche Capitain oder Steuermann auf jedem deutschen Schiffe
Dienst thun könne. Aber dazu bedürfte es erst der Uebereinstimmung des
Prüfungswesens. Seeschiffer werden in Deutschland allenthalben noch, wie in
England, geprüft, es ist nicht ein völlig freies Gewerbe, wie in Amerika. Es
hätte allerdings nahe gelegen, beim Erlaß der neuen norddeutschen Gewerbe¬
ordnung, die so manchen alten Prüfungs- und Coneesstons-Zopf abgeschnitten
hat, zu fragen, ob nicht auch der Schiffsführer im Durchschnitt tüchtig und
vertrauenswerth sein könne, ohne durch eine Staatsprüfung gegangen zu sein?
Allein, die Frage wurde gar nicht ernstlich und ausdrücklich aufgeworfen,
muthmaßlich auch deshalb, weil das Seewesen den Meisten noch so über die
Maaßen fremd ist. Es schien nur darauf anzukommen, aus zehn Prüfungs¬
ordnungen eine einzige zu machen; und zu dem Ende traten im letzten Ja¬
nuar zu Berlin ein oder zwei Dutzend Sachverständige zusammen. Diese
haben sich aber leider, vielleicht weil sie eben gar zu überwiegend Sachver¬
ständige waren, nicht verständigen können. Ostsee ursd Nordsee, preußisches
und nichtpreußisches Navigationsschulwesen standen sich bis zu Ende schroff
gegenüber. Auch als die Sache später in die Sphäre der Regierungen ge¬
langte, ist es damit nicht anders geworden: Preußen hat schließlich mit seinen
siebzehn Stimmen, die wie Ein Mann für den Ostsee-Standpunkt abge-


schon, an wie vielen Stellen der Schuh, ja alle Kleider ihn drücken. Die
lange Vernachlässigung hat ihn in einem Zustande gesetzlicher und thatsäch¬
licher Ordnung stecken lassen, der nirgend mehr die gemäßigsten Ansprüche
erfüllt. Daher der Eifer, den die Angehörigen dieser sonst so phlegmatischen
Menschenklasse in ihren Vereinen entwickeln, die gleichzeitige Aufnahme der
verschiedensten Gegenstände, alle gleich wichtig, alle gleich dringlich, alle
gleich schwierig. Die Tagesordnung, welche für die nächste Jahresversamm¬
lung in Aussicht genommen worden ist, würde für ihrer drei zur Noth hin¬
reichen.

Die gemeinschaftliche deutsche Handelsflagge hat unser Seemannsstand
noch ohne sein Zuthun erlangt, aber auf's Freudigste und Vorbehaltloseste
begrüßt. Die schwarzweißrothe Flagge, obwohl eine der jüngsten auf den
Meeren der Welt, ist doch auch eine der geliebtesten, und wird vorkommenden
Falls so enthusiastisch vertheidigt werden, wie irgend eine andere. Desto
schmerzlicher berührte es in seemännischen Kreisen, als man in diesem Sommer
aus New-Uork vernahm, die Hamburger Dampfer seien dort mit einer bis¬
her unbekannten „Bundespostflagge" erschienen. Hoffentlich hat das General¬
postamt in Berlin, von dem der erste Anlaß zu dieser anstößigen Neuerung
nicht ausgegangen ist. sie beseitigt, bevor der Deutsche nautische Verein sich
wiederum versammelt.

Die nächste Folgerung aus der Einheitlichkeit der Flagge mußte sein,
daß jeder deutsche Capitain oder Steuermann auf jedem deutschen Schiffe
Dienst thun könne. Aber dazu bedürfte es erst der Uebereinstimmung des
Prüfungswesens. Seeschiffer werden in Deutschland allenthalben noch, wie in
England, geprüft, es ist nicht ein völlig freies Gewerbe, wie in Amerika. Es
hätte allerdings nahe gelegen, beim Erlaß der neuen norddeutschen Gewerbe¬
ordnung, die so manchen alten Prüfungs- und Coneesstons-Zopf abgeschnitten
hat, zu fragen, ob nicht auch der Schiffsführer im Durchschnitt tüchtig und
vertrauenswerth sein könne, ohne durch eine Staatsprüfung gegangen zu sein?
Allein, die Frage wurde gar nicht ernstlich und ausdrücklich aufgeworfen,
muthmaßlich auch deshalb, weil das Seewesen den Meisten noch so über die
Maaßen fremd ist. Es schien nur darauf anzukommen, aus zehn Prüfungs¬
ordnungen eine einzige zu machen; und zu dem Ende traten im letzten Ja¬
nuar zu Berlin ein oder zwei Dutzend Sachverständige zusammen. Diese
haben sich aber leider, vielleicht weil sie eben gar zu überwiegend Sachver¬
ständige waren, nicht verständigen können. Ostsee ursd Nordsee, preußisches
und nichtpreußisches Navigationsschulwesen standen sich bis zu Ende schroff
gegenüber. Auch als die Sache später in die Sphäre der Regierungen ge¬
langte, ist es damit nicht anders geworden: Preußen hat schließlich mit seinen
siebzehn Stimmen, die wie Ein Mann für den Ostsee-Standpunkt abge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/92>, abgerufen am 07.06.2024.