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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Jedoch tritt sie bei keinem der letztgenannten Funde mit solcher Reinheit
hervor, wie in unserem cvrnetaner Grabe.

Wann diese asiatische oder asiatisirende Kunstentwickelung aufhörte, können
wir nicht bestimmen. Ohne Zweifel hielt sie sich bei einem so conservativen
Volke, wie die Etrusker waren, beträchtliche Zeit; ihre Einflüsse auf die
deeorative Kunst lassen sich bis zu Monumenten verfolgen, welche den
Stempel verhältnißmäßig späten Ursprungs tragen. Ohne mich daher auf
das Gebiet unsicherer Vermuthung zu wagen, wende ich mich sofort zu der
zweiten Periode, welche uns in der Kunstentwicklung von Tarquinii entgegen¬
tritt. Ich möchte sie als die tuscanische bezeichnen; denn in keiner zeigt sich
der volksthümliche Charakter des Etruskerthums mit solcher Schärfe und
solcher Reinheit. Während in der vorhergehenden asiatisirenden Entwickelung
die Kunst vorwiegend decorativ gewesen war, wird sie jetzt monumental.
Es tritt das große Wandbild auf, welches die Wandfläche vom Sockel bis
zum Friese bedeckt, bestimmte Individualitäten und durch dieselben bestimmte
poetische Ideen zur Darstellung bringt. Mag Griechenland in der Ent¬
wickelung dieses Kunstzweiges vorangegangen sein und mögen die Künstler
von Tarquinii vielfach das Formensystem der griechischen Kunst bei ihren
Gestalten benutzt haben, so ist ihre Abhängigkeit jedenfalls eine sehr geringe.
Die Stoffe, welche zur Darstellung erwählt werden, sind national. Der
Typus des Gesichtes ist von dem in den verschiedenen Stadien der griechischen
Kunst vorkommenden verschieden und recht eigentlich als etruskischer zu be¬
trachten. Allerdings ist die Darstellung noch sehr gebunden; es fehlt die
gehörige Kenntniß von der Structur des menschlichen Körpers, wie dies
namentlich bei den heftiger bewegten Figuren ersichtlich ist; das Auge erscheint
durchweg en kan<z gestaltet, obwohl sich die Köpfe im Profil darstellen; die
Zeichnung ist rein planimetrisch, unfähig die Rundung der Körper oder gar
Verkürzungen auszudrücken; es wird mit einfachen Localtönen operirt ohne
Anwendung der Schattirung; die Farbcnscala, die aus wenigen meist dunklen
Tönen besteht, macht einen ernsten, fast düstern Eindruck. Da haben die
tcirquinischen Wandmaler innerhalb dieser Grenzen unter Umständen höchst
anerkennenswerthe Leistungen erzielt; die Zeichnung ist meist sehr sauber und
correct; wo die Darstellung keine heftig bewegten Figuren erfordert, wie in
den Gemälden der Grotta del Barone -- so genannt nach dem Entdecker
Baron Stackelberg -- erscheint sie sogar würdig und harmonisch abgerundet.

Die neuen Ausgrabungen haben diese älteste Gruppe tarquinischer Wand¬
gemälde durch zwei Exemplare vermehrt, die jedoch eher dem Ende dieser
Entwickelung angehören, als einem früheren Stadium derselben. In dem
einen Grabe hat sich nur das Gemälde der dem Eingang gegenüberliegenden
Hinterwand erhalten. Es stellt einen grauköpfigen Etrusker dar, welcher


Jedoch tritt sie bei keinem der letztgenannten Funde mit solcher Reinheit
hervor, wie in unserem cvrnetaner Grabe.

Wann diese asiatische oder asiatisirende Kunstentwickelung aufhörte, können
wir nicht bestimmen. Ohne Zweifel hielt sie sich bei einem so conservativen
Volke, wie die Etrusker waren, beträchtliche Zeit; ihre Einflüsse auf die
deeorative Kunst lassen sich bis zu Monumenten verfolgen, welche den
Stempel verhältnißmäßig späten Ursprungs tragen. Ohne mich daher auf
das Gebiet unsicherer Vermuthung zu wagen, wende ich mich sofort zu der
zweiten Periode, welche uns in der Kunstentwicklung von Tarquinii entgegen¬
tritt. Ich möchte sie als die tuscanische bezeichnen; denn in keiner zeigt sich
der volksthümliche Charakter des Etruskerthums mit solcher Schärfe und
solcher Reinheit. Während in der vorhergehenden asiatisirenden Entwickelung
die Kunst vorwiegend decorativ gewesen war, wird sie jetzt monumental.
Es tritt das große Wandbild auf, welches die Wandfläche vom Sockel bis
zum Friese bedeckt, bestimmte Individualitäten und durch dieselben bestimmte
poetische Ideen zur Darstellung bringt. Mag Griechenland in der Ent¬
wickelung dieses Kunstzweiges vorangegangen sein und mögen die Künstler
von Tarquinii vielfach das Formensystem der griechischen Kunst bei ihren
Gestalten benutzt haben, so ist ihre Abhängigkeit jedenfalls eine sehr geringe.
Die Stoffe, welche zur Darstellung erwählt werden, sind national. Der
Typus des Gesichtes ist von dem in den verschiedenen Stadien der griechischen
Kunst vorkommenden verschieden und recht eigentlich als etruskischer zu be¬
trachten. Allerdings ist die Darstellung noch sehr gebunden; es fehlt die
gehörige Kenntniß von der Structur des menschlichen Körpers, wie dies
namentlich bei den heftiger bewegten Figuren ersichtlich ist; das Auge erscheint
durchweg en kan<z gestaltet, obwohl sich die Köpfe im Profil darstellen; die
Zeichnung ist rein planimetrisch, unfähig die Rundung der Körper oder gar
Verkürzungen auszudrücken; es wird mit einfachen Localtönen operirt ohne
Anwendung der Schattirung; die Farbcnscala, die aus wenigen meist dunklen
Tönen besteht, macht einen ernsten, fast düstern Eindruck. Da haben die
tcirquinischen Wandmaler innerhalb dieser Grenzen unter Umständen höchst
anerkennenswerthe Leistungen erzielt; die Zeichnung ist meist sehr sauber und
correct; wo die Darstellung keine heftig bewegten Figuren erfordert, wie in
den Gemälden der Grotta del Barone — so genannt nach dem Entdecker
Baron Stackelberg — erscheint sie sogar würdig und harmonisch abgerundet.

Die neuen Ausgrabungen haben diese älteste Gruppe tarquinischer Wand¬
gemälde durch zwei Exemplare vermehrt, die jedoch eher dem Ende dieser
Entwickelung angehören, als einem früheren Stadium derselben. In dem
einen Grabe hat sich nur das Gemälde der dem Eingang gegenüberliegenden
Hinterwand erhalten. Es stellt einen grauköpfigen Etrusker dar, welcher


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[0014] Jedoch tritt sie bei keinem der letztgenannten Funde mit solcher Reinheit hervor, wie in unserem cvrnetaner Grabe. Wann diese asiatische oder asiatisirende Kunstentwickelung aufhörte, können wir nicht bestimmen. Ohne Zweifel hielt sie sich bei einem so conservativen Volke, wie die Etrusker waren, beträchtliche Zeit; ihre Einflüsse auf die deeorative Kunst lassen sich bis zu Monumenten verfolgen, welche den Stempel verhältnißmäßig späten Ursprungs tragen. Ohne mich daher auf das Gebiet unsicherer Vermuthung zu wagen, wende ich mich sofort zu der zweiten Periode, welche uns in der Kunstentwicklung von Tarquinii entgegen¬ tritt. Ich möchte sie als die tuscanische bezeichnen; denn in keiner zeigt sich der volksthümliche Charakter des Etruskerthums mit solcher Schärfe und solcher Reinheit. Während in der vorhergehenden asiatisirenden Entwickelung die Kunst vorwiegend decorativ gewesen war, wird sie jetzt monumental. Es tritt das große Wandbild auf, welches die Wandfläche vom Sockel bis zum Friese bedeckt, bestimmte Individualitäten und durch dieselben bestimmte poetische Ideen zur Darstellung bringt. Mag Griechenland in der Ent¬ wickelung dieses Kunstzweiges vorangegangen sein und mögen die Künstler von Tarquinii vielfach das Formensystem der griechischen Kunst bei ihren Gestalten benutzt haben, so ist ihre Abhängigkeit jedenfalls eine sehr geringe. Die Stoffe, welche zur Darstellung erwählt werden, sind national. Der Typus des Gesichtes ist von dem in den verschiedenen Stadien der griechischen Kunst vorkommenden verschieden und recht eigentlich als etruskischer zu be¬ trachten. Allerdings ist die Darstellung noch sehr gebunden; es fehlt die gehörige Kenntniß von der Structur des menschlichen Körpers, wie dies namentlich bei den heftiger bewegten Figuren ersichtlich ist; das Auge erscheint durchweg en kan<z gestaltet, obwohl sich die Köpfe im Profil darstellen; die Zeichnung ist rein planimetrisch, unfähig die Rundung der Körper oder gar Verkürzungen auszudrücken; es wird mit einfachen Localtönen operirt ohne Anwendung der Schattirung; die Farbcnscala, die aus wenigen meist dunklen Tönen besteht, macht einen ernsten, fast düstern Eindruck. Da haben die tcirquinischen Wandmaler innerhalb dieser Grenzen unter Umständen höchst anerkennenswerthe Leistungen erzielt; die Zeichnung ist meist sehr sauber und correct; wo die Darstellung keine heftig bewegten Figuren erfordert, wie in den Gemälden der Grotta del Barone — so genannt nach dem Entdecker Baron Stackelberg — erscheint sie sogar würdig und harmonisch abgerundet. Die neuen Ausgrabungen haben diese älteste Gruppe tarquinischer Wand¬ gemälde durch zwei Exemplare vermehrt, die jedoch eher dem Ende dieser Entwickelung angehören, als einem früheren Stadium derselben. In dem einen Grabe hat sich nur das Gemälde der dem Eingang gegenüberliegenden Hinterwand erhalten. Es stellt einen grauköpfigen Etrusker dar, welcher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/14>, abgerufen am 16.06.2024.