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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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mit seiner Dame auf einem Pfühl gelagert ist; der Alte hält in der Linken
eine Trinkschale und erhebt freudig die Rechte; die Dame, im Vergleich zu
ihrem Genossen auffällig jugendlichen Aussehens, reich gekleidet in gestickten
Chiton, rothem Mantel und hoher gestickter Haube (tuwlus), reicht ihm mit
der Rechten eine bunt gewirkte Binde. Links vor dem Pfühle steht ein
nackter Mundschenk, ein Schöpfgefäß (simpuluin) in der Rechten. Unter dem
Pfühle gewahrt man zwei Vögel, die aussehen wie Perlhühner. Was die
Ausführung betrifft, so gehört dieses Gemälde nicht zu den besten seiner
Gattung. Die Umrisse sind nicht mit der Sauberkeit gezogen, wie z. B. in
den Wandgemälden der Grotta del Barone; die Muskulatur ist nicht mit
solcher Feinheit nuancirt; kurz die ganze Ausführung macht einen etwas
handwerksmäßigen Eindruck. Nichts desto weniger verräth das Wandgemälde
einen sehr entwickelten Grad von Naturbeobachtung. Die Freude des Alten
über die Situation, in welcher er sich befindet, sein schmunzelndes Lachen sind
in recht frischer und naturgetreuer Weise zum Ausdruck gebracht. Dieser
Umstand, sowie verschiedene stilistische Einzelheiten, wie z. B. die Umrisse des
weiblichen Körpers, welche mit verhältnißmäßtg bedeutender Ausführlichkeit
auf dem Chiton angedeutet sind, bewegen mich zu der Annahme, daß dieses
Gemälde der späteren Entwickelung des in Rede stehenden Stils angehört.

Die Wandgemälde des andern Grabes sind dem besprochenen in der
Feinheit der Ausführung weit überlegen. Auf der Hinterwand sehen wir
die übliche Bankettscene: ein schöner vollbärtiger Mann, eine kolossale Schale
in der Linken, faßt die neben ihm liegende Dame mit der Rechten unter
dem Kinne; diese macht in sehr zierlicher Weise eine abwehrende Geberde. Rechts
steht ein jugendlicher Mundschenk mit zwei Schöpfkellen (simxulum) und einem
Siebe (eolum). Links sitzt auf einem mit einem Thierfelle belegten Sessel ein noch
nicht ganz ausgewachsenes Mädchen, einfach, aber würdig bekleidet, und auf ihrem
Schoße ein etwas jüngerer Knabe, ganz nackt, einen Vogel in der Linken; indem
er seinen rechten Arm um den Rücken des Mädchens schlingt, richtet er seine Blicke
auf ihr Antlitz; man möchte das Paar für Bruder und Schwester halten;
trotz der gebundenen Darstellungsweise macht die Gruppe einen höchst innigen
und naiven Eindruck. Auf den beiden Seitenwänden sind tanzende Figuren
dargestellt, zu den Seiten des Eingangs ein Mädchen, welches ein guitarren¬
artiges Instrument spielt, und eine gegenwärtig fast unkenntliche flöten¬
spielende Figur. In kunsthistorischer Hinsicht sind die Wandgemälde von dem
größten Interesse. Sie verrathen uns deutlich die beginnende Zersetzung des
tuscanischen Stiles und die Keime der Entwickelung, welche in der folgen¬
den Periode zur definitiven Ausbildung kommt. Bei Prüfung der Köpfe
nimmt man deutlich wahr, wie der etrusktsche Typus sich zu mildern und dem
Formensystem der griechischen Kunst zu nähern beginnt. Bezeichnend ist, daß


Grenzboten I. 1S70. 2

mit seiner Dame auf einem Pfühl gelagert ist; der Alte hält in der Linken
eine Trinkschale und erhebt freudig die Rechte; die Dame, im Vergleich zu
ihrem Genossen auffällig jugendlichen Aussehens, reich gekleidet in gestickten
Chiton, rothem Mantel und hoher gestickter Haube (tuwlus), reicht ihm mit
der Rechten eine bunt gewirkte Binde. Links vor dem Pfühle steht ein
nackter Mundschenk, ein Schöpfgefäß (simpuluin) in der Rechten. Unter dem
Pfühle gewahrt man zwei Vögel, die aussehen wie Perlhühner. Was die
Ausführung betrifft, so gehört dieses Gemälde nicht zu den besten seiner
Gattung. Die Umrisse sind nicht mit der Sauberkeit gezogen, wie z. B. in
den Wandgemälden der Grotta del Barone; die Muskulatur ist nicht mit
solcher Feinheit nuancirt; kurz die ganze Ausführung macht einen etwas
handwerksmäßigen Eindruck. Nichts desto weniger verräth das Wandgemälde
einen sehr entwickelten Grad von Naturbeobachtung. Die Freude des Alten
über die Situation, in welcher er sich befindet, sein schmunzelndes Lachen sind
in recht frischer und naturgetreuer Weise zum Ausdruck gebracht. Dieser
Umstand, sowie verschiedene stilistische Einzelheiten, wie z. B. die Umrisse des
weiblichen Körpers, welche mit verhältnißmäßtg bedeutender Ausführlichkeit
auf dem Chiton angedeutet sind, bewegen mich zu der Annahme, daß dieses
Gemälde der späteren Entwickelung des in Rede stehenden Stils angehört.

Die Wandgemälde des andern Grabes sind dem besprochenen in der
Feinheit der Ausführung weit überlegen. Auf der Hinterwand sehen wir
die übliche Bankettscene: ein schöner vollbärtiger Mann, eine kolossale Schale
in der Linken, faßt die neben ihm liegende Dame mit der Rechten unter
dem Kinne; diese macht in sehr zierlicher Weise eine abwehrende Geberde. Rechts
steht ein jugendlicher Mundschenk mit zwei Schöpfkellen (simxulum) und einem
Siebe (eolum). Links sitzt auf einem mit einem Thierfelle belegten Sessel ein noch
nicht ganz ausgewachsenes Mädchen, einfach, aber würdig bekleidet, und auf ihrem
Schoße ein etwas jüngerer Knabe, ganz nackt, einen Vogel in der Linken; indem
er seinen rechten Arm um den Rücken des Mädchens schlingt, richtet er seine Blicke
auf ihr Antlitz; man möchte das Paar für Bruder und Schwester halten;
trotz der gebundenen Darstellungsweise macht die Gruppe einen höchst innigen
und naiven Eindruck. Auf den beiden Seitenwänden sind tanzende Figuren
dargestellt, zu den Seiten des Eingangs ein Mädchen, welches ein guitarren¬
artiges Instrument spielt, und eine gegenwärtig fast unkenntliche flöten¬
spielende Figur. In kunsthistorischer Hinsicht sind die Wandgemälde von dem
größten Interesse. Sie verrathen uns deutlich die beginnende Zersetzung des
tuscanischen Stiles und die Keime der Entwickelung, welche in der folgen¬
den Periode zur definitiven Ausbildung kommt. Bei Prüfung der Köpfe
nimmt man deutlich wahr, wie der etrusktsche Typus sich zu mildern und dem
Formensystem der griechischen Kunst zu nähern beginnt. Bezeichnend ist, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/15>, abgerufen am 16.06.2024.