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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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springt, die rollenden Augen, die gefletschten Zähne, die wild flatternden
Haare, das grüngrauliche Colorit, in welchem seine Fleischtöne gehalten sind
-- alles dies macht, zumal in dem nur durch Feuerschein erleuchteten Grabe,
einen höchst unheimlichen Eindruck. Einen eigenthümlichen Gegensatz zu
dieser schrecklichen Gestalt bildet eine Mädchenfigur, von der leider nur der
obere Theil erhalten ist. Ihr lorbeerbekränzter Kopf mit dem hinten in eine
Binde zusammengefaßten Zopfe und den üppigen von dem Ohr über die
Wange herabfallenden Locken zeigt die vollendete Schönheit der Blüthezeit
der griechischen Kunst und erinnert auffällig an weibliche Typen, welche sich
auf großgriechischen Münzen der besten Zeit finden. Obwohl die Malereien
dieser Kammer ein beträchtlich vorgeschrittenes Stadium der Kunst verrathen,
so herrscht doch noch die Zeichnung über das eigentliche malerische Verfahren
vor; die Schattirung ist sehr wenig entwickelt, nur die wesentlichsten Schatten
sind angegeben, jedoch nicht mit dem vollen Pinsel gemalt, sondern durch
einzelne Pinselstriche schraffirt. Die Wandgemälde der zweiten Grabkammer
stellen eine etwas mehr vorgeschrittene Entwickelung dar; die Pinselführung
ist breiter, man erkennt deutlich das Streben, welches bald entschiedener, bald
schwächer hervortritt, die Rundung der Körper anzudeuten; die Schatten sind
bei einigen Figuren sehr markirt und mit breitem Pinsel ausgeführt, während
sie bei anderen nur in andeutender Weise durch Schattirung wiedergegeben
sind, sodaß man in der That auf den Gedanken kommen kann, es seien ver¬
schiedene Hände an den Gemälden dieser Kammer thätig gewesen. Die
erhaltenen Theile der Composttion, etwa ein Drittel von dem ursprüng¬
lich Vorhandenen, lassen deutlich erkennen, daß die Unterwelt dargestellt
war. Auf der Nordwand sehen wir die majestätischen Gestalten des Hades
und der Persephone, beide durch etruskische Inschriften bezeichnet; der Gott,
dessen schöner bärtiger Kopf zu den vollendetsten Leistungen antiker Malerei
zu zählen ist, die auf uns gekommen, sitzt auf einem Sessel, die Exuvien eines
Wolfes über dem Hinterkopf; sein linker Arm, über dem sich eine Schlange
emporbäumt, ist erhoben, seine Rechte vorgestreckt nach einem ihm gegenüber
stehenden Hopliten, dem er offenbar Befehle ertheilt. Persephone, deren hell¬
blondes Haar von einem Diadem aus Schlangenleibern umgeben ist, steht
neben dem Gatten. Der Hoplit ist mit drei schönen bärtigen Köpfen ver¬
sehen, von welchen jeder auf einem besonderen Halse aufsitzt, und kann, ob¬
wohl die beigefügte Inschrift es unentschieden läßt, ob "Gelun" oder "Gerun"
zu lesen sei, kein anderer sein als Geryones, der als Bewohner des äußersten
Westens, wo sich die Pforten der Nacht befanden, im antiken Mythos vielfach
zu den unterirdischen Gottheiten in Bezug gesetzt wurde und auch bei Virgil
in dem Vorhofe des Orcus auftritt. Auf unserem Wandgemälde steht er,
die Rechte auf den Speer gestützt, der Befehle des Todtenherrschers gewärtig.


springt, die rollenden Augen, die gefletschten Zähne, die wild flatternden
Haare, das grüngrauliche Colorit, in welchem seine Fleischtöne gehalten sind
— alles dies macht, zumal in dem nur durch Feuerschein erleuchteten Grabe,
einen höchst unheimlichen Eindruck. Einen eigenthümlichen Gegensatz zu
dieser schrecklichen Gestalt bildet eine Mädchenfigur, von der leider nur der
obere Theil erhalten ist. Ihr lorbeerbekränzter Kopf mit dem hinten in eine
Binde zusammengefaßten Zopfe und den üppigen von dem Ohr über die
Wange herabfallenden Locken zeigt die vollendete Schönheit der Blüthezeit
der griechischen Kunst und erinnert auffällig an weibliche Typen, welche sich
auf großgriechischen Münzen der besten Zeit finden. Obwohl die Malereien
dieser Kammer ein beträchtlich vorgeschrittenes Stadium der Kunst verrathen,
so herrscht doch noch die Zeichnung über das eigentliche malerische Verfahren
vor; die Schattirung ist sehr wenig entwickelt, nur die wesentlichsten Schatten
sind angegeben, jedoch nicht mit dem vollen Pinsel gemalt, sondern durch
einzelne Pinselstriche schraffirt. Die Wandgemälde der zweiten Grabkammer
stellen eine etwas mehr vorgeschrittene Entwickelung dar; die Pinselführung
ist breiter, man erkennt deutlich das Streben, welches bald entschiedener, bald
schwächer hervortritt, die Rundung der Körper anzudeuten; die Schatten sind
bei einigen Figuren sehr markirt und mit breitem Pinsel ausgeführt, während
sie bei anderen nur in andeutender Weise durch Schattirung wiedergegeben
sind, sodaß man in der That auf den Gedanken kommen kann, es seien ver¬
schiedene Hände an den Gemälden dieser Kammer thätig gewesen. Die
erhaltenen Theile der Composttion, etwa ein Drittel von dem ursprüng¬
lich Vorhandenen, lassen deutlich erkennen, daß die Unterwelt dargestellt
war. Auf der Nordwand sehen wir die majestätischen Gestalten des Hades
und der Persephone, beide durch etruskische Inschriften bezeichnet; der Gott,
dessen schöner bärtiger Kopf zu den vollendetsten Leistungen antiker Malerei
zu zählen ist, die auf uns gekommen, sitzt auf einem Sessel, die Exuvien eines
Wolfes über dem Hinterkopf; sein linker Arm, über dem sich eine Schlange
emporbäumt, ist erhoben, seine Rechte vorgestreckt nach einem ihm gegenüber
stehenden Hopliten, dem er offenbar Befehle ertheilt. Persephone, deren hell¬
blondes Haar von einem Diadem aus Schlangenleibern umgeben ist, steht
neben dem Gatten. Der Hoplit ist mit drei schönen bärtigen Köpfen ver¬
sehen, von welchen jeder auf einem besonderen Halse aufsitzt, und kann, ob¬
wohl die beigefügte Inschrift es unentschieden läßt, ob „Gelun" oder „Gerun"
zu lesen sei, kein anderer sein als Geryones, der als Bewohner des äußersten
Westens, wo sich die Pforten der Nacht befanden, im antiken Mythos vielfach
zu den unterirdischen Gottheiten in Bezug gesetzt wurde und auch bei Virgil
in dem Vorhofe des Orcus auftritt. Auf unserem Wandgemälde steht er,
die Rechte auf den Speer gestützt, der Befehle des Todtenherrschers gewärtig.


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[0018] springt, die rollenden Augen, die gefletschten Zähne, die wild flatternden Haare, das grüngrauliche Colorit, in welchem seine Fleischtöne gehalten sind — alles dies macht, zumal in dem nur durch Feuerschein erleuchteten Grabe, einen höchst unheimlichen Eindruck. Einen eigenthümlichen Gegensatz zu dieser schrecklichen Gestalt bildet eine Mädchenfigur, von der leider nur der obere Theil erhalten ist. Ihr lorbeerbekränzter Kopf mit dem hinten in eine Binde zusammengefaßten Zopfe und den üppigen von dem Ohr über die Wange herabfallenden Locken zeigt die vollendete Schönheit der Blüthezeit der griechischen Kunst und erinnert auffällig an weibliche Typen, welche sich auf großgriechischen Münzen der besten Zeit finden. Obwohl die Malereien dieser Kammer ein beträchtlich vorgeschrittenes Stadium der Kunst verrathen, so herrscht doch noch die Zeichnung über das eigentliche malerische Verfahren vor; die Schattirung ist sehr wenig entwickelt, nur die wesentlichsten Schatten sind angegeben, jedoch nicht mit dem vollen Pinsel gemalt, sondern durch einzelne Pinselstriche schraffirt. Die Wandgemälde der zweiten Grabkammer stellen eine etwas mehr vorgeschrittene Entwickelung dar; die Pinselführung ist breiter, man erkennt deutlich das Streben, welches bald entschiedener, bald schwächer hervortritt, die Rundung der Körper anzudeuten; die Schatten sind bei einigen Figuren sehr markirt und mit breitem Pinsel ausgeführt, während sie bei anderen nur in andeutender Weise durch Schattirung wiedergegeben sind, sodaß man in der That auf den Gedanken kommen kann, es seien ver¬ schiedene Hände an den Gemälden dieser Kammer thätig gewesen. Die erhaltenen Theile der Composttion, etwa ein Drittel von dem ursprüng¬ lich Vorhandenen, lassen deutlich erkennen, daß die Unterwelt dargestellt war. Auf der Nordwand sehen wir die majestätischen Gestalten des Hades und der Persephone, beide durch etruskische Inschriften bezeichnet; der Gott, dessen schöner bärtiger Kopf zu den vollendetsten Leistungen antiker Malerei zu zählen ist, die auf uns gekommen, sitzt auf einem Sessel, die Exuvien eines Wolfes über dem Hinterkopf; sein linker Arm, über dem sich eine Schlange emporbäumt, ist erhoben, seine Rechte vorgestreckt nach einem ihm gegenüber stehenden Hopliten, dem er offenbar Befehle ertheilt. Persephone, deren hell¬ blondes Haar von einem Diadem aus Schlangenleibern umgeben ist, steht neben dem Gatten. Der Hoplit ist mit drei schönen bärtigen Köpfen ver¬ sehen, von welchen jeder auf einem besonderen Halse aufsitzt, und kann, ob¬ wohl die beigefügte Inschrift es unentschieden läßt, ob „Gelun" oder „Gerun" zu lesen sei, kein anderer sein als Geryones, der als Bewohner des äußersten Westens, wo sich die Pforten der Nacht befanden, im antiken Mythos vielfach zu den unterirdischen Gottheiten in Bezug gesetzt wurde und auch bei Virgil in dem Vorhofe des Orcus auftritt. Auf unserem Wandgemälde steht er, die Rechte auf den Speer gestützt, der Befehle des Todtenherrschers gewärtig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/18>, abgerufen am 16.06.2024.