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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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deren durch die nachfolgende Ehe vorehelich geborene Kinder des betreffenden
Paares legitimirt werden. Vervollständigt wird dieser Artikel durch den
Zusatz zu Art. 53, nach welchem Niemand sich in Eheangelegenheiten einer
geistlichen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen hat.

Einen großen Fortschritt enthält der Art. über die religiösen Ver¬
hältnisse. Während bisher die freie Ausübung des Gottesdienstes nur den
"anerkannten christlichen Confessionen" (!) gewährleistet war, soll nun
diese thatsächlich allerdings kaum noch bestehende Einschränkung auch ver¬
fassungsmäßig fallen und die Cultusfreiheit allen Religionen garantirt sein
-- natürlich "innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen
Ordnung." Im übrigen lautet dieser Art. wörtlich so: "Die Gewissensfrei¬
heit wird gewährleistet. In der Ausübung der bürgerlichen und politischen
Rechte darf Niemand um des Glaubensbekenntnisses willen beschränkt oder
zur Vornahme einer religiösen Handlung verhalten werden. Niemand ist
gehalten, für eigentliche Cultuszwecke einer Confession oder Religionsgenossen¬
schaft, der er nicht angehört. Steuern zu bezahlen. Das Glaubensbekenntniß
entbindet nicht von der Erfüllung bürgerlicher Pflichten. Den Kantonen
sowie dem Bunde bleibt es vorbehalten, für Handhabung der öffentlichen
Ordnung und des Friedens unter den Confessionen die geeigneten Ma߬
nahmen zu treffen." In diesen Bestimmungen liegt eine Gewähr gegen
geistliche Unterdrückungssucht und ohne Zweifel verdanken wir dieselben einem
erfreulichen ersten Rückschlag gegen den vom sogenannten ökumenischen Concil
versuchten Glaubensdespotismus. In der Bestimmung, daß Niemand zur
Vornahme einer religiösen Handlung angehalten werden dürfe, liegt nicht
nur die Aufhebung der Zwangstaufe, des Zwangsconfirmandenunterrichts
und der Zwangsconfirmation, sondern auch die Garantie des Civilbegräb¬
nisses und der Civilehe. -- Ueber alles dies sind die Demokraten vollständig
befriedigt, mit einziger Ausnahme der Redactton des Satzes, nach welchem
Niemand für den Cultus einer fremden Confession zur Steuerzahlung an¬
gehalten werden darf. Sie meinen, der angestrebte Zweck sei richtig, aber der
Weg zu dessen Erreichung würde nur zu allmälig ins Unendliche sich stei¬
gernden Steuerrecursen führen. Im Uebrigen liegt aber dieser Bestimmung
die Idee der endlichen Trennung von Staat und Kirche zu Grunde, welche
wohl theoretisch bei keiner der beiden großen Parteien auf Widerstand
stoßen dürfte.

Betreffs der Rechts einheit sollen durch Bundesgesetze für die ganze
Schweiz einheitlich geordnet werden: die Rechtsverhältnisse des Transportes
und der Spedition von Waaren und Personen, ferner die Vorschriften über
Bestimmung der Gewähr für Viehhauptmängel und endlich diejenigen über
den Schutz des schriftstellerischen und künstlerischen Eigenthums. Die erste


deren durch die nachfolgende Ehe vorehelich geborene Kinder des betreffenden
Paares legitimirt werden. Vervollständigt wird dieser Artikel durch den
Zusatz zu Art. 53, nach welchem Niemand sich in Eheangelegenheiten einer
geistlichen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen hat.

Einen großen Fortschritt enthält der Art. über die religiösen Ver¬
hältnisse. Während bisher die freie Ausübung des Gottesdienstes nur den
„anerkannten christlichen Confessionen" (!) gewährleistet war, soll nun
diese thatsächlich allerdings kaum noch bestehende Einschränkung auch ver¬
fassungsmäßig fallen und die Cultusfreiheit allen Religionen garantirt sein
— natürlich „innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen
Ordnung." Im übrigen lautet dieser Art. wörtlich so: „Die Gewissensfrei¬
heit wird gewährleistet. In der Ausübung der bürgerlichen und politischen
Rechte darf Niemand um des Glaubensbekenntnisses willen beschränkt oder
zur Vornahme einer religiösen Handlung verhalten werden. Niemand ist
gehalten, für eigentliche Cultuszwecke einer Confession oder Religionsgenossen¬
schaft, der er nicht angehört. Steuern zu bezahlen. Das Glaubensbekenntniß
entbindet nicht von der Erfüllung bürgerlicher Pflichten. Den Kantonen
sowie dem Bunde bleibt es vorbehalten, für Handhabung der öffentlichen
Ordnung und des Friedens unter den Confessionen die geeigneten Ma߬
nahmen zu treffen." In diesen Bestimmungen liegt eine Gewähr gegen
geistliche Unterdrückungssucht und ohne Zweifel verdanken wir dieselben einem
erfreulichen ersten Rückschlag gegen den vom sogenannten ökumenischen Concil
versuchten Glaubensdespotismus. In der Bestimmung, daß Niemand zur
Vornahme einer religiösen Handlung angehalten werden dürfe, liegt nicht
nur die Aufhebung der Zwangstaufe, des Zwangsconfirmandenunterrichts
und der Zwangsconfirmation, sondern auch die Garantie des Civilbegräb¬
nisses und der Civilehe. — Ueber alles dies sind die Demokraten vollständig
befriedigt, mit einziger Ausnahme der Redactton des Satzes, nach welchem
Niemand für den Cultus einer fremden Confession zur Steuerzahlung an¬
gehalten werden darf. Sie meinen, der angestrebte Zweck sei richtig, aber der
Weg zu dessen Erreichung würde nur zu allmälig ins Unendliche sich stei¬
gernden Steuerrecursen führen. Im Uebrigen liegt aber dieser Bestimmung
die Idee der endlichen Trennung von Staat und Kirche zu Grunde, welche
wohl theoretisch bei keiner der beiden großen Parteien auf Widerstand
stoßen dürfte.

Betreffs der Rechts einheit sollen durch Bundesgesetze für die ganze
Schweiz einheitlich geordnet werden: die Rechtsverhältnisse des Transportes
und der Spedition von Waaren und Personen, ferner die Vorschriften über
Bestimmung der Gewähr für Viehhauptmängel und endlich diejenigen über
den Schutz des schriftstellerischen und künstlerischen Eigenthums. Die erste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/100>, abgerufen am 17.06.2024.