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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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gelassenen Kantonsbürger gleichzustellen u. s. w. Die Rechte der Nieder¬
gelassenen erhalten dadurch eine erhebliche Erweiterung und es liegt darin
die grundsätzliche Anerkennung, daß die Letzteren nicht mehr blos als Gedul¬
dete, wie bisher in vielen Kantonen, sondern als Schweizerbürger mit be¬
stimmten Rechten zu betrachten sind, und wenn auch nicht, wie es die De¬
mokraten anstreben, ein förmliches allgemeines Schweizerbürgerrecht etablirt
wird, so erhält doch das im Kantonsbürgerrecht inbegriffene schweizerische
einen praktischen Gehalt und Werth, der ihm bisher fehlte.

In Betreff der politischen Rechte stellt der neue Art. 22 für eid¬
genössische Abstimmungen absolut den Wohnsitz als Abstimmungsort, und als
einzige Voraussetzung für das Stimmen den Ausweis über die Stimmbe¬
rechtigung fest. In kantonalen Angelegenheiten genießt der Schweizerbürger
die gleichen Rechte wie der Bürger des Kantons, in welchem er wohnt. Der
Art. 43 über den Erwerb des Schweizerbürgerrechts durch Aus-
länder erhielt seine eigenthümliche, weder von den Liberalen noch von den
Demokraten gebilligte Fassung wesentlich in Folge der letztes Jahr mit den
Quasi-Bürgern w xartidus, den Frankfurtern, gemachten unangenehmen Er¬
fahrungen. "Ausländer haben zuerst die Ermächtigung des Bundesrathes
nachzusuchen. Die Prüfung dieser Behörde beschränkt sich auf das Verhält¬
niß des Gesuchstellers zu seinem bisherigen Staatsverbande und es soll die
Ermächtigung ertheilt werden auf den Nachweis, daß dieser Verband mit der
Ertheilung des Schweizerbürgerrechts gelöst ist. Ohne Vorweis dieser Er¬
mächtigung darf kein Kanton einen Ausländer in sein Bürgerrecht aufneh¬
men." Während sich hier die Liberalen an der Vermehrung der Formali¬
täten stoßen und sich der Hoffnung hingeben, es werden sich passendere
Mittel und Wrge finden, um zu dem auch von.ihnen angestrebten Ziele
zu gelangen, meinen die Demokraten sehr charakteristisch: es würde ihnen
trotz aller Erfahrungen mit den Frankfurtern widerstreben, eine Bestimmung
in die Verfassung aufzunehmen, welche ihre Entstehung lediglich dem Bedürf¬
niß der umliegenden Staaten nach "Kanonenfutter" verdanke.

Allseitige Anerkennung finden die vom Bundesrath beantragten durch¬
schlagenden, exacten und freisinnigen Bestimmungen über die Eheschließung.
"Das Recht zur Ehe wird unter den Schutz des Bundes gestellt. Dasselbe
darf nicht beschränkt werden aus ökonomischen Rücksichten oder aus Rücksicht
auf das bisherige Verhalten oder aus andern polizeilichen Gründen" u. s. w.
Gegen die Chicanen geistlicher oder weltlicher Behörden also, wie sie bei uns
noch alltäglich bei Eheschließungen vorkommen, soll der Schweizerbürger
künstig geschützt sein. Hiermit wird in principieller und energischer Weise mit
dem bei uns praktisch zur Norm gewordenen Grundsatze gebrochen, daß nur
der Reiche heirathen dürfe. Ebenso human ist die weitere Bestimmung, kraft


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gelassenen Kantonsbürger gleichzustellen u. s. w. Die Rechte der Nieder¬
gelassenen erhalten dadurch eine erhebliche Erweiterung und es liegt darin
die grundsätzliche Anerkennung, daß die Letzteren nicht mehr blos als Gedul¬
dete, wie bisher in vielen Kantonen, sondern als Schweizerbürger mit be¬
stimmten Rechten zu betrachten sind, und wenn auch nicht, wie es die De¬
mokraten anstreben, ein förmliches allgemeines Schweizerbürgerrecht etablirt
wird, so erhält doch das im Kantonsbürgerrecht inbegriffene schweizerische
einen praktischen Gehalt und Werth, der ihm bisher fehlte.

In Betreff der politischen Rechte stellt der neue Art. 22 für eid¬
genössische Abstimmungen absolut den Wohnsitz als Abstimmungsort, und als
einzige Voraussetzung für das Stimmen den Ausweis über die Stimmbe¬
rechtigung fest. In kantonalen Angelegenheiten genießt der Schweizerbürger
die gleichen Rechte wie der Bürger des Kantons, in welchem er wohnt. Der
Art. 43 über den Erwerb des Schweizerbürgerrechts durch Aus-
länder erhielt seine eigenthümliche, weder von den Liberalen noch von den
Demokraten gebilligte Fassung wesentlich in Folge der letztes Jahr mit den
Quasi-Bürgern w xartidus, den Frankfurtern, gemachten unangenehmen Er¬
fahrungen. „Ausländer haben zuerst die Ermächtigung des Bundesrathes
nachzusuchen. Die Prüfung dieser Behörde beschränkt sich auf das Verhält¬
niß des Gesuchstellers zu seinem bisherigen Staatsverbande und es soll die
Ermächtigung ertheilt werden auf den Nachweis, daß dieser Verband mit der
Ertheilung des Schweizerbürgerrechts gelöst ist. Ohne Vorweis dieser Er¬
mächtigung darf kein Kanton einen Ausländer in sein Bürgerrecht aufneh¬
men." Während sich hier die Liberalen an der Vermehrung der Formali¬
täten stoßen und sich der Hoffnung hingeben, es werden sich passendere
Mittel und Wrge finden, um zu dem auch von.ihnen angestrebten Ziele
zu gelangen, meinen die Demokraten sehr charakteristisch: es würde ihnen
trotz aller Erfahrungen mit den Frankfurtern widerstreben, eine Bestimmung
in die Verfassung aufzunehmen, welche ihre Entstehung lediglich dem Bedürf¬
niß der umliegenden Staaten nach „Kanonenfutter" verdanke.

Allseitige Anerkennung finden die vom Bundesrath beantragten durch¬
schlagenden, exacten und freisinnigen Bestimmungen über die Eheschließung.
„Das Recht zur Ehe wird unter den Schutz des Bundes gestellt. Dasselbe
darf nicht beschränkt werden aus ökonomischen Rücksichten oder aus Rücksicht
auf das bisherige Verhalten oder aus andern polizeilichen Gründen" u. s. w.
Gegen die Chicanen geistlicher oder weltlicher Behörden also, wie sie bei uns
noch alltäglich bei Eheschließungen vorkommen, soll der Schweizerbürger
künstig geschützt sein. Hiermit wird in principieller und energischer Weise mit
dem bei uns praktisch zur Norm gewordenen Grundsatze gebrochen, daß nur
der Reiche heirathen dürfe. Ebenso human ist die weitere Bestimmung, kraft


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[0099] gelassenen Kantonsbürger gleichzustellen u. s. w. Die Rechte der Nieder¬ gelassenen erhalten dadurch eine erhebliche Erweiterung und es liegt darin die grundsätzliche Anerkennung, daß die Letzteren nicht mehr blos als Gedul¬ dete, wie bisher in vielen Kantonen, sondern als Schweizerbürger mit be¬ stimmten Rechten zu betrachten sind, und wenn auch nicht, wie es die De¬ mokraten anstreben, ein förmliches allgemeines Schweizerbürgerrecht etablirt wird, so erhält doch das im Kantonsbürgerrecht inbegriffene schweizerische einen praktischen Gehalt und Werth, der ihm bisher fehlte. In Betreff der politischen Rechte stellt der neue Art. 22 für eid¬ genössische Abstimmungen absolut den Wohnsitz als Abstimmungsort, und als einzige Voraussetzung für das Stimmen den Ausweis über die Stimmbe¬ rechtigung fest. In kantonalen Angelegenheiten genießt der Schweizerbürger die gleichen Rechte wie der Bürger des Kantons, in welchem er wohnt. Der Art. 43 über den Erwerb des Schweizerbürgerrechts durch Aus- länder erhielt seine eigenthümliche, weder von den Liberalen noch von den Demokraten gebilligte Fassung wesentlich in Folge der letztes Jahr mit den Quasi-Bürgern w xartidus, den Frankfurtern, gemachten unangenehmen Er¬ fahrungen. „Ausländer haben zuerst die Ermächtigung des Bundesrathes nachzusuchen. Die Prüfung dieser Behörde beschränkt sich auf das Verhält¬ niß des Gesuchstellers zu seinem bisherigen Staatsverbande und es soll die Ermächtigung ertheilt werden auf den Nachweis, daß dieser Verband mit der Ertheilung des Schweizerbürgerrechts gelöst ist. Ohne Vorweis dieser Er¬ mächtigung darf kein Kanton einen Ausländer in sein Bürgerrecht aufneh¬ men." Während sich hier die Liberalen an der Vermehrung der Formali¬ täten stoßen und sich der Hoffnung hingeben, es werden sich passendere Mittel und Wrge finden, um zu dem auch von.ihnen angestrebten Ziele zu gelangen, meinen die Demokraten sehr charakteristisch: es würde ihnen trotz aller Erfahrungen mit den Frankfurtern widerstreben, eine Bestimmung in die Verfassung aufzunehmen, welche ihre Entstehung lediglich dem Bedürf¬ niß der umliegenden Staaten nach „Kanonenfutter" verdanke. Allseitige Anerkennung finden die vom Bundesrath beantragten durch¬ schlagenden, exacten und freisinnigen Bestimmungen über die Eheschließung. „Das Recht zur Ehe wird unter den Schutz des Bundes gestellt. Dasselbe darf nicht beschränkt werden aus ökonomischen Rücksichten oder aus Rücksicht auf das bisherige Verhalten oder aus andern polizeilichen Gründen" u. s. w. Gegen die Chicanen geistlicher oder weltlicher Behörden also, wie sie bei uns noch alltäglich bei Eheschließungen vorkommen, soll der Schweizerbürger künstig geschützt sein. Hiermit wird in principieller und energischer Weise mit dem bei uns praktisch zur Norm gewordenen Grundsatze gebrochen, daß nur der Reiche heirathen dürfe. Ebenso human ist die weitere Bestimmung, kraft 12*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/99>, abgerufen am 17.06.2024.