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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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selben und Lothair wird verwundet nach Rom in ein Hospital gebracht. Obwohl
auch in dieser Partie schöne Schilderungen vorkommen und namentlich der
Charakter Theodora's in seinem antiken Adel etwas sehr Fesselndes hat, so
sind doch starke Einwendungen zu machen; die revolutionäre Partei erscheint
eher absurd als furchtbar und der Verfasser überschätzt die Macht und Or¬
ganisation der geheimen Gesellschaften, der Marianne in Frankreich, der
Madre Natura in Italien, offenbar stark; auch von Mazzini, den Lothair in
einem Fenier-Meeting trifft, wird ein ziemlich abenteuerliches Bild entworfen.

In Rom fällt nun Lothair den englischen Convertiten wieder in die
Hände. Eine barmherzige Schwester, Miß Arundel, findet ihn im Hospital,
die Se. Jeromes lassen ihn in den Palast bringen, den sie mit dem Cardinal
und seinen Anhängern bewohnen. Seine Wunde heilt bald und statt Vor¬
würfe zu empfangen, wird er als Begnadigter des Himmels behandelt. Aus
Dankbarkeit für seine Pflegerin wohnt er in der Jesuitsnkirche einem Tedeum
für die Errettung des Papstthums bei und trägt die Weihererze. Am nächsten
Tage liest er im offiziellen Journal einen Bericht von den Heldenthaten, die
er bei Mendana für die Sache des heil. Stuhles ausgeführt haben soll und
von seinem Uebertritte in die alleinseligmachende Kirche, wozu er durch eine
Erscheinung der heil. Jungfrau veranlaßt worden sei. Diese Fälschung ist
ihm denn doch zu arg, das Andenken Theodora's erwacht, er gedenkt ihrer
Bitte, sich nie von den Pavalini fangen zu lassen und entflieht auf einem
offenen Boote nach Malta. Dort trifft er eine ihm bekannte englische Künstler¬
familie, reist mit ihr in die Levante, kehrt nach England zurück, tröstet Clarc
Arundel mit einem Smaragdkreuz von unermeßlichen Werthe, in dessen
Ecken er heilige Erde aus Jerusalem hat anbringen lassen, widerlegt aber
andrerseits schlagend alle Gerüchte über seinen Uebertritt, indem er sich mit
Lady Corisande verlobt.

Dieser letzte Theil ist der schwächste, nicht sowohl wegen der Lösung,
als weil das lange UmHerreisen in Kleinasien, die Expeditionen und Ge¬
spräche, die uns dort vorgeführt werden, ganz zwecklose Excurse in der Ge¬
schichte bilden, wobei die Wirklichkeit mit unbilliger Freiheit behandelt wird.
Die Lösung selbst dagegen können wir insofern nicht unbefriedigend finden,
als Corisande und das in ihrer Familie repräsentirte englische Leben wirklich
als die Partei der Vernunft und guten Einsicht erscheint; aber allerdings
eine Lösung von einem höheren Standpunkte ist es nicht. Wenn Disraeli
seinen Helden nicht im Katholicismus untergehen lassen wollte, wie sein Vor¬
bild es that, so hätte er den Conflict nicht durch eine Heirath äußerlich be-
seitigen. sondern innerlich durchfechten lassen müssen. Davon aber gewahren
wir nichts, die Gespräche Lothair's mit einem nebelhaft auftauchenden Syrer
geben keinen Anhaltepunkt für das, was sich in seinem Innern vollzieht,


selben und Lothair wird verwundet nach Rom in ein Hospital gebracht. Obwohl
auch in dieser Partie schöne Schilderungen vorkommen und namentlich der
Charakter Theodora's in seinem antiken Adel etwas sehr Fesselndes hat, so
sind doch starke Einwendungen zu machen; die revolutionäre Partei erscheint
eher absurd als furchtbar und der Verfasser überschätzt die Macht und Or¬
ganisation der geheimen Gesellschaften, der Marianne in Frankreich, der
Madre Natura in Italien, offenbar stark; auch von Mazzini, den Lothair in
einem Fenier-Meeting trifft, wird ein ziemlich abenteuerliches Bild entworfen.

In Rom fällt nun Lothair den englischen Convertiten wieder in die
Hände. Eine barmherzige Schwester, Miß Arundel, findet ihn im Hospital,
die Se. Jeromes lassen ihn in den Palast bringen, den sie mit dem Cardinal
und seinen Anhängern bewohnen. Seine Wunde heilt bald und statt Vor¬
würfe zu empfangen, wird er als Begnadigter des Himmels behandelt. Aus
Dankbarkeit für seine Pflegerin wohnt er in der Jesuitsnkirche einem Tedeum
für die Errettung des Papstthums bei und trägt die Weihererze. Am nächsten
Tage liest er im offiziellen Journal einen Bericht von den Heldenthaten, die
er bei Mendana für die Sache des heil. Stuhles ausgeführt haben soll und
von seinem Uebertritte in die alleinseligmachende Kirche, wozu er durch eine
Erscheinung der heil. Jungfrau veranlaßt worden sei. Diese Fälschung ist
ihm denn doch zu arg, das Andenken Theodora's erwacht, er gedenkt ihrer
Bitte, sich nie von den Pavalini fangen zu lassen und entflieht auf einem
offenen Boote nach Malta. Dort trifft er eine ihm bekannte englische Künstler¬
familie, reist mit ihr in die Levante, kehrt nach England zurück, tröstet Clarc
Arundel mit einem Smaragdkreuz von unermeßlichen Werthe, in dessen
Ecken er heilige Erde aus Jerusalem hat anbringen lassen, widerlegt aber
andrerseits schlagend alle Gerüchte über seinen Uebertritt, indem er sich mit
Lady Corisande verlobt.

Dieser letzte Theil ist der schwächste, nicht sowohl wegen der Lösung,
als weil das lange UmHerreisen in Kleinasien, die Expeditionen und Ge¬
spräche, die uns dort vorgeführt werden, ganz zwecklose Excurse in der Ge¬
schichte bilden, wobei die Wirklichkeit mit unbilliger Freiheit behandelt wird.
Die Lösung selbst dagegen können wir insofern nicht unbefriedigend finden,
als Corisande und das in ihrer Familie repräsentirte englische Leben wirklich
als die Partei der Vernunft und guten Einsicht erscheint; aber allerdings
eine Lösung von einem höheren Standpunkte ist es nicht. Wenn Disraeli
seinen Helden nicht im Katholicismus untergehen lassen wollte, wie sein Vor¬
bild es that, so hätte er den Conflict nicht durch eine Heirath äußerlich be-
seitigen. sondern innerlich durchfechten lassen müssen. Davon aber gewahren
wir nichts, die Gespräche Lothair's mit einem nebelhaft auftauchenden Syrer
geben keinen Anhaltepunkt für das, was sich in seinem Innern vollzieht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/111>, abgerufen am 17.06.2024.