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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Arbeit des neun Jahre lang unausgeführt gebliebenen Gesetzes der Gerichts¬
organisation, deren Zustandebringen dreizehn Jahre wiederholter Berath¬
schlagung gekostet hat!

Das agrarische Gesetz gibt dem Javanen, was ihm das Gesetz zur Re-
gulirung der Zuckerkuitur wieder nimmt, nämlich das Recht, den von
ihm bebauten Grund und Boden als sein volles Eigenthum zu betrachten.
Nach dem ersten Gesetz kann er von der Regierung verlangen, daß sie ihm
eine Urkunde darüber gibt, nach dem zweiten hat die Regierung wieder das
Recht, über dieses Eigenthum und dann noch weiter über seine Arbeitskraft
nach Belieben zu Gunsten der Zuckerfabrikanten zu verfügen. Die Thatsache,
daß dieselbe Kammer in derselben Sitzungsperiode und kurz hinter einander
zwei sich so sehr widersprechende Gesetze annehmen konnte, bildet ein hübsches
Zeugniß politischer Planlosigkeit. Die Arbeit in den Zuckerplantagen, welche
die Javanen zu leisten gezwungen sind, ist eine schwere Bürde auf ihren
Schultern und wurde allgemein als Mißbrauch angesehen. Anstatt den¬
selben nun abzuschaffen, hat man ihn durch ein Gesetz für 20 Jahre lang
sanctionirt; und warum? Weil ti^ holländische Regierung, um eine Ein¬
nahme von ungefähr 3 Millionen zu ziehen, den Zuckerpflanzern eine so hohe
Steuer aufbürdet, daß die Pflanzer, resp. Fabrikanten den Lohn freier Arbeiter
nicht bezahlen können. Sie würden zu Grunde gehen, wenn ihnen die Re¬
gierung nicht entweder die Steuer erließe oder billige Arbeitskräfte und
freien Gebrauch der Ländereien verschaffte. Es sind also wieder die traurigen
Finanzen des Mutterlandes, welche die Veranlassung nicht allein zu einer
solchen zerfahrenen Gesetzgebung sind, sondern auch der pflichtmäßigen Aus¬
übung von Recht und Billigkeit im Wege stehen. Aber durch jahrhundert¬
lange schlechte Wirthschaft haben wir uns so fest in ein verwerfliches Colo-
nialsystem hineingearbeitet, daß wir nur mit eigener größter Aufopferung
aus demselben herauskommen können, und dazu sind wir noch immer nicht
bereit. Auch die gehörige Einsicht in den wirklichen Zustand fehlt noch fast
überall.

In der "Klage aus Holland" in Ur. 23 Ihrer Blätter ist ein anderer
schwarzer Punkt der holländischen Politik gegen die Eingebornen der Colo-
nien erörtert. Die "Neue Rotterdammer Courant", unter unsern Zeitungen
wohl die am besten redigirte und am meisten geachtete, bestreitet oder besser
gesagt verdächtigt einen Auszug aus dieser "Klage", den die Kölnische
Zeitung brachte. Das gibt mir Veranlassung, Ihnen einmal an einem Bei¬
spiel zu zeigen, wie man bei uns zu Lande öffentliche Angelegenheiten in der
Tagespresse behandelt. Die N. R. C. leugnet keine der in der "Klage" mit¬
getheilten Thatsachen; ja, sie weiß sogar von noch schlimmern Dingen, näm¬
lich Mißhandlung und Schändung der Leichen durch die siegestrunken von,


Arbeit des neun Jahre lang unausgeführt gebliebenen Gesetzes der Gerichts¬
organisation, deren Zustandebringen dreizehn Jahre wiederholter Berath¬
schlagung gekostet hat!

Das agrarische Gesetz gibt dem Javanen, was ihm das Gesetz zur Re-
gulirung der Zuckerkuitur wieder nimmt, nämlich das Recht, den von
ihm bebauten Grund und Boden als sein volles Eigenthum zu betrachten.
Nach dem ersten Gesetz kann er von der Regierung verlangen, daß sie ihm
eine Urkunde darüber gibt, nach dem zweiten hat die Regierung wieder das
Recht, über dieses Eigenthum und dann noch weiter über seine Arbeitskraft
nach Belieben zu Gunsten der Zuckerfabrikanten zu verfügen. Die Thatsache,
daß dieselbe Kammer in derselben Sitzungsperiode und kurz hinter einander
zwei sich so sehr widersprechende Gesetze annehmen konnte, bildet ein hübsches
Zeugniß politischer Planlosigkeit. Die Arbeit in den Zuckerplantagen, welche
die Javanen zu leisten gezwungen sind, ist eine schwere Bürde auf ihren
Schultern und wurde allgemein als Mißbrauch angesehen. Anstatt den¬
selben nun abzuschaffen, hat man ihn durch ein Gesetz für 20 Jahre lang
sanctionirt; und warum? Weil ti^ holländische Regierung, um eine Ein¬
nahme von ungefähr 3 Millionen zu ziehen, den Zuckerpflanzern eine so hohe
Steuer aufbürdet, daß die Pflanzer, resp. Fabrikanten den Lohn freier Arbeiter
nicht bezahlen können. Sie würden zu Grunde gehen, wenn ihnen die Re¬
gierung nicht entweder die Steuer erließe oder billige Arbeitskräfte und
freien Gebrauch der Ländereien verschaffte. Es sind also wieder die traurigen
Finanzen des Mutterlandes, welche die Veranlassung nicht allein zu einer
solchen zerfahrenen Gesetzgebung sind, sondern auch der pflichtmäßigen Aus¬
übung von Recht und Billigkeit im Wege stehen. Aber durch jahrhundert¬
lange schlechte Wirthschaft haben wir uns so fest in ein verwerfliches Colo-
nialsystem hineingearbeitet, daß wir nur mit eigener größter Aufopferung
aus demselben herauskommen können, und dazu sind wir noch immer nicht
bereit. Auch die gehörige Einsicht in den wirklichen Zustand fehlt noch fast
überall.

In der „Klage aus Holland" in Ur. 23 Ihrer Blätter ist ein anderer
schwarzer Punkt der holländischen Politik gegen die Eingebornen der Colo-
nien erörtert. Die „Neue Rotterdammer Courant", unter unsern Zeitungen
wohl die am besten redigirte und am meisten geachtete, bestreitet oder besser
gesagt verdächtigt einen Auszug aus dieser „Klage", den die Kölnische
Zeitung brachte. Das gibt mir Veranlassung, Ihnen einmal an einem Bei¬
spiel zu zeigen, wie man bei uns zu Lande öffentliche Angelegenheiten in der
Tagespresse behandelt. Die N. R. C. leugnet keine der in der „Klage" mit¬
getheilten Thatsachen; ja, sie weiß sogar von noch schlimmern Dingen, näm¬
lich Mißhandlung und Schändung der Leichen durch die siegestrunken von,


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[0114] Arbeit des neun Jahre lang unausgeführt gebliebenen Gesetzes der Gerichts¬ organisation, deren Zustandebringen dreizehn Jahre wiederholter Berath¬ schlagung gekostet hat! Das agrarische Gesetz gibt dem Javanen, was ihm das Gesetz zur Re- gulirung der Zuckerkuitur wieder nimmt, nämlich das Recht, den von ihm bebauten Grund und Boden als sein volles Eigenthum zu betrachten. Nach dem ersten Gesetz kann er von der Regierung verlangen, daß sie ihm eine Urkunde darüber gibt, nach dem zweiten hat die Regierung wieder das Recht, über dieses Eigenthum und dann noch weiter über seine Arbeitskraft nach Belieben zu Gunsten der Zuckerfabrikanten zu verfügen. Die Thatsache, daß dieselbe Kammer in derselben Sitzungsperiode und kurz hinter einander zwei sich so sehr widersprechende Gesetze annehmen konnte, bildet ein hübsches Zeugniß politischer Planlosigkeit. Die Arbeit in den Zuckerplantagen, welche die Javanen zu leisten gezwungen sind, ist eine schwere Bürde auf ihren Schultern und wurde allgemein als Mißbrauch angesehen. Anstatt den¬ selben nun abzuschaffen, hat man ihn durch ein Gesetz für 20 Jahre lang sanctionirt; und warum? Weil ti^ holländische Regierung, um eine Ein¬ nahme von ungefähr 3 Millionen zu ziehen, den Zuckerpflanzern eine so hohe Steuer aufbürdet, daß die Pflanzer, resp. Fabrikanten den Lohn freier Arbeiter nicht bezahlen können. Sie würden zu Grunde gehen, wenn ihnen die Re¬ gierung nicht entweder die Steuer erließe oder billige Arbeitskräfte und freien Gebrauch der Ländereien verschaffte. Es sind also wieder die traurigen Finanzen des Mutterlandes, welche die Veranlassung nicht allein zu einer solchen zerfahrenen Gesetzgebung sind, sondern auch der pflichtmäßigen Aus¬ übung von Recht und Billigkeit im Wege stehen. Aber durch jahrhundert¬ lange schlechte Wirthschaft haben wir uns so fest in ein verwerfliches Colo- nialsystem hineingearbeitet, daß wir nur mit eigener größter Aufopferung aus demselben herauskommen können, und dazu sind wir noch immer nicht bereit. Auch die gehörige Einsicht in den wirklichen Zustand fehlt noch fast überall. In der „Klage aus Holland" in Ur. 23 Ihrer Blätter ist ein anderer schwarzer Punkt der holländischen Politik gegen die Eingebornen der Colo- nien erörtert. Die „Neue Rotterdammer Courant", unter unsern Zeitungen wohl die am besten redigirte und am meisten geachtete, bestreitet oder besser gesagt verdächtigt einen Auszug aus dieser „Klage", den die Kölnische Zeitung brachte. Das gibt mir Veranlassung, Ihnen einmal an einem Bei¬ spiel zu zeigen, wie man bei uns zu Lande öffentliche Angelegenheiten in der Tagespresse behandelt. Die N. R. C. leugnet keine der in der „Klage" mit¬ getheilten Thatsachen; ja, sie weiß sogar von noch schlimmern Dingen, näm¬ lich Mißhandlung und Schändung der Leichen durch die siegestrunken von,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/114>, abgerufen am 26.05.2024.