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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Commenda abziehenden Holländer. Aber die D a röte it u n gs w el s e hat
ihren Zorn erregt. "Daß diese kleine Nation", höhnt sie, "die durch Wilde
so schnell beleidigt, so eitel auf ihre Flagge, so rachsüchtig, so inconsequent.
so blutdurstig ist, diese reichen, großen Inseln im fruchtbaren Ostindien besitzt,
ist eine Schande: sie würden ein schöner Boden für deutschen Handelsgeist
und deutsche Humanität sein!" -- In ihrer Annahme, der Schreiber der
"Klage" in den Grenzboten müsse ein vermummter Preuße sein, spricht sie ihm
das Recht ab, über die Pflichten einer Colonialregierung zu urtheilen, weil
Jemand, der keine Colonien besitzt, von der Verwaltung derselben nichts ver¬
stehe. In ihrer Feindschaft gegen Preußen und dem Mißtrauen gegen Alles,
was in der dortigen Presse über uns geschrieben wird, findet sie nicht nöthig,
irgend einen Grund gegen Ihren Correspondenten geltend zu machen und
ebenso wenig würdigt sie die Materie selbst einer eigenen Untersuchung.
Patriotisch wäre, Alles zuthun, um solche Vorkommnisse unmöglich zu machen.
Statt dessen wird in allen Fällen die Schonung des Nationaldünkels als
oberstes Gesetz betrachtet. Und nicht blos bei unserer Journalistik. Schon
aus der Schule fängt man an, diese Selbstverherrlichung unserer Nation und
das Gefühl der Erhabenheit über andere Völker der Jugend einzuimpfen,
das bis in die untersten Schichten der Bevölkerung durchgedrungen ist. Aber
die kritiklose Verherrlichung der Vorfahren kann das Gefühl eigener Kraft
weder erhöhen noch ersetzen. Und Holland scheint gerade jetzt bei einer Krisis
angelangt, die vor allem den sittlichen Muth fordert, seine Fehler zu be¬
kennen und neue Entschlüsse zu fassen. Einzelne gibt es auch bei uns, die
sich über den specifisch altholländischen Standpunkt hinaufgearbeitet haben,
und die das Heil der Nation nicht in einer lächerlichen Furcht vor den Nach¬
barn und in chinesischer Abschließung erblicken Wir haben bei uns Mancherlei,
was besser ist als anderswo und genug, woraus wir stolz sein können, umso
aufrichtiger sollte man sich über die eingerosteten Schäden Rechenschaft geben, die
unserer politischen Existenz anhaften. Darin nun erblickt eine sich neu bil¬
dende Partei ihre Ausgabe, die zur Zeit unter dem Namen der "Radicalen"
noch klein ist, durch ihren Muth und ihre Energie aber die jetzigen Liberalen
ebenso überholen wird, wie in England die Gladstone-Bright'sche Partei die
alten Whigs verdrängt hat. In diesen Kreisen hat denn auch das Verhalten
der N. R. C. gegenüber Ihrer "Klage aus Holland" Widerspruch erfahren,
und die Wochenschrift "der niederländische spectator" hat keinen Anstand
genommen, einen ganz übereinstimmenden Artikel aufzunehmen, ein Zeichen
von Freimuth gegen sich selbst, dessen sich der wahre Patriot nur freuen kann.

Nur solcher Gesinnung wird es gelingen, die fatale Kehrseite unseres
Nationaldünkels zu tilgen, welche in der Kleinmüthigkeit besteht, die sofort
an den Tag tritt, wenn es darauf ankommt, die nationale Ehre gegen einen


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Commenda abziehenden Holländer. Aber die D a röte it u n gs w el s e hat
ihren Zorn erregt. „Daß diese kleine Nation", höhnt sie, „die durch Wilde
so schnell beleidigt, so eitel auf ihre Flagge, so rachsüchtig, so inconsequent.
so blutdurstig ist, diese reichen, großen Inseln im fruchtbaren Ostindien besitzt,
ist eine Schande: sie würden ein schöner Boden für deutschen Handelsgeist
und deutsche Humanität sein!" — In ihrer Annahme, der Schreiber der
„Klage" in den Grenzboten müsse ein vermummter Preuße sein, spricht sie ihm
das Recht ab, über die Pflichten einer Colonialregierung zu urtheilen, weil
Jemand, der keine Colonien besitzt, von der Verwaltung derselben nichts ver¬
stehe. In ihrer Feindschaft gegen Preußen und dem Mißtrauen gegen Alles,
was in der dortigen Presse über uns geschrieben wird, findet sie nicht nöthig,
irgend einen Grund gegen Ihren Correspondenten geltend zu machen und
ebenso wenig würdigt sie die Materie selbst einer eigenen Untersuchung.
Patriotisch wäre, Alles zuthun, um solche Vorkommnisse unmöglich zu machen.
Statt dessen wird in allen Fällen die Schonung des Nationaldünkels als
oberstes Gesetz betrachtet. Und nicht blos bei unserer Journalistik. Schon
aus der Schule fängt man an, diese Selbstverherrlichung unserer Nation und
das Gefühl der Erhabenheit über andere Völker der Jugend einzuimpfen,
das bis in die untersten Schichten der Bevölkerung durchgedrungen ist. Aber
die kritiklose Verherrlichung der Vorfahren kann das Gefühl eigener Kraft
weder erhöhen noch ersetzen. Und Holland scheint gerade jetzt bei einer Krisis
angelangt, die vor allem den sittlichen Muth fordert, seine Fehler zu be¬
kennen und neue Entschlüsse zu fassen. Einzelne gibt es auch bei uns, die
sich über den specifisch altholländischen Standpunkt hinaufgearbeitet haben,
und die das Heil der Nation nicht in einer lächerlichen Furcht vor den Nach¬
barn und in chinesischer Abschließung erblicken Wir haben bei uns Mancherlei,
was besser ist als anderswo und genug, woraus wir stolz sein können, umso
aufrichtiger sollte man sich über die eingerosteten Schäden Rechenschaft geben, die
unserer politischen Existenz anhaften. Darin nun erblickt eine sich neu bil¬
dende Partei ihre Ausgabe, die zur Zeit unter dem Namen der „Radicalen"
noch klein ist, durch ihren Muth und ihre Energie aber die jetzigen Liberalen
ebenso überholen wird, wie in England die Gladstone-Bright'sche Partei die
alten Whigs verdrängt hat. In diesen Kreisen hat denn auch das Verhalten
der N. R. C. gegenüber Ihrer „Klage aus Holland" Widerspruch erfahren,
und die Wochenschrift „der niederländische spectator" hat keinen Anstand
genommen, einen ganz übereinstimmenden Artikel aufzunehmen, ein Zeichen
von Freimuth gegen sich selbst, dessen sich der wahre Patriot nur freuen kann.

Nur solcher Gesinnung wird es gelingen, die fatale Kehrseite unseres
Nationaldünkels zu tilgen, welche in der Kleinmüthigkeit besteht, die sofort
an den Tag tritt, wenn es darauf ankommt, die nationale Ehre gegen einen


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[0115] Commenda abziehenden Holländer. Aber die D a röte it u n gs w el s e hat ihren Zorn erregt. „Daß diese kleine Nation", höhnt sie, „die durch Wilde so schnell beleidigt, so eitel auf ihre Flagge, so rachsüchtig, so inconsequent. so blutdurstig ist, diese reichen, großen Inseln im fruchtbaren Ostindien besitzt, ist eine Schande: sie würden ein schöner Boden für deutschen Handelsgeist und deutsche Humanität sein!" — In ihrer Annahme, der Schreiber der „Klage" in den Grenzboten müsse ein vermummter Preuße sein, spricht sie ihm das Recht ab, über die Pflichten einer Colonialregierung zu urtheilen, weil Jemand, der keine Colonien besitzt, von der Verwaltung derselben nichts ver¬ stehe. In ihrer Feindschaft gegen Preußen und dem Mißtrauen gegen Alles, was in der dortigen Presse über uns geschrieben wird, findet sie nicht nöthig, irgend einen Grund gegen Ihren Correspondenten geltend zu machen und ebenso wenig würdigt sie die Materie selbst einer eigenen Untersuchung. Patriotisch wäre, Alles zuthun, um solche Vorkommnisse unmöglich zu machen. Statt dessen wird in allen Fällen die Schonung des Nationaldünkels als oberstes Gesetz betrachtet. Und nicht blos bei unserer Journalistik. Schon aus der Schule fängt man an, diese Selbstverherrlichung unserer Nation und das Gefühl der Erhabenheit über andere Völker der Jugend einzuimpfen, das bis in die untersten Schichten der Bevölkerung durchgedrungen ist. Aber die kritiklose Verherrlichung der Vorfahren kann das Gefühl eigener Kraft weder erhöhen noch ersetzen. Und Holland scheint gerade jetzt bei einer Krisis angelangt, die vor allem den sittlichen Muth fordert, seine Fehler zu be¬ kennen und neue Entschlüsse zu fassen. Einzelne gibt es auch bei uns, die sich über den specifisch altholländischen Standpunkt hinaufgearbeitet haben, und die das Heil der Nation nicht in einer lächerlichen Furcht vor den Nach¬ barn und in chinesischer Abschließung erblicken Wir haben bei uns Mancherlei, was besser ist als anderswo und genug, woraus wir stolz sein können, umso aufrichtiger sollte man sich über die eingerosteten Schäden Rechenschaft geben, die unserer politischen Existenz anhaften. Darin nun erblickt eine sich neu bil¬ dende Partei ihre Ausgabe, die zur Zeit unter dem Namen der „Radicalen" noch klein ist, durch ihren Muth und ihre Energie aber die jetzigen Liberalen ebenso überholen wird, wie in England die Gladstone-Bright'sche Partei die alten Whigs verdrängt hat. In diesen Kreisen hat denn auch das Verhalten der N. R. C. gegenüber Ihrer „Klage aus Holland" Widerspruch erfahren, und die Wochenschrift „der niederländische spectator" hat keinen Anstand genommen, einen ganz übereinstimmenden Artikel aufzunehmen, ein Zeichen von Freimuth gegen sich selbst, dessen sich der wahre Patriot nur freuen kann. Nur solcher Gesinnung wird es gelingen, die fatale Kehrseite unseres Nationaldünkels zu tilgen, welche in der Kleinmüthigkeit besteht, die sofort an den Tag tritt, wenn es darauf ankommt, die nationale Ehre gegen einen 14*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/115>, abgerufen am 17.06.2024.