Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
nautische Tagesfragen.

Vor fünf Jahren wurde in Kiel die deutsche Gesellschaft zur Rettung
Schiffbrüchiger gegründet, Dank den zusammentreffenden Anregungen des
Dr. Emminghaus (damals Redacteur des Bremer Handelsblattes, jetzt Pro¬
fessor der Wirthschaftslehre in Karlsruhe) und des Capitän R. Werner von
der königlichen Manne. Nicht alle, aber doch die meisten der schon bestehen¬
den localen Vereine schlössen sich ihrer Organisation als Bezirksvereine an:
zurück blieben nur die Rettungsvereine zu Emden (für Ostfriesland), zu
Hamburg und zu Stralsund. Berechtigter und unberechtigter Particularis-
mus hielt diese Vereine vorläufig ab, sich anzuschließen -- der erklärliche
Wunsch, gewisse Vortheile nicht hinzugeben gegen ungewisse, zusammen mit
einer hohlen Eifersucht auf rivalistrende rührigere Plätze und verstockter pro¬
vinzieller Selbstgenügsamkeit. Doch gelang es der unablässig bohrenden Ar¬
beit des nationalen Gedankens, sachliche Bedenken gegen die Centralisation
der Rettungssache zu entkräften und widerstrebende subjective Stimmungen all-
mälig mürbe zu machen. Insbesondere bewährte sich der Nutzen der einheitlichen
Ordnung und des neugeschaffenen leitenden Mittelpunkts in Bremen über alle Er¬
wartung; was dadurch zu Gunsten des menschenfreundlichen Unternehmens
aus weiten binnenländischen Kreisen flüssig gemacht wurde, überstieg um
Vieles die Kosten der Centralstelle, gegen die Bezirksvereine übte der Vor¬
stand eine Politik weisen Gewährenlasfens und unbedingter Förderung, der
technische Inspector endlich brachte das nöthige Maß sachverständiger Con-
trole in die Küsteneinrichtungen, welche sonst allzu sehr dem Zufall und dem
guten Willen Weniger überlassen geblieben wären. Es förderte auch, daß die
Presse, soweit sie sich des Rettungswesens überhaupt thätig annahm, von
Anfang an die Sonderbündelei mißbilligte, den Vraußengebliebenen Vereinen
bei jedem Anlaß rieth, ebenfalls einzutreten. So kam erst der eine, dann der
zweite, zuletzt im vorigen Jahre auch der dritte. Dies war der Hamburger
Verein; die subjectiven Einwände haben eben oft zäheres Leben als sachliche
Bedenken, wie sie der ostfriesische Verein zum Theil wenigstens hatte, als die
Rettungsgesellschaft gestiftet wurde. Er genoß damals noch die mannigfach
förderliche Gunst des Königs von Hannover, die den Eintritt in einen natio¬
nalen Verband aber sicher nicht überdauert hätte. Man kann mit gutem Grund
behaupten, daß Hannovers Einverleibung in Preußen für die Geschlossenheit
des deutschen Seerettungswesens eine Vorbedingung war, welche alle frühere
Preußenschwärmerei der Ostfriesen -- ein gegenwärtig stark in Abnahme
kommendes Gefühl -- nicht ersetzen konnte. Man muß indessen hinzufügen,
daß die Leiter des ostfriesischen Vereins, nachdem der Eintritt in die natio¬
nale Gesellschaft einmal vollzogen ist, ihre neue Stellung nun auch, aus-


nautische Tagesfragen.

Vor fünf Jahren wurde in Kiel die deutsche Gesellschaft zur Rettung
Schiffbrüchiger gegründet, Dank den zusammentreffenden Anregungen des
Dr. Emminghaus (damals Redacteur des Bremer Handelsblattes, jetzt Pro¬
fessor der Wirthschaftslehre in Karlsruhe) und des Capitän R. Werner von
der königlichen Manne. Nicht alle, aber doch die meisten der schon bestehen¬
den localen Vereine schlössen sich ihrer Organisation als Bezirksvereine an:
zurück blieben nur die Rettungsvereine zu Emden (für Ostfriesland), zu
Hamburg und zu Stralsund. Berechtigter und unberechtigter Particularis-
mus hielt diese Vereine vorläufig ab, sich anzuschließen — der erklärliche
Wunsch, gewisse Vortheile nicht hinzugeben gegen ungewisse, zusammen mit
einer hohlen Eifersucht auf rivalistrende rührigere Plätze und verstockter pro¬
vinzieller Selbstgenügsamkeit. Doch gelang es der unablässig bohrenden Ar¬
beit des nationalen Gedankens, sachliche Bedenken gegen die Centralisation
der Rettungssache zu entkräften und widerstrebende subjective Stimmungen all-
mälig mürbe zu machen. Insbesondere bewährte sich der Nutzen der einheitlichen
Ordnung und des neugeschaffenen leitenden Mittelpunkts in Bremen über alle Er¬
wartung; was dadurch zu Gunsten des menschenfreundlichen Unternehmens
aus weiten binnenländischen Kreisen flüssig gemacht wurde, überstieg um
Vieles die Kosten der Centralstelle, gegen die Bezirksvereine übte der Vor¬
stand eine Politik weisen Gewährenlasfens und unbedingter Förderung, der
technische Inspector endlich brachte das nöthige Maß sachverständiger Con-
trole in die Küsteneinrichtungen, welche sonst allzu sehr dem Zufall und dem
guten Willen Weniger überlassen geblieben wären. Es förderte auch, daß die
Presse, soweit sie sich des Rettungswesens überhaupt thätig annahm, von
Anfang an die Sonderbündelei mißbilligte, den Vraußengebliebenen Vereinen
bei jedem Anlaß rieth, ebenfalls einzutreten. So kam erst der eine, dann der
zweite, zuletzt im vorigen Jahre auch der dritte. Dies war der Hamburger
Verein; die subjectiven Einwände haben eben oft zäheres Leben als sachliche
Bedenken, wie sie der ostfriesische Verein zum Theil wenigstens hatte, als die
Rettungsgesellschaft gestiftet wurde. Er genoß damals noch die mannigfach
förderliche Gunst des Königs von Hannover, die den Eintritt in einen natio¬
nalen Verband aber sicher nicht überdauert hätte. Man kann mit gutem Grund
behaupten, daß Hannovers Einverleibung in Preußen für die Geschlossenheit
des deutschen Seerettungswesens eine Vorbedingung war, welche alle frühere
Preußenschwärmerei der Ostfriesen — ein gegenwärtig stark in Abnahme
kommendes Gefühl — nicht ersetzen konnte. Man muß indessen hinzufügen,
daß die Leiter des ostfriesischen Vereins, nachdem der Eintritt in die natio¬
nale Gesellschaft einmal vollzogen ist, ihre neue Stellung nun auch, aus-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0117" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124267"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> nautische Tagesfragen.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_312" next="#ID_313"> Vor fünf Jahren wurde in Kiel die deutsche Gesellschaft zur Rettung<lb/>
Schiffbrüchiger gegründet, Dank den zusammentreffenden Anregungen des<lb/>
Dr. Emminghaus (damals Redacteur des Bremer Handelsblattes, jetzt Pro¬<lb/>
fessor der Wirthschaftslehre in Karlsruhe) und des Capitän R. Werner von<lb/>
der königlichen Manne. Nicht alle, aber doch die meisten der schon bestehen¬<lb/>
den localen Vereine schlössen sich ihrer Organisation als Bezirksvereine an:<lb/>
zurück blieben nur die Rettungsvereine zu Emden (für Ostfriesland), zu<lb/>
Hamburg und zu Stralsund. Berechtigter und unberechtigter Particularis-<lb/>
mus hielt diese Vereine vorläufig ab, sich anzuschließen &#x2014; der erklärliche<lb/>
Wunsch, gewisse Vortheile nicht hinzugeben gegen ungewisse, zusammen mit<lb/>
einer hohlen Eifersucht auf rivalistrende rührigere Plätze und verstockter pro¬<lb/>
vinzieller Selbstgenügsamkeit. Doch gelang es der unablässig bohrenden Ar¬<lb/>
beit des nationalen Gedankens, sachliche Bedenken gegen die Centralisation<lb/>
der Rettungssache zu entkräften und widerstrebende subjective Stimmungen all-<lb/>
mälig mürbe zu machen. Insbesondere bewährte sich der Nutzen der einheitlichen<lb/>
Ordnung und des neugeschaffenen leitenden Mittelpunkts in Bremen über alle Er¬<lb/>
wartung; was dadurch zu Gunsten des menschenfreundlichen Unternehmens<lb/>
aus weiten binnenländischen Kreisen flüssig gemacht wurde, überstieg um<lb/>
Vieles die Kosten der Centralstelle, gegen die Bezirksvereine übte der Vor¬<lb/>
stand eine Politik weisen Gewährenlasfens und unbedingter Förderung, der<lb/>
technische Inspector endlich brachte das nöthige Maß sachverständiger Con-<lb/>
trole in die Küsteneinrichtungen, welche sonst allzu sehr dem Zufall und dem<lb/>
guten Willen Weniger überlassen geblieben wären. Es förderte auch, daß die<lb/>
Presse, soweit sie sich des Rettungswesens überhaupt thätig annahm, von<lb/>
Anfang an die Sonderbündelei mißbilligte, den Vraußengebliebenen Vereinen<lb/>
bei jedem Anlaß rieth, ebenfalls einzutreten. So kam erst der eine, dann der<lb/>
zweite, zuletzt im vorigen Jahre auch der dritte. Dies war der Hamburger<lb/>
Verein; die subjectiven Einwände haben eben oft zäheres Leben als sachliche<lb/>
Bedenken, wie sie der ostfriesische Verein zum Theil wenigstens hatte, als die<lb/>
Rettungsgesellschaft gestiftet wurde. Er genoß damals noch die mannigfach<lb/>
förderliche Gunst des Königs von Hannover, die den Eintritt in einen natio¬<lb/>
nalen Verband aber sicher nicht überdauert hätte. Man kann mit gutem Grund<lb/>
behaupten, daß Hannovers Einverleibung in Preußen für die Geschlossenheit<lb/>
des deutschen Seerettungswesens eine Vorbedingung war, welche alle frühere<lb/>
Preußenschwärmerei der Ostfriesen &#x2014; ein gegenwärtig stark in Abnahme<lb/>
kommendes Gefühl &#x2014; nicht ersetzen konnte. Man muß indessen hinzufügen,<lb/>
daß die Leiter des ostfriesischen Vereins, nachdem der Eintritt in die natio¬<lb/>
nale Gesellschaft einmal vollzogen ist, ihre neue Stellung nun auch, aus-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0117] nautische Tagesfragen. Vor fünf Jahren wurde in Kiel die deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gegründet, Dank den zusammentreffenden Anregungen des Dr. Emminghaus (damals Redacteur des Bremer Handelsblattes, jetzt Pro¬ fessor der Wirthschaftslehre in Karlsruhe) und des Capitän R. Werner von der königlichen Manne. Nicht alle, aber doch die meisten der schon bestehen¬ den localen Vereine schlössen sich ihrer Organisation als Bezirksvereine an: zurück blieben nur die Rettungsvereine zu Emden (für Ostfriesland), zu Hamburg und zu Stralsund. Berechtigter und unberechtigter Particularis- mus hielt diese Vereine vorläufig ab, sich anzuschließen — der erklärliche Wunsch, gewisse Vortheile nicht hinzugeben gegen ungewisse, zusammen mit einer hohlen Eifersucht auf rivalistrende rührigere Plätze und verstockter pro¬ vinzieller Selbstgenügsamkeit. Doch gelang es der unablässig bohrenden Ar¬ beit des nationalen Gedankens, sachliche Bedenken gegen die Centralisation der Rettungssache zu entkräften und widerstrebende subjective Stimmungen all- mälig mürbe zu machen. Insbesondere bewährte sich der Nutzen der einheitlichen Ordnung und des neugeschaffenen leitenden Mittelpunkts in Bremen über alle Er¬ wartung; was dadurch zu Gunsten des menschenfreundlichen Unternehmens aus weiten binnenländischen Kreisen flüssig gemacht wurde, überstieg um Vieles die Kosten der Centralstelle, gegen die Bezirksvereine übte der Vor¬ stand eine Politik weisen Gewährenlasfens und unbedingter Förderung, der technische Inspector endlich brachte das nöthige Maß sachverständiger Con- trole in die Küsteneinrichtungen, welche sonst allzu sehr dem Zufall und dem guten Willen Weniger überlassen geblieben wären. Es förderte auch, daß die Presse, soweit sie sich des Rettungswesens überhaupt thätig annahm, von Anfang an die Sonderbündelei mißbilligte, den Vraußengebliebenen Vereinen bei jedem Anlaß rieth, ebenfalls einzutreten. So kam erst der eine, dann der zweite, zuletzt im vorigen Jahre auch der dritte. Dies war der Hamburger Verein; die subjectiven Einwände haben eben oft zäheres Leben als sachliche Bedenken, wie sie der ostfriesische Verein zum Theil wenigstens hatte, als die Rettungsgesellschaft gestiftet wurde. Er genoß damals noch die mannigfach förderliche Gunst des Königs von Hannover, die den Eintritt in einen natio¬ nalen Verband aber sicher nicht überdauert hätte. Man kann mit gutem Grund behaupten, daß Hannovers Einverleibung in Preußen für die Geschlossenheit des deutschen Seerettungswesens eine Vorbedingung war, welche alle frühere Preußenschwärmerei der Ostfriesen — ein gegenwärtig stark in Abnahme kommendes Gefühl — nicht ersetzen konnte. Man muß indessen hinzufügen, daß die Leiter des ostfriesischen Vereins, nachdem der Eintritt in die natio¬ nale Gesellschaft einmal vollzogen ist, ihre neue Stellung nun auch, aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/117
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/117>, abgerufen am 17.06.2024.