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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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einigermaßen ebenbürtigen Widersacher zu vertheidigen. -- In diesen Tagen
kam die Nachricht aus Venezuela, daß die Regierung des neuen Präsidenten
Guzman zwei niederländische Schiffe mit Beschlag belegt, einen holländischen
Unterthan gefangen genommen und sich noch anderweitig feindselig gegen
unsern Vertreter benommen habe, sodaß dieser sich genöthigt sah, seine Pässe
zu fordern und abzureisen. Guzman war nämlich, ehe er sich der Präsiden¬
tenstelle bemächtigt hatte, von der holländischen Regierung auf Verlangen des
vorigen Präsidenten aus Curacao ausgewiesen worden, und das Motiv seiner
Handlungen schien die einfache Rache zu sein. Unsere "Staatscourant" gibt
einen officiellen Bericht und der Minister des Aeußeren einen Rapport in
den Generalstaten über den Vorfall, die uns, was die Begründung der
Thatsachen anbetrifft, vollständig im Dunkel lassen, aber die wiederholte Ver¬
sicherung enthalten, daß unsere Regierung ganz im Einverständniß mit den
andern Mächten und nach deren Mittheilungen gehandelt habe und stets han¬
deln werde, und daß sie bei denselben auch wohl Unterstützung finde. Gegen
Venezuela wagte man also nicht, selbständig aufzutreten, da mußte man sich
erst der Hilfe Anderer versichern; ja der Kammer gegenüber brüstet sich die
Regierung sogar mit solchen "Erfolgen". Wofür aber zahlen wir denn jähr¬
lich 10 Millionen Martnegelder, wenn wir nicht im Stande sind, ein paar
unserer im Hafen verfaulenden Kriegsschiffe zur Blockade der Häfen eines
Staates zu senden, der selbst seine Postschiffe von uns miethen muß? Nun
ist zwar ein Schiff nach Venezuela gesandt, aber mit der Ordre, auf weitere
Jnstructionen zu warten, die vermuthlich erst aus London und Berlin er¬
wartet wurden. Der Minister versichert, die Sache habe gar wenig zu be¬
deuten! Warum -- fragen wir dagegen -- war denn das Herunterholen
unserer Flagge durch die Commendesen so schlimm, daß Alles nach Züchti¬
gung der Verbrecher schrie?

Oder gilt Antastung eines kleinen Zeuglappens, wie es in Commenda
geschah, für gröbere Missethat, als wenn sich ein fremder Staat an Eigen-
thum und Freiheit eines Niederländers vergreift? Ist die Regierung jedoch
ihres Rechtes im vorliegenden Falle noch nicht gewiß und glaubte sie nähere
Untersuchung der Sache abwarten zu müssen, so geziemte ihr am mindesten,
schon im Voraus Hilfe bei Anderen zu suchen. Gewaltthätigkeit gegen
Kleine, wie in der Commenda-Affaire, brandmarkt sich selber, wenn man
bei einem drohenden Conflict mit halbwüchsigen "Mächten" wie Venezuela
nichts eiligeres zu thun hat, als sich hinter seine Nachbarn zu verstecken.




einigermaßen ebenbürtigen Widersacher zu vertheidigen. — In diesen Tagen
kam die Nachricht aus Venezuela, daß die Regierung des neuen Präsidenten
Guzman zwei niederländische Schiffe mit Beschlag belegt, einen holländischen
Unterthan gefangen genommen und sich noch anderweitig feindselig gegen
unsern Vertreter benommen habe, sodaß dieser sich genöthigt sah, seine Pässe
zu fordern und abzureisen. Guzman war nämlich, ehe er sich der Präsiden¬
tenstelle bemächtigt hatte, von der holländischen Regierung auf Verlangen des
vorigen Präsidenten aus Curacao ausgewiesen worden, und das Motiv seiner
Handlungen schien die einfache Rache zu sein. Unsere „Staatscourant" gibt
einen officiellen Bericht und der Minister des Aeußeren einen Rapport in
den Generalstaten über den Vorfall, die uns, was die Begründung der
Thatsachen anbetrifft, vollständig im Dunkel lassen, aber die wiederholte Ver¬
sicherung enthalten, daß unsere Regierung ganz im Einverständniß mit den
andern Mächten und nach deren Mittheilungen gehandelt habe und stets han¬
deln werde, und daß sie bei denselben auch wohl Unterstützung finde. Gegen
Venezuela wagte man also nicht, selbständig aufzutreten, da mußte man sich
erst der Hilfe Anderer versichern; ja der Kammer gegenüber brüstet sich die
Regierung sogar mit solchen „Erfolgen". Wofür aber zahlen wir denn jähr¬
lich 10 Millionen Martnegelder, wenn wir nicht im Stande sind, ein paar
unserer im Hafen verfaulenden Kriegsschiffe zur Blockade der Häfen eines
Staates zu senden, der selbst seine Postschiffe von uns miethen muß? Nun
ist zwar ein Schiff nach Venezuela gesandt, aber mit der Ordre, auf weitere
Jnstructionen zu warten, die vermuthlich erst aus London und Berlin er¬
wartet wurden. Der Minister versichert, die Sache habe gar wenig zu be¬
deuten! Warum — fragen wir dagegen — war denn das Herunterholen
unserer Flagge durch die Commendesen so schlimm, daß Alles nach Züchti¬
gung der Verbrecher schrie?

Oder gilt Antastung eines kleinen Zeuglappens, wie es in Commenda
geschah, für gröbere Missethat, als wenn sich ein fremder Staat an Eigen-
thum und Freiheit eines Niederländers vergreift? Ist die Regierung jedoch
ihres Rechtes im vorliegenden Falle noch nicht gewiß und glaubte sie nähere
Untersuchung der Sache abwarten zu müssen, so geziemte ihr am mindesten,
schon im Voraus Hilfe bei Anderen zu suchen. Gewaltthätigkeit gegen
Kleine, wie in der Commenda-Affaire, brandmarkt sich selber, wenn man
bei einem drohenden Conflict mit halbwüchsigen „Mächten" wie Venezuela
nichts eiligeres zu thun hat, als sich hinter seine Nachbarn zu verstecken.




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[0116] einigermaßen ebenbürtigen Widersacher zu vertheidigen. — In diesen Tagen kam die Nachricht aus Venezuela, daß die Regierung des neuen Präsidenten Guzman zwei niederländische Schiffe mit Beschlag belegt, einen holländischen Unterthan gefangen genommen und sich noch anderweitig feindselig gegen unsern Vertreter benommen habe, sodaß dieser sich genöthigt sah, seine Pässe zu fordern und abzureisen. Guzman war nämlich, ehe er sich der Präsiden¬ tenstelle bemächtigt hatte, von der holländischen Regierung auf Verlangen des vorigen Präsidenten aus Curacao ausgewiesen worden, und das Motiv seiner Handlungen schien die einfache Rache zu sein. Unsere „Staatscourant" gibt einen officiellen Bericht und der Minister des Aeußeren einen Rapport in den Generalstaten über den Vorfall, die uns, was die Begründung der Thatsachen anbetrifft, vollständig im Dunkel lassen, aber die wiederholte Ver¬ sicherung enthalten, daß unsere Regierung ganz im Einverständniß mit den andern Mächten und nach deren Mittheilungen gehandelt habe und stets han¬ deln werde, und daß sie bei denselben auch wohl Unterstützung finde. Gegen Venezuela wagte man also nicht, selbständig aufzutreten, da mußte man sich erst der Hilfe Anderer versichern; ja der Kammer gegenüber brüstet sich die Regierung sogar mit solchen „Erfolgen". Wofür aber zahlen wir denn jähr¬ lich 10 Millionen Martnegelder, wenn wir nicht im Stande sind, ein paar unserer im Hafen verfaulenden Kriegsschiffe zur Blockade der Häfen eines Staates zu senden, der selbst seine Postschiffe von uns miethen muß? Nun ist zwar ein Schiff nach Venezuela gesandt, aber mit der Ordre, auf weitere Jnstructionen zu warten, die vermuthlich erst aus London und Berlin er¬ wartet wurden. Der Minister versichert, die Sache habe gar wenig zu be¬ deuten! Warum — fragen wir dagegen — war denn das Herunterholen unserer Flagge durch die Commendesen so schlimm, daß Alles nach Züchti¬ gung der Verbrecher schrie? Oder gilt Antastung eines kleinen Zeuglappens, wie es in Commenda geschah, für gröbere Missethat, als wenn sich ein fremder Staat an Eigen- thum und Freiheit eines Niederländers vergreift? Ist die Regierung jedoch ihres Rechtes im vorliegenden Falle noch nicht gewiß und glaubte sie nähere Untersuchung der Sache abwarten zu müssen, so geziemte ihr am mindesten, schon im Voraus Hilfe bei Anderen zu suchen. Gewaltthätigkeit gegen Kleine, wie in der Commenda-Affaire, brandmarkt sich selber, wenn man bei einem drohenden Conflict mit halbwüchsigen „Mächten" wie Venezuela nichts eiligeres zu thun hat, als sich hinter seine Nachbarn zu verstecken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/116>, abgerufen am 17.06.2024.