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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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u. tgi. verlautete. So konnte man es der Ende Mai in Stettin versammel¬
ten Rettungsgesellschaft nicht verdenken, daß sie einhellig ihr Bedauern über
die neue Absonderung und die Hoffnung nachträglichen Anschlusses des "Vater¬
ländischen Vereins" an ihre Organisation aussprach, Das Aergerniß war ge¬
geben; zu seiner Rechtfertigung war nichts, zu seiner Entschuldigung kaum
mehr zu sagen. Zeitungen, aus deren Redactionspersonal selbst das Comite
des "Vaterländischen Vereins" sich verstärkt hatte, druckten den Protest der
Stettiner Jahresversammlung ab, ohne ein Wort der Vertheidigung dagegen
, aufbringen zu können. Die fraglichen Journalisten hatten sich offenbar von
ihrer gutmüthigen Gewohnheit, in solchen Fällen nicht Nein zu sagen, ver¬
leiten lassen, auf den Credit der unbetheiligten Nautiker hin ein Bestreben
zu unterstützen, das nach gegebener Aufklärung ihr nationales Bewußtsein
hinterdrein zu vsrurtheilen nicht umhin konnte.

Gestützt auf den Stettiner Beschluß, hat der Vorstand der deutschen
Rettungsgesellschaft neue Verhandlungen eingeleitet, die wohl nicht anders
auslaufen können als in factische Unterordnung des "Vaterländischen Ver¬
eins." Der Vorstand darf sich dabei berufen einerseits auf seine Stellung
zum preußischen Hofe, dessen Haupt der Protector der deutschen Rettungs¬
gesellschaft ist, und von dessen Gliedern daher am wenigsten ein Riß in den
heilsamen, ja nothwendigen Zusammenhang der Rettungsanstalten betrieben
oder begünstigt werden sollte; andererseits auf das Beispiel der ehedem ab¬
seits stehenden, nun aber eingetretenen Küstenvereine, die so viel mehr Ur¬
sache haben konnten, sür sich zu bleiben, da sie doch unmittelbarer Hand ans
Werk legen, als ein blos Geld sammelnder binnenländischer Verein; endlich
aus die anerkannte Thatsache, daß die von ihm geleitete Gesellschaft ihre Auf¬
gabe nach dem Maße der erschwingbaren Mittel und Kräfte allseitig erfüllt.
Eins allerdings, was in dem Aufruf des "Vaterländischen Vereins" mit
figurirt, hat die Rettungsgesellschaft bisher außer Acht gelassen: die Ver¬
hütung von Schiffbrüchen nämlich. Gelänge es in dieser Richtung etwas
Durchgreifendes zu thun, so brauchte man freilich Schiffbrüchige nicht mehr plan¬
mäßig aus dem Wasser zu ziehen. Allein die Seeleute außerhalb Berlins wollen
nicht recht an die Verwirklichungsfähigkeit dieser sublimen Idee glauben. --

Der lange und ziemlich heftige Streit, zu welchem die Prüfung der
Seeschiffe im norddeutschen Bunde Veranlassung gegeben halte, ist
nun vorläufig beigelegt. Er ließ sich in der Hauptsache darauf zurück¬
führen, daß man in Berlin das allpreußische Prüfungsoerfahren zum nord¬
deutschen machen und an der Nordsee -- d. h. nicht blos in den Hansestädten
und in Oldenburg, sondern auch in Hannover und Schleswig-Holstein, den
neuen preußischen Provinzen -- dasselbe nicht acceptiren wollte. Die Nordsee¬
leute, Navigationsschullehrer, Seeleute und Rheder haben gegen das Ostsee"


u. tgi. verlautete. So konnte man es der Ende Mai in Stettin versammel¬
ten Rettungsgesellschaft nicht verdenken, daß sie einhellig ihr Bedauern über
die neue Absonderung und die Hoffnung nachträglichen Anschlusses des „Vater¬
ländischen Vereins" an ihre Organisation aussprach, Das Aergerniß war ge¬
geben; zu seiner Rechtfertigung war nichts, zu seiner Entschuldigung kaum
mehr zu sagen. Zeitungen, aus deren Redactionspersonal selbst das Comite
des „Vaterländischen Vereins" sich verstärkt hatte, druckten den Protest der
Stettiner Jahresversammlung ab, ohne ein Wort der Vertheidigung dagegen
, aufbringen zu können. Die fraglichen Journalisten hatten sich offenbar von
ihrer gutmüthigen Gewohnheit, in solchen Fällen nicht Nein zu sagen, ver¬
leiten lassen, auf den Credit der unbetheiligten Nautiker hin ein Bestreben
zu unterstützen, das nach gegebener Aufklärung ihr nationales Bewußtsein
hinterdrein zu vsrurtheilen nicht umhin konnte.

Gestützt auf den Stettiner Beschluß, hat der Vorstand der deutschen
Rettungsgesellschaft neue Verhandlungen eingeleitet, die wohl nicht anders
auslaufen können als in factische Unterordnung des „Vaterländischen Ver¬
eins." Der Vorstand darf sich dabei berufen einerseits auf seine Stellung
zum preußischen Hofe, dessen Haupt der Protector der deutschen Rettungs¬
gesellschaft ist, und von dessen Gliedern daher am wenigsten ein Riß in den
heilsamen, ja nothwendigen Zusammenhang der Rettungsanstalten betrieben
oder begünstigt werden sollte; andererseits auf das Beispiel der ehedem ab¬
seits stehenden, nun aber eingetretenen Küstenvereine, die so viel mehr Ur¬
sache haben konnten, sür sich zu bleiben, da sie doch unmittelbarer Hand ans
Werk legen, als ein blos Geld sammelnder binnenländischer Verein; endlich
aus die anerkannte Thatsache, daß die von ihm geleitete Gesellschaft ihre Auf¬
gabe nach dem Maße der erschwingbaren Mittel und Kräfte allseitig erfüllt.
Eins allerdings, was in dem Aufruf des „Vaterländischen Vereins" mit
figurirt, hat die Rettungsgesellschaft bisher außer Acht gelassen: die Ver¬
hütung von Schiffbrüchen nämlich. Gelänge es in dieser Richtung etwas
Durchgreifendes zu thun, so brauchte man freilich Schiffbrüchige nicht mehr plan¬
mäßig aus dem Wasser zu ziehen. Allein die Seeleute außerhalb Berlins wollen
nicht recht an die Verwirklichungsfähigkeit dieser sublimen Idee glauben. —

Der lange und ziemlich heftige Streit, zu welchem die Prüfung der
Seeschiffe im norddeutschen Bunde Veranlassung gegeben halte, ist
nun vorläufig beigelegt. Er ließ sich in der Hauptsache darauf zurück¬
führen, daß man in Berlin das allpreußische Prüfungsoerfahren zum nord¬
deutschen machen und an der Nordsee — d. h. nicht blos in den Hansestädten
und in Oldenburg, sondern auch in Hannover und Schleswig-Holstein, den
neuen preußischen Provinzen — dasselbe nicht acceptiren wollte. Die Nordsee¬
leute, Navigationsschullehrer, Seeleute und Rheder haben gegen das Ostsee«


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[0119] u. tgi. verlautete. So konnte man es der Ende Mai in Stettin versammel¬ ten Rettungsgesellschaft nicht verdenken, daß sie einhellig ihr Bedauern über die neue Absonderung und die Hoffnung nachträglichen Anschlusses des „Vater¬ ländischen Vereins" an ihre Organisation aussprach, Das Aergerniß war ge¬ geben; zu seiner Rechtfertigung war nichts, zu seiner Entschuldigung kaum mehr zu sagen. Zeitungen, aus deren Redactionspersonal selbst das Comite des „Vaterländischen Vereins" sich verstärkt hatte, druckten den Protest der Stettiner Jahresversammlung ab, ohne ein Wort der Vertheidigung dagegen , aufbringen zu können. Die fraglichen Journalisten hatten sich offenbar von ihrer gutmüthigen Gewohnheit, in solchen Fällen nicht Nein zu sagen, ver¬ leiten lassen, auf den Credit der unbetheiligten Nautiker hin ein Bestreben zu unterstützen, das nach gegebener Aufklärung ihr nationales Bewußtsein hinterdrein zu vsrurtheilen nicht umhin konnte. Gestützt auf den Stettiner Beschluß, hat der Vorstand der deutschen Rettungsgesellschaft neue Verhandlungen eingeleitet, die wohl nicht anders auslaufen können als in factische Unterordnung des „Vaterländischen Ver¬ eins." Der Vorstand darf sich dabei berufen einerseits auf seine Stellung zum preußischen Hofe, dessen Haupt der Protector der deutschen Rettungs¬ gesellschaft ist, und von dessen Gliedern daher am wenigsten ein Riß in den heilsamen, ja nothwendigen Zusammenhang der Rettungsanstalten betrieben oder begünstigt werden sollte; andererseits auf das Beispiel der ehedem ab¬ seits stehenden, nun aber eingetretenen Küstenvereine, die so viel mehr Ur¬ sache haben konnten, sür sich zu bleiben, da sie doch unmittelbarer Hand ans Werk legen, als ein blos Geld sammelnder binnenländischer Verein; endlich aus die anerkannte Thatsache, daß die von ihm geleitete Gesellschaft ihre Auf¬ gabe nach dem Maße der erschwingbaren Mittel und Kräfte allseitig erfüllt. Eins allerdings, was in dem Aufruf des „Vaterländischen Vereins" mit figurirt, hat die Rettungsgesellschaft bisher außer Acht gelassen: die Ver¬ hütung von Schiffbrüchen nämlich. Gelänge es in dieser Richtung etwas Durchgreifendes zu thun, so brauchte man freilich Schiffbrüchige nicht mehr plan¬ mäßig aus dem Wasser zu ziehen. Allein die Seeleute außerhalb Berlins wollen nicht recht an die Verwirklichungsfähigkeit dieser sublimen Idee glauben. — Der lange und ziemlich heftige Streit, zu welchem die Prüfung der Seeschiffe im norddeutschen Bunde Veranlassung gegeben halte, ist nun vorläufig beigelegt. Er ließ sich in der Hauptsache darauf zurück¬ führen, daß man in Berlin das allpreußische Prüfungsoerfahren zum nord¬ deutschen machen und an der Nordsee — d. h. nicht blos in den Hansestädten und in Oldenburg, sondern auch in Hannover und Schleswig-Holstein, den neuen preußischen Provinzen — dasselbe nicht acceptiren wollte. Die Nordsee¬ leute, Navigationsschullehrer, Seeleute und Rheder haben gegen das Ostsee«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/119>, abgerufen am 17.06.2024.