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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Wir haben sehr geringe Achtung vor den Tagesstimmungen dort im
Westen, und wir haben nach dem tückischen Einbruch, den die Minister des
Kaisers Napoleon in den Frieden des deutschen Staates gewagt, gar keine
Theilnahme an den Gefühlen, welche nach den ruchlosen Worten und Thaten
in der kaiserlichen Partei etwa jetzt aufsteigen. Aber es scheint fast, als ob
man schon jetzt in Paris unter der Ahnung leidet, daß man ein falsches
Spiel mit falscher Kabvala begonnen. Man wollte längst den Krieg, der
Kaiser spielte mit dem Gedanken, wie seine Art ist, brütete über Erfindungen
und Pläne und schob sie zurück. Unterdeß stieg der Uebermuth seiner An¬
hänger durch die vertrauensvolle Abstimmung, welche ihm Frankreich gegeben
hat, und zu gleicher Zeit mehrten jene zahlreichen verwerfenden Stimmen
im Heere das Bedürfniß des Kaisers, dies zweischneidige neugeformte Werk¬
zeug fester an sein Haus zu schließen. Man wartete auf eine Gelegenheit.
Unterdeß wurde den stillen Führern der Jesuitenpartei hinter der Kaiserin
eine große politische Verwirrung in Europa nothwendig, um das Dogma
von der Unfehlbarkeit in die Laienwelt zu schmuggeln, ohne Widerstand der
Regierungen. Denn was nützte dem Papst seine neue Göttlichkeit, wenn die
gleichmäßig gefährdeten weltlichen Mächte sich über gemeinsame Maßregeln
zur Abwehr des neuen Unfugs verständigten? So erschien den kirchlichen
Fanatikern in Frankreich ein Krieg mit den ketzerischen Deutschen als eine
Heilösache ihrer Partei. Wundervoll gelegen kam allen herrschenden Par¬
teien Frankreichs in diesem Augenblick die Annahme des spanischen Throns
durch den Erbprinzen Leopold. Was unter anderen Voraussetzungen per¬
sönlich dem Kaiser gar nicht unwillkommen gewesen wäre, das erschien seiner
hinterhältigen Klugheit jetzt als günstigste Veranlassung loszubrechen. Es
war eine dynastische Angelegenheit des Hauses Hohenzollern: weder die
Fürsten noch die Liberalen in Deutschland würden dafür sich erwärmen.
Das Familieninteresse grade des Königsgeschlechtes, welches man im Leben
treffen wollte, mußte dennoch von der Bundespolitik gedeckt werden, das ver¬
sprach den Bund noch verhaßter zu machen, als er nach Ansicht des Kai¬
sers bei den deutschen Fürsten Höfen und bei den meisten deutschen Stäm¬
men ohnedies war. Eine Demüthigung der Hohenzollern bis aufs
Aeußerste, ein neues Ollmütz schien ganz sicher Und wenn sie es doch wag¬
ten, bis zu einem Kriege zu widerstehen, schatten sie die Höfe und Völker
Drutschlands. wahrscheinlich des ganzen Europa gegen sich. So etwa rech¬
neten der Kaiser und seine Werkzeuge. Wir aber schauen hier ahnend, wie
kunstvoll das Schicksal die geheimen Fäden spinnt, an die es dem großen
Verbrecher die vergeltenden Gerichte hängt, um ihn abwärts zu ziehen. In
der gekränkten Eitelkeit und der parteisüchtigen Kritik, womit das kaiserliche
Frankreich den deutschen Bund betrachtete, bornirte sich der französischen
Diplomatie das Urtheil über die Zustände in Deutschland. Die französischen


Wir haben sehr geringe Achtung vor den Tagesstimmungen dort im
Westen, und wir haben nach dem tückischen Einbruch, den die Minister des
Kaisers Napoleon in den Frieden des deutschen Staates gewagt, gar keine
Theilnahme an den Gefühlen, welche nach den ruchlosen Worten und Thaten
in der kaiserlichen Partei etwa jetzt aufsteigen. Aber es scheint fast, als ob
man schon jetzt in Paris unter der Ahnung leidet, daß man ein falsches
Spiel mit falscher Kabvala begonnen. Man wollte längst den Krieg, der
Kaiser spielte mit dem Gedanken, wie seine Art ist, brütete über Erfindungen
und Pläne und schob sie zurück. Unterdeß stieg der Uebermuth seiner An¬
hänger durch die vertrauensvolle Abstimmung, welche ihm Frankreich gegeben
hat, und zu gleicher Zeit mehrten jene zahlreichen verwerfenden Stimmen
im Heere das Bedürfniß des Kaisers, dies zweischneidige neugeformte Werk¬
zeug fester an sein Haus zu schließen. Man wartete auf eine Gelegenheit.
Unterdeß wurde den stillen Führern der Jesuitenpartei hinter der Kaiserin
eine große politische Verwirrung in Europa nothwendig, um das Dogma
von der Unfehlbarkeit in die Laienwelt zu schmuggeln, ohne Widerstand der
Regierungen. Denn was nützte dem Papst seine neue Göttlichkeit, wenn die
gleichmäßig gefährdeten weltlichen Mächte sich über gemeinsame Maßregeln
zur Abwehr des neuen Unfugs verständigten? So erschien den kirchlichen
Fanatikern in Frankreich ein Krieg mit den ketzerischen Deutschen als eine
Heilösache ihrer Partei. Wundervoll gelegen kam allen herrschenden Par¬
teien Frankreichs in diesem Augenblick die Annahme des spanischen Throns
durch den Erbprinzen Leopold. Was unter anderen Voraussetzungen per¬
sönlich dem Kaiser gar nicht unwillkommen gewesen wäre, das erschien seiner
hinterhältigen Klugheit jetzt als günstigste Veranlassung loszubrechen. Es
war eine dynastische Angelegenheit des Hauses Hohenzollern: weder die
Fürsten noch die Liberalen in Deutschland würden dafür sich erwärmen.
Das Familieninteresse grade des Königsgeschlechtes, welches man im Leben
treffen wollte, mußte dennoch von der Bundespolitik gedeckt werden, das ver¬
sprach den Bund noch verhaßter zu machen, als er nach Ansicht des Kai¬
sers bei den deutschen Fürsten Höfen und bei den meisten deutschen Stäm¬
men ohnedies war. Eine Demüthigung der Hohenzollern bis aufs
Aeußerste, ein neues Ollmütz schien ganz sicher Und wenn sie es doch wag¬
ten, bis zu einem Kriege zu widerstehen, schatten sie die Höfe und Völker
Drutschlands. wahrscheinlich des ganzen Europa gegen sich. So etwa rech¬
neten der Kaiser und seine Werkzeuge. Wir aber schauen hier ahnend, wie
kunstvoll das Schicksal die geheimen Fäden spinnt, an die es dem großen
Verbrecher die vergeltenden Gerichte hängt, um ihn abwärts zu ziehen. In
der gekränkten Eitelkeit und der parteisüchtigen Kritik, womit das kaiserliche
Frankreich den deutschen Bund betrachtete, bornirte sich der französischen
Diplomatie das Urtheil über die Zustände in Deutschland. Die französischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/132>, abgerufen am 17.06.2024.