Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den Antheil an den Uebungen, so lächerlich sie ihm auch im Innern waren,
nicht entziehen zu lassen. Und das that er nicht blos, um den bürgerlichen
Nachtheilen zu entgehen, die sich an solche Ausschließung knüpften und die
damals allerdings noch ungleich bedeutender waren, als sie es heute selbst
in der katholischen Kirche sind; sondern dieses Possenspiel mit der Geistlich¬
keit, sie zur Spendung ihrer Siebensachen an ihn zu zwingen, von dem sie
wußten, daß ihm dieselben ein Spott waren, machte ihm ein unendliches
Vergnügen."

Uebrigens ist Strauß im Stande, Voltaire vyn einem der schwersten und
geläufigsten Vorwürfe loszusprechen. Jedermann kennt das geflügelte Wort:
Deraseis I'inkg,irie, das Voltaire als sein Letsruin censeo und meist wie
eine Geheimformel in abgekürzter Schreibart: "6er. 1'mein." an den Schluß
einer großen Zahl seiner Briefe an die vertrautesten Gesinnungsgenossen ge¬
setzt hat. Was bedeutet das mtawe? Gewöhnlich versteht man darunter
niemand Geringeres als Christus selbst und findet daher eine Blasphemie
darin. Nun zeigt aber Strauß, daß in dem Voltaire'schen Refrain
gar nicht ein Er, sondern eine Sie ist. ^.älen, mon aur xKilosoxKg, schreibt
er z. B. einmal an d'Alembert, si vous xouves öerassr 6erase2 ig. et
times-moi. Dasselbe läßt sich an einer Reihe von Stellen nachweisen, aus
welchen zugleich hervorgeht, daß unter der Infamen im Kreise der Ein¬
geweihten nichts anderes verstanden wurde, als der Aberglaube, der Fana¬
tismus, schließlich die christliche Kirche mit ihren Dogmen als die Wurzel
dieser Uebel, -- ensis les ävAlnes as votrs intamk Zg-tönt tont, schreibt
einmal Friedrich der Große an seinen philosophischen Freund.

Das Verhältniß Friedrichs zu Voltaire hat immer als eine der interes¬
santesten Episoden im Leben des einen wie des anderen Mannes gegolten
und wird von Strauß nach den persönlichen Begebnissen wie auf Grund der
gesammelten Correspondenz eingehend geschildert. Die Uebersiedlung Vol¬
taire's an den Berliner Hof erfolgte bekanntlich erst im Jahr 1750, als sein
Verhältniß zur Marquise du ClMelet einen tragischen Abschluß gefunden
hatte. Aber die erste Annäherung reicht in die Zeit, da der Kronprinz noch
zu Rheinsberg in der Mark seinen ltterarischen Musenhof hielt. "Dem feu¬
rigen Prinzen war es nicht genug, den bewunderten Schriftsteller nur in der
Stille, als Leser seiner Werke, zu verehren; es drängte ihn, diese Verehrung
ihm erkennen zu geben und dadurch vorerst eine briefliche Berührung mit
ihm herbeizuführen, bis die Verhältnisse eine persönliche gestatten würden.
Am 8. August 173L schrieb Friedrich den ersten Brief an Voltaire und er¬
öffnete damit eine Correspondenz, die mit wenigen Unterbrechungen die bei¬
nahe 42 Jahre bis zu Voltaire's Tod fortdauern und für beide Männer


Grenzboten lit. 1870. 20

den Antheil an den Uebungen, so lächerlich sie ihm auch im Innern waren,
nicht entziehen zu lassen. Und das that er nicht blos, um den bürgerlichen
Nachtheilen zu entgehen, die sich an solche Ausschließung knüpften und die
damals allerdings noch ungleich bedeutender waren, als sie es heute selbst
in der katholischen Kirche sind; sondern dieses Possenspiel mit der Geistlich¬
keit, sie zur Spendung ihrer Siebensachen an ihn zu zwingen, von dem sie
wußten, daß ihm dieselben ein Spott waren, machte ihm ein unendliches
Vergnügen."

Uebrigens ist Strauß im Stande, Voltaire vyn einem der schwersten und
geläufigsten Vorwürfe loszusprechen. Jedermann kennt das geflügelte Wort:
Deraseis I'inkg,irie, das Voltaire als sein Letsruin censeo und meist wie
eine Geheimformel in abgekürzter Schreibart: „6er. 1'mein." an den Schluß
einer großen Zahl seiner Briefe an die vertrautesten Gesinnungsgenossen ge¬
setzt hat. Was bedeutet das mtawe? Gewöhnlich versteht man darunter
niemand Geringeres als Christus selbst und findet daher eine Blasphemie
darin. Nun zeigt aber Strauß, daß in dem Voltaire'schen Refrain
gar nicht ein Er, sondern eine Sie ist. ^.älen, mon aur xKilosoxKg, schreibt
er z. B. einmal an d'Alembert, si vous xouves öerassr 6erase2 ig. et
times-moi. Dasselbe läßt sich an einer Reihe von Stellen nachweisen, aus
welchen zugleich hervorgeht, daß unter der Infamen im Kreise der Ein¬
geweihten nichts anderes verstanden wurde, als der Aberglaube, der Fana¬
tismus, schließlich die christliche Kirche mit ihren Dogmen als die Wurzel
dieser Uebel, — ensis les ävAlnes as votrs intamk Zg-tönt tont, schreibt
einmal Friedrich der Große an seinen philosophischen Freund.

Das Verhältniß Friedrichs zu Voltaire hat immer als eine der interes¬
santesten Episoden im Leben des einen wie des anderen Mannes gegolten
und wird von Strauß nach den persönlichen Begebnissen wie auf Grund der
gesammelten Correspondenz eingehend geschildert. Die Uebersiedlung Vol¬
taire's an den Berliner Hof erfolgte bekanntlich erst im Jahr 1750, als sein
Verhältniß zur Marquise du ClMelet einen tragischen Abschluß gefunden
hatte. Aber die erste Annäherung reicht in die Zeit, da der Kronprinz noch
zu Rheinsberg in der Mark seinen ltterarischen Musenhof hielt. „Dem feu¬
rigen Prinzen war es nicht genug, den bewunderten Schriftsteller nur in der
Stille, als Leser seiner Werke, zu verehren; es drängte ihn, diese Verehrung
ihm erkennen zu geben und dadurch vorerst eine briefliche Berührung mit
ihm herbeizuführen, bis die Verhältnisse eine persönliche gestatten würden.
Am 8. August 173L schrieb Friedrich den ersten Brief an Voltaire und er¬
öffnete damit eine Correspondenz, die mit wenigen Unterbrechungen die bei¬
nahe 42 Jahre bis zu Voltaire's Tod fortdauern und für beide Männer


Grenzboten lit. 1870. 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0161" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124311"/>
          <p xml:id="ID_428" prev="#ID_427"> den Antheil an den Uebungen, so lächerlich sie ihm auch im Innern waren,<lb/>
nicht entziehen zu lassen. Und das that er nicht blos, um den bürgerlichen<lb/>
Nachtheilen zu entgehen, die sich an solche Ausschließung knüpften und die<lb/>
damals allerdings noch ungleich bedeutender waren, als sie es heute selbst<lb/>
in der katholischen Kirche sind; sondern dieses Possenspiel mit der Geistlich¬<lb/>
keit, sie zur Spendung ihrer Siebensachen an ihn zu zwingen, von dem sie<lb/>
wußten, daß ihm dieselben ein Spott waren, machte ihm ein unendliches<lb/>
Vergnügen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_429"> Uebrigens ist Strauß im Stande, Voltaire vyn einem der schwersten und<lb/>
geläufigsten Vorwürfe loszusprechen. Jedermann kennt das geflügelte Wort:<lb/>
Deraseis I'inkg,irie, das Voltaire als sein Letsruin censeo und meist wie<lb/>
eine Geheimformel in abgekürzter Schreibart: &#x201E;6er. 1'mein." an den Schluß<lb/>
einer großen Zahl seiner Briefe an die vertrautesten Gesinnungsgenossen ge¬<lb/>
setzt hat. Was bedeutet das mtawe? Gewöhnlich versteht man darunter<lb/>
niemand Geringeres als Christus selbst und findet daher eine Blasphemie<lb/>
darin.  Nun zeigt aber Strauß, daß in dem Voltaire'schen Refrain<lb/>
gar nicht ein Er, sondern eine Sie ist. ^.älen, mon aur xKilosoxKg, schreibt<lb/>
er z. B. einmal an d'Alembert, si vous xouves öerassr 6erase2 ig. et<lb/>
times-moi. Dasselbe läßt sich an einer Reihe von Stellen nachweisen, aus<lb/>
welchen zugleich hervorgeht, daß unter der Infamen im Kreise der Ein¬<lb/>
geweihten nichts anderes verstanden wurde, als der Aberglaube, der Fana¬<lb/>
tismus, schließlich die christliche Kirche mit ihren Dogmen als die Wurzel<lb/>
dieser Uebel, &#x2014; ensis les ävAlnes as votrs intamk Zg-tönt tont, schreibt<lb/>
einmal Friedrich der Große an seinen philosophischen Freund.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_430" next="#ID_431"> Das Verhältniß Friedrichs zu Voltaire hat immer als eine der interes¬<lb/>
santesten Episoden im Leben des einen wie des anderen Mannes gegolten<lb/>
und wird von Strauß nach den persönlichen Begebnissen wie auf Grund der<lb/>
gesammelten Correspondenz eingehend geschildert. Die Uebersiedlung Vol¬<lb/>
taire's an den Berliner Hof erfolgte bekanntlich erst im Jahr 1750, als sein<lb/>
Verhältniß zur Marquise du ClMelet einen tragischen Abschluß gefunden<lb/>
hatte. Aber die erste Annäherung reicht in die Zeit, da der Kronprinz noch<lb/>
zu Rheinsberg in der Mark seinen ltterarischen Musenhof hielt. &#x201E;Dem feu¬<lb/>
rigen Prinzen war es nicht genug, den bewunderten Schriftsteller nur in der<lb/>
Stille, als Leser seiner Werke, zu verehren; es drängte ihn, diese Verehrung<lb/>
ihm erkennen zu geben und dadurch vorerst eine briefliche Berührung mit<lb/>
ihm herbeizuführen, bis die Verhältnisse eine persönliche gestatten würden.<lb/>
Am 8. August 173L schrieb Friedrich den ersten Brief an Voltaire und er¬<lb/>
öffnete damit eine Correspondenz, die mit wenigen Unterbrechungen die bei¬<lb/>
nahe 42 Jahre bis zu Voltaire's Tod fortdauern und für beide Männer</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten lit. 1870. 20</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0161] den Antheil an den Uebungen, so lächerlich sie ihm auch im Innern waren, nicht entziehen zu lassen. Und das that er nicht blos, um den bürgerlichen Nachtheilen zu entgehen, die sich an solche Ausschließung knüpften und die damals allerdings noch ungleich bedeutender waren, als sie es heute selbst in der katholischen Kirche sind; sondern dieses Possenspiel mit der Geistlich¬ keit, sie zur Spendung ihrer Siebensachen an ihn zu zwingen, von dem sie wußten, daß ihm dieselben ein Spott waren, machte ihm ein unendliches Vergnügen." Uebrigens ist Strauß im Stande, Voltaire vyn einem der schwersten und geläufigsten Vorwürfe loszusprechen. Jedermann kennt das geflügelte Wort: Deraseis I'inkg,irie, das Voltaire als sein Letsruin censeo und meist wie eine Geheimformel in abgekürzter Schreibart: „6er. 1'mein." an den Schluß einer großen Zahl seiner Briefe an die vertrautesten Gesinnungsgenossen ge¬ setzt hat. Was bedeutet das mtawe? Gewöhnlich versteht man darunter niemand Geringeres als Christus selbst und findet daher eine Blasphemie darin. Nun zeigt aber Strauß, daß in dem Voltaire'schen Refrain gar nicht ein Er, sondern eine Sie ist. ^.älen, mon aur xKilosoxKg, schreibt er z. B. einmal an d'Alembert, si vous xouves öerassr 6erase2 ig. et times-moi. Dasselbe läßt sich an einer Reihe von Stellen nachweisen, aus welchen zugleich hervorgeht, daß unter der Infamen im Kreise der Ein¬ geweihten nichts anderes verstanden wurde, als der Aberglaube, der Fana¬ tismus, schließlich die christliche Kirche mit ihren Dogmen als die Wurzel dieser Uebel, — ensis les ävAlnes as votrs intamk Zg-tönt tont, schreibt einmal Friedrich der Große an seinen philosophischen Freund. Das Verhältniß Friedrichs zu Voltaire hat immer als eine der interes¬ santesten Episoden im Leben des einen wie des anderen Mannes gegolten und wird von Strauß nach den persönlichen Begebnissen wie auf Grund der gesammelten Correspondenz eingehend geschildert. Die Uebersiedlung Vol¬ taire's an den Berliner Hof erfolgte bekanntlich erst im Jahr 1750, als sein Verhältniß zur Marquise du ClMelet einen tragischen Abschluß gefunden hatte. Aber die erste Annäherung reicht in die Zeit, da der Kronprinz noch zu Rheinsberg in der Mark seinen ltterarischen Musenhof hielt. „Dem feu¬ rigen Prinzen war es nicht genug, den bewunderten Schriftsteller nur in der Stille, als Leser seiner Werke, zu verehren; es drängte ihn, diese Verehrung ihm erkennen zu geben und dadurch vorerst eine briefliche Berührung mit ihm herbeizuführen, bis die Verhältnisse eine persönliche gestatten würden. Am 8. August 173L schrieb Friedrich den ersten Brief an Voltaire und er¬ öffnete damit eine Correspondenz, die mit wenigen Unterbrechungen die bei¬ nahe 42 Jahre bis zu Voltaire's Tod fortdauern und für beide Männer Grenzboten lit. 1870. 20

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/161
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/161>, abgerufen am 17.06.2024.