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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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immer mehr zum Lebensbedürfnisse werden sollte. Dieser Briefwechsel, wie
er in der neuesten Ausgabe der Werke des großen Königs in drei stattlichen
Bänden und 670 Nummern vor uns liegt, bietet von mehr als einer Seite
ein nicht gewöhnliches Interesse. Es sind die zwei bedeutendsten Männer
ihrer Zeit, die Vertreter zweier Nationen -- denn Friedrich, wenn auch fran¬
zösisch gebildet, verleugnet doch die deutsche Art und Natur keineswegs --,
in ganz verschiedenen Lebensstellungen, doch einer wie der andere in der sei¬
nigen der Erste, die sich so vertraut, wie es zwischen einem Fürsten und
einem Schriftsteller möglich, ist, ip all den verschiedenen Situationen, wie sie
sich in einem ereignißreichen Leben während eines so langen Zeitraums er¬
geben, einander mittheilen. Eben diese Veränderungen in der Stellung, der
äußeren sowohl als der inneren, bei beiden Männern verleihen ihrem Brief¬
wechsel in seinem Verlauf die spannende Anziehungskraft eines Dramas, eines
Romans. Aeußerlich, wie der Prinz zum König, der König zum siegreichen
Feldherrn, dann zum weisen Gesetzgeber und Herrscher, endlich durch furcht¬
bare Schicksalsproben hindurch zum unüberwindlichen Helden, zum großen
Manne des Jahrhunderts emporwächst; während auf der anderen Seite der
Schriftsteller, bei steigender Leistung doch äußerlich noch in schwankender Stel¬
lung, nach mancherlei Ortswechseln und Versuchen, sich endlich eine Existenz
zu gründen weiß, in welcher er dem königlichen Gönner in fürstenmäßiger
Unabhängigkeit gegenübersteht, -- schon diese Veränderungen in der äußeren
Stellung der beiden Theile bringen in ihren brieflichen Verkehr einen Wechsel
des Tons und der Stimmung, der Lichter und Farben, der nicht blos rei¬
zend, sondern, da es zwei gehaltvolle Menschen sind, die sich darin zeigen,
zugleich überaus lehrreich ist. Die tiefste Anziehungskraft des Briefwechsels
aber liegt in den inneren Wandlungen, welche das Verhältniß der beiden
Männer erfährt. Der Anfang gleicht einem schönen Morgen: Der 24jährige
Prinz voll Kraftgefühl und Bildungsdrang, der aber Alles, was in ihm
ist, erst künstig noch zu bewähren hat, kommt dem 42 jährigen, längst welt¬
berühmten Schriftsteller mit der wärmsten Huldigung entgegen, die von diesem
gewandt und anmuthig, mit freundlicher Zuvorkommenheit erwiedert wird.
Einzelne Vorzeichen möglicher Trübung des schönen Verhältnisses schien
während der folgenden Jahre, die beide Männer einige Male zusammenführen,
zwar nicht: doch erst als es dem einen gelungen ist. den andern ganz an
sich zu ziehen, erst als Voltaire zu bleibendem Aufenthalt an Friedrichs Hof
gekommen ist, ergeben sich ernste Verwickelungen, die Anziehung schlägt mit
einem Male in Abstoßung um, der Briefwechsel hört 5us, und aus den
Aeußerungen beider Theile in Briefen an dritte Personen spricht eine Erbit¬
terung, die das Verhältniß als unwiederbringlich vernichtet erscheinen läßt.


immer mehr zum Lebensbedürfnisse werden sollte. Dieser Briefwechsel, wie
er in der neuesten Ausgabe der Werke des großen Königs in drei stattlichen
Bänden und 670 Nummern vor uns liegt, bietet von mehr als einer Seite
ein nicht gewöhnliches Interesse. Es sind die zwei bedeutendsten Männer
ihrer Zeit, die Vertreter zweier Nationen — denn Friedrich, wenn auch fran¬
zösisch gebildet, verleugnet doch die deutsche Art und Natur keineswegs —,
in ganz verschiedenen Lebensstellungen, doch einer wie der andere in der sei¬
nigen der Erste, die sich so vertraut, wie es zwischen einem Fürsten und
einem Schriftsteller möglich, ist, ip all den verschiedenen Situationen, wie sie
sich in einem ereignißreichen Leben während eines so langen Zeitraums er¬
geben, einander mittheilen. Eben diese Veränderungen in der Stellung, der
äußeren sowohl als der inneren, bei beiden Männern verleihen ihrem Brief¬
wechsel in seinem Verlauf die spannende Anziehungskraft eines Dramas, eines
Romans. Aeußerlich, wie der Prinz zum König, der König zum siegreichen
Feldherrn, dann zum weisen Gesetzgeber und Herrscher, endlich durch furcht¬
bare Schicksalsproben hindurch zum unüberwindlichen Helden, zum großen
Manne des Jahrhunderts emporwächst; während auf der anderen Seite der
Schriftsteller, bei steigender Leistung doch äußerlich noch in schwankender Stel¬
lung, nach mancherlei Ortswechseln und Versuchen, sich endlich eine Existenz
zu gründen weiß, in welcher er dem königlichen Gönner in fürstenmäßiger
Unabhängigkeit gegenübersteht, — schon diese Veränderungen in der äußeren
Stellung der beiden Theile bringen in ihren brieflichen Verkehr einen Wechsel
des Tons und der Stimmung, der Lichter und Farben, der nicht blos rei¬
zend, sondern, da es zwei gehaltvolle Menschen sind, die sich darin zeigen,
zugleich überaus lehrreich ist. Die tiefste Anziehungskraft des Briefwechsels
aber liegt in den inneren Wandlungen, welche das Verhältniß der beiden
Männer erfährt. Der Anfang gleicht einem schönen Morgen: Der 24jährige
Prinz voll Kraftgefühl und Bildungsdrang, der aber Alles, was in ihm
ist, erst künstig noch zu bewähren hat, kommt dem 42 jährigen, längst welt¬
berühmten Schriftsteller mit der wärmsten Huldigung entgegen, die von diesem
gewandt und anmuthig, mit freundlicher Zuvorkommenheit erwiedert wird.
Einzelne Vorzeichen möglicher Trübung des schönen Verhältnisses schien
während der folgenden Jahre, die beide Männer einige Male zusammenführen,
zwar nicht: doch erst als es dem einen gelungen ist. den andern ganz an
sich zu ziehen, erst als Voltaire zu bleibendem Aufenthalt an Friedrichs Hof
gekommen ist, ergeben sich ernste Verwickelungen, die Anziehung schlägt mit
einem Male in Abstoßung um, der Briefwechsel hört 5us, und aus den
Aeußerungen beider Theile in Briefen an dritte Personen spricht eine Erbit¬
terung, die das Verhältniß als unwiederbringlich vernichtet erscheinen läßt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/162>, abgerufen am 17.06.2024.