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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Die deutsche Heeresfolge im Süden.
(Aus Schwaben.)

Die Julisonne, welche sonst die Völkerwanderung des Friedens, den
bunten Schwall der Reisenden gesehn, blickt heute ehernen Auges auf die
ungeheure Schaar deutscher Krieger, die zu todtbringendem Spiele dem
Rh-me zu ziehen. Noch nie hat sich ein solches Heer zu deutschem Kampfe
versammelt. Nur ein Mal, im Schreckensjahre 1812, folgten alle deutschen
Stämme demselben Kriegsgebot, aber es war die Heerfolge der Knechtschaft,
die sie leisteten. Heut scheinen d'e Massen, die der wälsche Imperator vor
zwei Menschenaltern über die Weichsel trieb, um sie seinem Herrscherwahne
zu opfern, wieder aufgestanden und bringen die rächende Antwort in vol¬
lerem Chor dem neuen Napoleon entgegen. Wir harren mit erhobenen Her¬
zen und unser Segenswunsch beflügelt ihren stolzen Marsch.

Noch vor el"rin Jahre galt dem Patrioten für unmöglich oder nur für
ein Werk der langsam reifenden Zeit, was jetzt ein einziger Tag vollzogen:
die Brücken führen über den deutschen Rubicon; der Mainbund ist geschlossen,
der die schmähliche Erinnerung des Rheinbundes führt. Indem diese Zeilen
geschrieben werden, tritt der Kronprinz von Preußen das Commando der
Südarmee an, mit jedem Schritt vorwärts mächtiger anschwellend wälzt sich
das zweite Heer über den Lech und den Schwarzwald dem Vorposten deut¬
scher Ehre, dem treuen Baden zu. Mit gleicher Inbrunst wie den Heer¬
säulen des Nordens, die gerades Wegs auf den Feind eilen, geleiten wir
den friedlichen Eroberungszug, welcher sich über die Mainbrücken ergießend
die vom Alp der Sondergelüste befreiten Waffengenvssen aufnimmt. Mög¬
licher Weise wartet ihrer eine ähnliche Aufgabe wie die war,'welche ihr nun¬
mehriger Führer bei China löste. An ihre Tapferkeit wird die höchste An¬
forderung gestellt und wir vertrauen, sie werden jede Probe bestehen; viel¬
leicht nur um so mehr, weil es ihnen nicht ganz ohne Selbstüberwindung ge¬
lang, die große Losung zu finden. --

Würtemberg schließt den Ring der deutschen Lande, die wider die un-


Greujboten III. 1870. 21
Die deutsche Heeresfolge im Süden.
(Aus Schwaben.)

Die Julisonne, welche sonst die Völkerwanderung des Friedens, den
bunten Schwall der Reisenden gesehn, blickt heute ehernen Auges auf die
ungeheure Schaar deutscher Krieger, die zu todtbringendem Spiele dem
Rh-me zu ziehen. Noch nie hat sich ein solches Heer zu deutschem Kampfe
versammelt. Nur ein Mal, im Schreckensjahre 1812, folgten alle deutschen
Stämme demselben Kriegsgebot, aber es war die Heerfolge der Knechtschaft,
die sie leisteten. Heut scheinen d'e Massen, die der wälsche Imperator vor
zwei Menschenaltern über die Weichsel trieb, um sie seinem Herrscherwahne
zu opfern, wieder aufgestanden und bringen die rächende Antwort in vol¬
lerem Chor dem neuen Napoleon entgegen. Wir harren mit erhobenen Her¬
zen und unser Segenswunsch beflügelt ihren stolzen Marsch.

Noch vor el"rin Jahre galt dem Patrioten für unmöglich oder nur für
ein Werk der langsam reifenden Zeit, was jetzt ein einziger Tag vollzogen:
die Brücken führen über den deutschen Rubicon; der Mainbund ist geschlossen,
der die schmähliche Erinnerung des Rheinbundes führt. Indem diese Zeilen
geschrieben werden, tritt der Kronprinz von Preußen das Commando der
Südarmee an, mit jedem Schritt vorwärts mächtiger anschwellend wälzt sich
das zweite Heer über den Lech und den Schwarzwald dem Vorposten deut¬
scher Ehre, dem treuen Baden zu. Mit gleicher Inbrunst wie den Heer¬
säulen des Nordens, die gerades Wegs auf den Feind eilen, geleiten wir
den friedlichen Eroberungszug, welcher sich über die Mainbrücken ergießend
die vom Alp der Sondergelüste befreiten Waffengenvssen aufnimmt. Mög¬
licher Weise wartet ihrer eine ähnliche Aufgabe wie die war,'welche ihr nun¬
mehriger Führer bei China löste. An ihre Tapferkeit wird die höchste An¬
forderung gestellt und wir vertrauen, sie werden jede Probe bestehen; viel¬
leicht nur um so mehr, weil es ihnen nicht ganz ohne Selbstüberwindung ge¬
lang, die große Losung zu finden. —

Würtemberg schließt den Ring der deutschen Lande, die wider die un-


Greujboten III. 1870. 21
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[0169] Die deutsche Heeresfolge im Süden. (Aus Schwaben.) Die Julisonne, welche sonst die Völkerwanderung des Friedens, den bunten Schwall der Reisenden gesehn, blickt heute ehernen Auges auf die ungeheure Schaar deutscher Krieger, die zu todtbringendem Spiele dem Rh-me zu ziehen. Noch nie hat sich ein solches Heer zu deutschem Kampfe versammelt. Nur ein Mal, im Schreckensjahre 1812, folgten alle deutschen Stämme demselben Kriegsgebot, aber es war die Heerfolge der Knechtschaft, die sie leisteten. Heut scheinen d'e Massen, die der wälsche Imperator vor zwei Menschenaltern über die Weichsel trieb, um sie seinem Herrscherwahne zu opfern, wieder aufgestanden und bringen die rächende Antwort in vol¬ lerem Chor dem neuen Napoleon entgegen. Wir harren mit erhobenen Her¬ zen und unser Segenswunsch beflügelt ihren stolzen Marsch. Noch vor el"rin Jahre galt dem Patrioten für unmöglich oder nur für ein Werk der langsam reifenden Zeit, was jetzt ein einziger Tag vollzogen: die Brücken führen über den deutschen Rubicon; der Mainbund ist geschlossen, der die schmähliche Erinnerung des Rheinbundes führt. Indem diese Zeilen geschrieben werden, tritt der Kronprinz von Preußen das Commando der Südarmee an, mit jedem Schritt vorwärts mächtiger anschwellend wälzt sich das zweite Heer über den Lech und den Schwarzwald dem Vorposten deut¬ scher Ehre, dem treuen Baden zu. Mit gleicher Inbrunst wie den Heer¬ säulen des Nordens, die gerades Wegs auf den Feind eilen, geleiten wir den friedlichen Eroberungszug, welcher sich über die Mainbrücken ergießend die vom Alp der Sondergelüste befreiten Waffengenvssen aufnimmt. Mög¬ licher Weise wartet ihrer eine ähnliche Aufgabe wie die war,'welche ihr nun¬ mehriger Führer bei China löste. An ihre Tapferkeit wird die höchste An¬ forderung gestellt und wir vertrauen, sie werden jede Probe bestehen; viel¬ leicht nur um so mehr, weil es ihnen nicht ganz ohne Selbstüberwindung ge¬ lang, die große Losung zu finden. — Würtemberg schließt den Ring der deutschen Lande, die wider die un- Greujboten III. 1870. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/169>, abgerufen am 17.06.2024.