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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Süddeutschlands, weil es sonst in die unangenehme Lage gerathen würde,
zum Kriegsschauplatz zu werden. An demselben Tage erklärte Carl Mayer
öffentlich, daß er seinen Widerstand aufgebe. "Wir hatten geglaubt, daß
die Volkspartei im Stande sein werde, die Consequenzen ihrer Politik zu
ziehen" -- naiver hat niemals eine politische Partei selbst das Urtheil über
sich gesprochen.

Man kann nicht gerade sagen, daß vom ersten Tage an eine entschie-
dene Einmütigkeit für die Sache des nationalen Krieges herrschte. Das
konnte man in der That nicht erwarten, nachdem noch eben durch die Leiter
der Volkspartei das Land zum Haß gegen Preußen eingeschworen worden
war. Aber das zeigte sich gleich, daß die guten Elemente überwogen. Wie
die Dinge in Paris und Ems verliefen, das packte doch das Herz jedes
ehrlichen Deutschen, und nach wenigen Tagen war der Strom der öffent¬
lichen Meinung so mächtig geworden, daß die dissentirenden Stimmen ver¬
schwanden oder doch sich zurückzogen, zum Theil sich für den Augenblick mit
fortreißen ließen. Es war jetzt nicht mehr räthlich, öffentlich die niederträch¬
tigen Reden zu führen, wie man sie sonst wohl hier zu Lande vernehmen
mußte. Und vielfach wurde das Bedürfniß laut, über die bisher trennenden
Parteiunterschiede hinweg sich versöhnlich die Hand zu reichen.

Als am 16. Juli die deutsche Partei zu Stuttgart den Anfang mit
einer nationalen Kundgebung machte, war es ihr noch nicht gelungen,
die andern Parteien zur Mitwirkung zu vermögen. Auf dem Lande aber
kostete es weniger Umstände, die bisherigen Disfidien zu vergessen. Die Re¬
solutionen der Stuttgarter Liederhalle vom 16. Juli machten die Runde durch
die Städte des Landes, und fast überall traten die deutsche Partei und die
Volkspartei zu gemeinschaftlichen Kundgebungen zusammen. Es muß aner¬
kannt werden, daß die letztere, ihren Führern den Gehorsam aufsagend, es
sich angelegen sein ließ, an Eifer von den Andern sich nicht übertreffen zu
lassen. An entschiedener Verurtheilung des fremden Uebermuths, an Betheue-
rung der Opferwilligkeit und Anerkennung des nationalen Charakters dieses
Kriegs ließ die Volkspartei nichts fehlen, wenn sie auch zuweilen einen Vor¬
behalt wegen des Jahrs 1866 machte, das nun einmal die Billigung dieser
Partei noch nicht gefunden hat. Als man hörte, daß der Eigensinn der
Parteiführer in Stuttgart sich weigerte, der allgemeinen Strömung zu folgen,
unternahmen die Wähler den Versuch auf dieselben einzuwirken. So erhiel¬
ten Becher, Schott u. A. Zuschriften aus ihren Wahlbezirken, worin ihnen
nachdrücklich die nationale Pflicht eingeschärft wurde, und selbst bei R. Mayer,
dem Unfehlbarer, fand sich eine Deputation ein, welche es wagte, ihm das
souveräne Mißfallen der Wähler von Besigheim über die Beobachterpolitik
auszudrücken. Noch vor wenigen Wochen rühmte sich der Ebengenannte,


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Süddeutschlands, weil es sonst in die unangenehme Lage gerathen würde,
zum Kriegsschauplatz zu werden. An demselben Tage erklärte Carl Mayer
öffentlich, daß er seinen Widerstand aufgebe. „Wir hatten geglaubt, daß
die Volkspartei im Stande sein werde, die Consequenzen ihrer Politik zu
ziehen" — naiver hat niemals eine politische Partei selbst das Urtheil über
sich gesprochen.

Man kann nicht gerade sagen, daß vom ersten Tage an eine entschie-
dene Einmütigkeit für die Sache des nationalen Krieges herrschte. Das
konnte man in der That nicht erwarten, nachdem noch eben durch die Leiter
der Volkspartei das Land zum Haß gegen Preußen eingeschworen worden
war. Aber das zeigte sich gleich, daß die guten Elemente überwogen. Wie
die Dinge in Paris und Ems verliefen, das packte doch das Herz jedes
ehrlichen Deutschen, und nach wenigen Tagen war der Strom der öffent¬
lichen Meinung so mächtig geworden, daß die dissentirenden Stimmen ver¬
schwanden oder doch sich zurückzogen, zum Theil sich für den Augenblick mit
fortreißen ließen. Es war jetzt nicht mehr räthlich, öffentlich die niederträch¬
tigen Reden zu führen, wie man sie sonst wohl hier zu Lande vernehmen
mußte. Und vielfach wurde das Bedürfniß laut, über die bisher trennenden
Parteiunterschiede hinweg sich versöhnlich die Hand zu reichen.

Als am 16. Juli die deutsche Partei zu Stuttgart den Anfang mit
einer nationalen Kundgebung machte, war es ihr noch nicht gelungen,
die andern Parteien zur Mitwirkung zu vermögen. Auf dem Lande aber
kostete es weniger Umstände, die bisherigen Disfidien zu vergessen. Die Re¬
solutionen der Stuttgarter Liederhalle vom 16. Juli machten die Runde durch
die Städte des Landes, und fast überall traten die deutsche Partei und die
Volkspartei zu gemeinschaftlichen Kundgebungen zusammen. Es muß aner¬
kannt werden, daß die letztere, ihren Führern den Gehorsam aufsagend, es
sich angelegen sein ließ, an Eifer von den Andern sich nicht übertreffen zu
lassen. An entschiedener Verurtheilung des fremden Uebermuths, an Betheue-
rung der Opferwilligkeit und Anerkennung des nationalen Charakters dieses
Kriegs ließ die Volkspartei nichts fehlen, wenn sie auch zuweilen einen Vor¬
behalt wegen des Jahrs 1866 machte, das nun einmal die Billigung dieser
Partei noch nicht gefunden hat. Als man hörte, daß der Eigensinn der
Parteiführer in Stuttgart sich weigerte, der allgemeinen Strömung zu folgen,
unternahmen die Wähler den Versuch auf dieselben einzuwirken. So erhiel¬
ten Becher, Schott u. A. Zuschriften aus ihren Wahlbezirken, worin ihnen
nachdrücklich die nationale Pflicht eingeschärft wurde, und selbst bei R. Mayer,
dem Unfehlbarer, fand sich eine Deputation ein, welche es wagte, ihm das
souveräne Mißfallen der Wähler von Besigheim über die Beobachterpolitik
auszudrücken. Noch vor wenigen Wochen rühmte sich der Ebengenannte,


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[0171] Süddeutschlands, weil es sonst in die unangenehme Lage gerathen würde, zum Kriegsschauplatz zu werden. An demselben Tage erklärte Carl Mayer öffentlich, daß er seinen Widerstand aufgebe. „Wir hatten geglaubt, daß die Volkspartei im Stande sein werde, die Consequenzen ihrer Politik zu ziehen" — naiver hat niemals eine politische Partei selbst das Urtheil über sich gesprochen. Man kann nicht gerade sagen, daß vom ersten Tage an eine entschie- dene Einmütigkeit für die Sache des nationalen Krieges herrschte. Das konnte man in der That nicht erwarten, nachdem noch eben durch die Leiter der Volkspartei das Land zum Haß gegen Preußen eingeschworen worden war. Aber das zeigte sich gleich, daß die guten Elemente überwogen. Wie die Dinge in Paris und Ems verliefen, das packte doch das Herz jedes ehrlichen Deutschen, und nach wenigen Tagen war der Strom der öffent¬ lichen Meinung so mächtig geworden, daß die dissentirenden Stimmen ver¬ schwanden oder doch sich zurückzogen, zum Theil sich für den Augenblick mit fortreißen ließen. Es war jetzt nicht mehr räthlich, öffentlich die niederträch¬ tigen Reden zu führen, wie man sie sonst wohl hier zu Lande vernehmen mußte. Und vielfach wurde das Bedürfniß laut, über die bisher trennenden Parteiunterschiede hinweg sich versöhnlich die Hand zu reichen. Als am 16. Juli die deutsche Partei zu Stuttgart den Anfang mit einer nationalen Kundgebung machte, war es ihr noch nicht gelungen, die andern Parteien zur Mitwirkung zu vermögen. Auf dem Lande aber kostete es weniger Umstände, die bisherigen Disfidien zu vergessen. Die Re¬ solutionen der Stuttgarter Liederhalle vom 16. Juli machten die Runde durch die Städte des Landes, und fast überall traten die deutsche Partei und die Volkspartei zu gemeinschaftlichen Kundgebungen zusammen. Es muß aner¬ kannt werden, daß die letztere, ihren Führern den Gehorsam aufsagend, es sich angelegen sein ließ, an Eifer von den Andern sich nicht übertreffen zu lassen. An entschiedener Verurtheilung des fremden Uebermuths, an Betheue- rung der Opferwilligkeit und Anerkennung des nationalen Charakters dieses Kriegs ließ die Volkspartei nichts fehlen, wenn sie auch zuweilen einen Vor¬ behalt wegen des Jahrs 1866 machte, das nun einmal die Billigung dieser Partei noch nicht gefunden hat. Als man hörte, daß der Eigensinn der Parteiführer in Stuttgart sich weigerte, der allgemeinen Strömung zu folgen, unternahmen die Wähler den Versuch auf dieselben einzuwirken. So erhiel¬ ten Becher, Schott u. A. Zuschriften aus ihren Wahlbezirken, worin ihnen nachdrücklich die nationale Pflicht eingeschärft wurde, und selbst bei R. Mayer, dem Unfehlbarer, fand sich eine Deputation ein, welche es wagte, ihm das souveräne Mißfallen der Wähler von Besigheim über die Beobachterpolitik auszudrücken. Noch vor wenigen Wochen rühmte sich der Ebengenannte, 21"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/171>, abgerufen am 17.06.2024.