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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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160.000 freie schwäbische Männer hinter sich zu haben. Jetzt sah er sich
veranlaßt, den Beistand der Stuttgarter Polizeimannschaft zum Schutze seiner
Persönlichkeit in Anspruch zu nehmen.

Während so die öffentliche Meinung immer kräftiger sich aussprach, der
größte Theil der Presse seine Schuldigkeit that und bereits an Universität
und Polytechnikum die Jugend begeistert unter die Freiwilligen sich stellte,
war noch immer die Sorge die, zu welcher Haltung dem ausbrechenden Krieg
gegenüber Krone und Regierung sich entschließen würden. Wer der Wand¬
lungen des Ministers Varnbüler sich erinnerte, konnte nichts weniger als
zu rosiger Vertrauensstimmung sich aufgefordert fühlen. Im Gegentheil lag
es nahe, daß wenn das Volk seinen nationalen Impulsen Worte verlieh, es
zugleich die Ersetzung Varnbülers durch einen vertrauenswürdiger Mann
verlangte. Gleichwohl nahm man davon Abstand, da man aus dem Ministe¬
rium fortwährend durch die beruhigendsten Versicherungen erfreut wurde.
Als besonders zuverläßig wurde zwar nicht Varnbüler, aber Suckow und
Scheurlen, die Minister des Kriegs und des Innern geschildert. Nach der
Rückkehr des Königs, hieß es, werde das Land durch nationale Entschlüsse
überrascht werden, die nichts zu wünschen übrig ließen. Der König war
am 11. Juli, also gerade als die Dinge am kritischsten standen, nach Se.
Moriz in Graubündten abgereist. Zwei Tage später war die kriegerische
Wendung entschieden. Mit begreiflicher Ungeduld, die von Tag zu Tag
wuchs, wurde die Abwesenheit des Königs empfunden. In Folge der dringen¬
den Nachrichten, die er aus Stuttgart erhielt, sah er sich denn auch zur
Rückreise bewogen, und noch am Tage seiner Rückkehr, Sonntag den 17. Juli,
wurde ein Ministerrath gehalten, der über die politische Haltung entschied
und die Mobilmachung des Heeres beschloß. Gleichwohl erfolgte auch jetzt
noch keine officielle Ankündigung an das Land, was die Argwöhnischen sich
so zurechtlegten, als ob die letzten Schwankungen noch nicht überwunden seien,
während anderseits dieser Aufschub vielmehr eine günstige Auslegung erhielt;
wie es denn allerdings Thatsache ist, daß dadurch der französische Gesandte
um mehrere Tage zurückgehalten und so eine werthvolle Spanne Zeit ge¬
wonnen wurde. Auch daß die Kammer auf den 21. Juli einberufen wurde,
unterlag verschiedenen Auffassungen. Die Einen sahen darin ein Mittel der
Regierung, für sich selbst noch Zeit zu gewinnen. Andere waren überzeugt,
daß die Kammer, in welcher die bekannten Richtungen überwogen, dadurch
vor vollendete Thatsachen geführt, in eine Zwangslage gebracht werden sollte.

Wie dem auch sei, die politische Mittheilung, welche Herr v. Varnbüler
am 21. Juli der Kammer machte, zeigte, daß die Regierung rückhaltlos sich
für die nationale Sache entschieden hatte und das Allianzverhältniß mit allen
Konsequenzen anerkannte. Auch dies blieb nicht unbemerkt, daß Varnbüler's


160.000 freie schwäbische Männer hinter sich zu haben. Jetzt sah er sich
veranlaßt, den Beistand der Stuttgarter Polizeimannschaft zum Schutze seiner
Persönlichkeit in Anspruch zu nehmen.

Während so die öffentliche Meinung immer kräftiger sich aussprach, der
größte Theil der Presse seine Schuldigkeit that und bereits an Universität
und Polytechnikum die Jugend begeistert unter die Freiwilligen sich stellte,
war noch immer die Sorge die, zu welcher Haltung dem ausbrechenden Krieg
gegenüber Krone und Regierung sich entschließen würden. Wer der Wand¬
lungen des Ministers Varnbüler sich erinnerte, konnte nichts weniger als
zu rosiger Vertrauensstimmung sich aufgefordert fühlen. Im Gegentheil lag
es nahe, daß wenn das Volk seinen nationalen Impulsen Worte verlieh, es
zugleich die Ersetzung Varnbülers durch einen vertrauenswürdiger Mann
verlangte. Gleichwohl nahm man davon Abstand, da man aus dem Ministe¬
rium fortwährend durch die beruhigendsten Versicherungen erfreut wurde.
Als besonders zuverläßig wurde zwar nicht Varnbüler, aber Suckow und
Scheurlen, die Minister des Kriegs und des Innern geschildert. Nach der
Rückkehr des Königs, hieß es, werde das Land durch nationale Entschlüsse
überrascht werden, die nichts zu wünschen übrig ließen. Der König war
am 11. Juli, also gerade als die Dinge am kritischsten standen, nach Se.
Moriz in Graubündten abgereist. Zwei Tage später war die kriegerische
Wendung entschieden. Mit begreiflicher Ungeduld, die von Tag zu Tag
wuchs, wurde die Abwesenheit des Königs empfunden. In Folge der dringen¬
den Nachrichten, die er aus Stuttgart erhielt, sah er sich denn auch zur
Rückreise bewogen, und noch am Tage seiner Rückkehr, Sonntag den 17. Juli,
wurde ein Ministerrath gehalten, der über die politische Haltung entschied
und die Mobilmachung des Heeres beschloß. Gleichwohl erfolgte auch jetzt
noch keine officielle Ankündigung an das Land, was die Argwöhnischen sich
so zurechtlegten, als ob die letzten Schwankungen noch nicht überwunden seien,
während anderseits dieser Aufschub vielmehr eine günstige Auslegung erhielt;
wie es denn allerdings Thatsache ist, daß dadurch der französische Gesandte
um mehrere Tage zurückgehalten und so eine werthvolle Spanne Zeit ge¬
wonnen wurde. Auch daß die Kammer auf den 21. Juli einberufen wurde,
unterlag verschiedenen Auffassungen. Die Einen sahen darin ein Mittel der
Regierung, für sich selbst noch Zeit zu gewinnen. Andere waren überzeugt,
daß die Kammer, in welcher die bekannten Richtungen überwogen, dadurch
vor vollendete Thatsachen geführt, in eine Zwangslage gebracht werden sollte.

Wie dem auch sei, die politische Mittheilung, welche Herr v. Varnbüler
am 21. Juli der Kammer machte, zeigte, daß die Regierung rückhaltlos sich
für die nationale Sache entschieden hatte und das Allianzverhältniß mit allen
Konsequenzen anerkannte. Auch dies blieb nicht unbemerkt, daß Varnbüler's


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/172>, abgerufen am 17.06.2024.