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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Tagen zeugen davon die in ihrer Einrichtung an großstädtischen Comfort
erinnernden Gasthäuser; diese bilden überhaupt den Glanzpunkt einer polni¬
schen Stadt. Die polnischen Gutsbesitzer lieben es, etwas drauf gehen zu lassen,
wenn sie nach der Stadt kommen, was nicht eben selten geschieht; ihre An¬
wesenheit hat stets einen beträchtlichen Consum des landesüblichen Ungars
zur Folge, eines starken erhitzenden Weins. An zwei Tagen der Woche
aber bieten auch die Straßen und Plätze der Stadt ein überaus belebtes
Bild. Am Sonntage nämlich, wenn Schaaren von Landleuten nach dem
Gottesdienste die Straßen erfüllen, die Männer in langen blauen falten¬
reichen Röcken und breitkrämpigen niedrigen Hüten, die Frauen in ihren
grellbunten, höchst geschmacklosen Tüchern und kurzen Röcken; und am
Wochenmarktstage, dem allgemeinen Geschäftstage, der nicht blos zur Ver¬
sorgung der Stadt mit Lebensmitteln, sondern zum Absatz aller Produkte
des Landmannes und zum Eintausch seiner Bedürfnisse bestimmt ist.

Schon frühzeitig gesellen sich an diesem Tage zu den einheimischen Land¬
leuten die jüdischen Händler der Nachbarstädte. Getreidelieferungs- und
Geldgeschäfte werden abgeschlossen, große Heerden von Schweinen und "Gän¬
sen werden von fremden Aufkäufern fortgetrieben. Unter den Gegen¬
ständen, die der Landmann gegen seine Produkte eintauscht, nimmt unzwei¬
felhaft der destillirte Spiritus den ersten Rang ein. Zahlreiche Krüger der
Nachbardörfer versorgen sich mit diesem unentbehrlichen Artikel, und während¬
dem benutzen deren ländliche Kunden ihre Anwesenheit in der Stadt, um
das Getränk an der Quelle zu kosten. Die Destillationen und Schänken
sind, obwohl in großer Zahl vorhanden, doch überfüllt. Wenn nach dem
Schlüsse des Marktes ti" Straßen sich mit den Fuhrwerken der heimkehren¬
den Landleute bedecken, so legt die sehr beschleunigte Gangart der unan¬
sehnlichen, aber flinken Pferde Zeugniß von der erregten Stimmung ihrer
Lenker ab. Mancher verläßt auch schwankenden Schrittes die Stadt, und
auf unserm Nachmittagsspaziergänge finden wir leicht Gelegenheit zu dem
Liebeswerk, einem Trunkenen wieder auf die Füße zu helfen.

Diesem starken Verkehr entspricht das Aussehen der Stadt leider nicht.
Der Markt und die Hauptstraße sind zu einem großen Theile mit alten
niedrigen, schlecht gehaltenen Gebäuden besetzt. Auch weiterhin nach der
Peripherie zu drängen sich überall schmutzige, baufällige Häuser zwischen die
hier in größerer Anzahl auftretenden Bauten von freundlicherem Ansetzn
-- meist Wohnungen von Beamten. Mit dem steigenden Wohlstande der
Landbevölkerung ist auch der Wohlstand und die Bedeutung der kleinen
Städte, die dem Landmann seine Erzeugnisse abnehmen, gestiegen, aber die
bauliche Entwickelung der Städte hält damit nicht gleichen Schritt. Zum
Theil liegt der Grund in den hohen Preisen des Materials und der Ar-


Tagen zeugen davon die in ihrer Einrichtung an großstädtischen Comfort
erinnernden Gasthäuser; diese bilden überhaupt den Glanzpunkt einer polni¬
schen Stadt. Die polnischen Gutsbesitzer lieben es, etwas drauf gehen zu lassen,
wenn sie nach der Stadt kommen, was nicht eben selten geschieht; ihre An¬
wesenheit hat stets einen beträchtlichen Consum des landesüblichen Ungars
zur Folge, eines starken erhitzenden Weins. An zwei Tagen der Woche
aber bieten auch die Straßen und Plätze der Stadt ein überaus belebtes
Bild. Am Sonntage nämlich, wenn Schaaren von Landleuten nach dem
Gottesdienste die Straßen erfüllen, die Männer in langen blauen falten¬
reichen Röcken und breitkrämpigen niedrigen Hüten, die Frauen in ihren
grellbunten, höchst geschmacklosen Tüchern und kurzen Röcken; und am
Wochenmarktstage, dem allgemeinen Geschäftstage, der nicht blos zur Ver¬
sorgung der Stadt mit Lebensmitteln, sondern zum Absatz aller Produkte
des Landmannes und zum Eintausch seiner Bedürfnisse bestimmt ist.

Schon frühzeitig gesellen sich an diesem Tage zu den einheimischen Land¬
leuten die jüdischen Händler der Nachbarstädte. Getreidelieferungs- und
Geldgeschäfte werden abgeschlossen, große Heerden von Schweinen und «Gän¬
sen werden von fremden Aufkäufern fortgetrieben. Unter den Gegen¬
ständen, die der Landmann gegen seine Produkte eintauscht, nimmt unzwei¬
felhaft der destillirte Spiritus den ersten Rang ein. Zahlreiche Krüger der
Nachbardörfer versorgen sich mit diesem unentbehrlichen Artikel, und während¬
dem benutzen deren ländliche Kunden ihre Anwesenheit in der Stadt, um
das Getränk an der Quelle zu kosten. Die Destillationen und Schänken
sind, obwohl in großer Zahl vorhanden, doch überfüllt. Wenn nach dem
Schlüsse des Marktes ti« Straßen sich mit den Fuhrwerken der heimkehren¬
den Landleute bedecken, so legt die sehr beschleunigte Gangart der unan¬
sehnlichen, aber flinken Pferde Zeugniß von der erregten Stimmung ihrer
Lenker ab. Mancher verläßt auch schwankenden Schrittes die Stadt, und
auf unserm Nachmittagsspaziergänge finden wir leicht Gelegenheit zu dem
Liebeswerk, einem Trunkenen wieder auf die Füße zu helfen.

Diesem starken Verkehr entspricht das Aussehen der Stadt leider nicht.
Der Markt und die Hauptstraße sind zu einem großen Theile mit alten
niedrigen, schlecht gehaltenen Gebäuden besetzt. Auch weiterhin nach der
Peripherie zu drängen sich überall schmutzige, baufällige Häuser zwischen die
hier in größerer Anzahl auftretenden Bauten von freundlicherem Ansetzn
— meist Wohnungen von Beamten. Mit dem steigenden Wohlstande der
Landbevölkerung ist auch der Wohlstand und die Bedeutung der kleinen
Städte, die dem Landmann seine Erzeugnisse abnehmen, gestiegen, aber die
bauliche Entwickelung der Städte hält damit nicht gleichen Schritt. Zum
Theil liegt der Grund in den hohen Preisen des Materials und der Ar-


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[0176] Tagen zeugen davon die in ihrer Einrichtung an großstädtischen Comfort erinnernden Gasthäuser; diese bilden überhaupt den Glanzpunkt einer polni¬ schen Stadt. Die polnischen Gutsbesitzer lieben es, etwas drauf gehen zu lassen, wenn sie nach der Stadt kommen, was nicht eben selten geschieht; ihre An¬ wesenheit hat stets einen beträchtlichen Consum des landesüblichen Ungars zur Folge, eines starken erhitzenden Weins. An zwei Tagen der Woche aber bieten auch die Straßen und Plätze der Stadt ein überaus belebtes Bild. Am Sonntage nämlich, wenn Schaaren von Landleuten nach dem Gottesdienste die Straßen erfüllen, die Männer in langen blauen falten¬ reichen Röcken und breitkrämpigen niedrigen Hüten, die Frauen in ihren grellbunten, höchst geschmacklosen Tüchern und kurzen Röcken; und am Wochenmarktstage, dem allgemeinen Geschäftstage, der nicht blos zur Ver¬ sorgung der Stadt mit Lebensmitteln, sondern zum Absatz aller Produkte des Landmannes und zum Eintausch seiner Bedürfnisse bestimmt ist. Schon frühzeitig gesellen sich an diesem Tage zu den einheimischen Land¬ leuten die jüdischen Händler der Nachbarstädte. Getreidelieferungs- und Geldgeschäfte werden abgeschlossen, große Heerden von Schweinen und «Gän¬ sen werden von fremden Aufkäufern fortgetrieben. Unter den Gegen¬ ständen, die der Landmann gegen seine Produkte eintauscht, nimmt unzwei¬ felhaft der destillirte Spiritus den ersten Rang ein. Zahlreiche Krüger der Nachbardörfer versorgen sich mit diesem unentbehrlichen Artikel, und während¬ dem benutzen deren ländliche Kunden ihre Anwesenheit in der Stadt, um das Getränk an der Quelle zu kosten. Die Destillationen und Schänken sind, obwohl in großer Zahl vorhanden, doch überfüllt. Wenn nach dem Schlüsse des Marktes ti« Straßen sich mit den Fuhrwerken der heimkehren¬ den Landleute bedecken, so legt die sehr beschleunigte Gangart der unan¬ sehnlichen, aber flinken Pferde Zeugniß von der erregten Stimmung ihrer Lenker ab. Mancher verläßt auch schwankenden Schrittes die Stadt, und auf unserm Nachmittagsspaziergänge finden wir leicht Gelegenheit zu dem Liebeswerk, einem Trunkenen wieder auf die Füße zu helfen. Diesem starken Verkehr entspricht das Aussehen der Stadt leider nicht. Der Markt und die Hauptstraße sind zu einem großen Theile mit alten niedrigen, schlecht gehaltenen Gebäuden besetzt. Auch weiterhin nach der Peripherie zu drängen sich überall schmutzige, baufällige Häuser zwischen die hier in größerer Anzahl auftretenden Bauten von freundlicherem Ansetzn — meist Wohnungen von Beamten. Mit dem steigenden Wohlstande der Landbevölkerung ist auch der Wohlstand und die Bedeutung der kleinen Städte, die dem Landmann seine Erzeugnisse abnehmen, gestiegen, aber die bauliche Entwickelung der Städte hält damit nicht gleichen Schritt. Zum Theil liegt der Grund in den hohen Preisen des Materials und der Ar-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/176>, abgerufen am 17.06.2024.