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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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beitskräfte, mit denen der Miethswerth der Häuser zur Zeit nicht im Ver¬
hältnisse steht. Ein andrer Grund liegt in der Eigenart desjenigen Volks¬
stammes, welcher gerade im Mittelpunkte der Stadt vorzugsweise seinen
Sitz hat, -- der Juden nämlich. Hinter diesen finstern Läden und trüben
niedrigen Fenstern ist mehr Wohlhabenheit zu finden, als das Aeußere der
Häuser verräth. Eine Veranlassung, ihren Reichthum zu verbergen, haben
die Juden heute nicht mehr; auch tragen sie ihn ohne Bedenken im sab¬
bathlichen Putze, in kostbaren Pelzen und in den schweren silbernen Leuchtern,
von welchen herab die Kerzen am Sabathabende ihren Schein durch die
Fenster werfen, zur Schau. Aber was Wohnung anlangt, sind ihre Be¬
dürfnisse auffallend gering. Eine geräumige, luftige Wohnung, nach deut¬
schen Vorstellungen der am meisten berechtigte Luxus, erscheint ihnen nur
unter dem Gesichtspunkte einer nicht rentablen Kapitalsanlage.

Jede Schilderung des Lebens in unseren Posenschen Städten muß den
Juden einen hervorragenden Platz einräumen. Sie verdienen ihn nicht blos
wegen ihrer Eigenthümlichkeiten, welche sie sich hier, in größerer Zahl bei
einander wohnend, mehr als anderswo erhalten haben, sondern auch wegen
ihrer außerordentlichen Bedeutung für die Entwickelung unserer Provinz.
Diese Bedeutung liegt freilich ganz und gar auf dem socialen Gebiet. In
politischer Beziehung stehen sie dem Nationalitätenkampfe in der Provinz
völlig indifferent gegenüber. In communalen Angelegenheiten, welche das
Interesse des Einzelnen unmittelbarer berühren, entfalten sie eine größere
Regsamkeit, zumal sie sich hier vermöge ihrer Anzahl zu höherer Geltung
bringen können, und um einen der Ihrigen zum Stadtverordneten gewählt
zu sehen, verbinden sie sich je nach Bedürfniß mit den Polen oder Deutschen.

Ihre Geschäfte betreiben die Juden mit einer Rührigkeit, die ihnen auf
d,em so günstigen Boden unserer Provinz von vornherein den Erfolg sichert.
Nicht alle begnügen sich mit demjenigen Gewerbe, welches das Schild über
der Ladenthür ankündigt. Der Schnittwaarenhändler befaßt sich wohl neben¬
her mit einem einträglichen Gütermäklergewerbe, der Destillateur und der
Schänkwirth benutzen ihre vielfachen Verbindungen mit dem Landvolk zu
ausgedehnten Lieferungs- und Geldgeschäften. Viele haben gar kein offenes
Geschäft, man sieht sie an den Gasthöfen, wo die Gutsbesitzer abzusteigen
pflegen, scheinbar müßig sich herumbewegen, und mancher defecte Rock läßt
nichts von der Abhängigkeit ahnen, in welcher der Gutsbesitzer, der eben mit
glänzendem Viergespann die Stadt verläßt, zu seinem Träger steht. Zu
der unermüdlichen Thätigkeit der Juden tritt noch ein ausgebildetes System
von Mascopie, um sie zu dem zu machen, als was sie eine wahre sociale
Macht in unserer Provinz sind, --- zu Beherrschern des einheimischen Geld¬
marktes.


Grenzboten III. 1S70. 22

beitskräfte, mit denen der Miethswerth der Häuser zur Zeit nicht im Ver¬
hältnisse steht. Ein andrer Grund liegt in der Eigenart desjenigen Volks¬
stammes, welcher gerade im Mittelpunkte der Stadt vorzugsweise seinen
Sitz hat, — der Juden nämlich. Hinter diesen finstern Läden und trüben
niedrigen Fenstern ist mehr Wohlhabenheit zu finden, als das Aeußere der
Häuser verräth. Eine Veranlassung, ihren Reichthum zu verbergen, haben
die Juden heute nicht mehr; auch tragen sie ihn ohne Bedenken im sab¬
bathlichen Putze, in kostbaren Pelzen und in den schweren silbernen Leuchtern,
von welchen herab die Kerzen am Sabathabende ihren Schein durch die
Fenster werfen, zur Schau. Aber was Wohnung anlangt, sind ihre Be¬
dürfnisse auffallend gering. Eine geräumige, luftige Wohnung, nach deut¬
schen Vorstellungen der am meisten berechtigte Luxus, erscheint ihnen nur
unter dem Gesichtspunkte einer nicht rentablen Kapitalsanlage.

Jede Schilderung des Lebens in unseren Posenschen Städten muß den
Juden einen hervorragenden Platz einräumen. Sie verdienen ihn nicht blos
wegen ihrer Eigenthümlichkeiten, welche sie sich hier, in größerer Zahl bei
einander wohnend, mehr als anderswo erhalten haben, sondern auch wegen
ihrer außerordentlichen Bedeutung für die Entwickelung unserer Provinz.
Diese Bedeutung liegt freilich ganz und gar auf dem socialen Gebiet. In
politischer Beziehung stehen sie dem Nationalitätenkampfe in der Provinz
völlig indifferent gegenüber. In communalen Angelegenheiten, welche das
Interesse des Einzelnen unmittelbarer berühren, entfalten sie eine größere
Regsamkeit, zumal sie sich hier vermöge ihrer Anzahl zu höherer Geltung
bringen können, und um einen der Ihrigen zum Stadtverordneten gewählt
zu sehen, verbinden sie sich je nach Bedürfniß mit den Polen oder Deutschen.

Ihre Geschäfte betreiben die Juden mit einer Rührigkeit, die ihnen auf
d,em so günstigen Boden unserer Provinz von vornherein den Erfolg sichert.
Nicht alle begnügen sich mit demjenigen Gewerbe, welches das Schild über
der Ladenthür ankündigt. Der Schnittwaarenhändler befaßt sich wohl neben¬
her mit einem einträglichen Gütermäklergewerbe, der Destillateur und der
Schänkwirth benutzen ihre vielfachen Verbindungen mit dem Landvolk zu
ausgedehnten Lieferungs- und Geldgeschäften. Viele haben gar kein offenes
Geschäft, man sieht sie an den Gasthöfen, wo die Gutsbesitzer abzusteigen
pflegen, scheinbar müßig sich herumbewegen, und mancher defecte Rock läßt
nichts von der Abhängigkeit ahnen, in welcher der Gutsbesitzer, der eben mit
glänzendem Viergespann die Stadt verläßt, zu seinem Träger steht. Zu
der unermüdlichen Thätigkeit der Juden tritt noch ein ausgebildetes System
von Mascopie, um sie zu dem zu machen, als was sie eine wahre sociale
Macht in unserer Provinz sind, -— zu Beherrschern des einheimischen Geld¬
marktes.


Grenzboten III. 1S70. 22
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[0177] beitskräfte, mit denen der Miethswerth der Häuser zur Zeit nicht im Ver¬ hältnisse steht. Ein andrer Grund liegt in der Eigenart desjenigen Volks¬ stammes, welcher gerade im Mittelpunkte der Stadt vorzugsweise seinen Sitz hat, — der Juden nämlich. Hinter diesen finstern Läden und trüben niedrigen Fenstern ist mehr Wohlhabenheit zu finden, als das Aeußere der Häuser verräth. Eine Veranlassung, ihren Reichthum zu verbergen, haben die Juden heute nicht mehr; auch tragen sie ihn ohne Bedenken im sab¬ bathlichen Putze, in kostbaren Pelzen und in den schweren silbernen Leuchtern, von welchen herab die Kerzen am Sabathabende ihren Schein durch die Fenster werfen, zur Schau. Aber was Wohnung anlangt, sind ihre Be¬ dürfnisse auffallend gering. Eine geräumige, luftige Wohnung, nach deut¬ schen Vorstellungen der am meisten berechtigte Luxus, erscheint ihnen nur unter dem Gesichtspunkte einer nicht rentablen Kapitalsanlage. Jede Schilderung des Lebens in unseren Posenschen Städten muß den Juden einen hervorragenden Platz einräumen. Sie verdienen ihn nicht blos wegen ihrer Eigenthümlichkeiten, welche sie sich hier, in größerer Zahl bei einander wohnend, mehr als anderswo erhalten haben, sondern auch wegen ihrer außerordentlichen Bedeutung für die Entwickelung unserer Provinz. Diese Bedeutung liegt freilich ganz und gar auf dem socialen Gebiet. In politischer Beziehung stehen sie dem Nationalitätenkampfe in der Provinz völlig indifferent gegenüber. In communalen Angelegenheiten, welche das Interesse des Einzelnen unmittelbarer berühren, entfalten sie eine größere Regsamkeit, zumal sie sich hier vermöge ihrer Anzahl zu höherer Geltung bringen können, und um einen der Ihrigen zum Stadtverordneten gewählt zu sehen, verbinden sie sich je nach Bedürfniß mit den Polen oder Deutschen. Ihre Geschäfte betreiben die Juden mit einer Rührigkeit, die ihnen auf d,em so günstigen Boden unserer Provinz von vornherein den Erfolg sichert. Nicht alle begnügen sich mit demjenigen Gewerbe, welches das Schild über der Ladenthür ankündigt. Der Schnittwaarenhändler befaßt sich wohl neben¬ her mit einem einträglichen Gütermäklergewerbe, der Destillateur und der Schänkwirth benutzen ihre vielfachen Verbindungen mit dem Landvolk zu ausgedehnten Lieferungs- und Geldgeschäften. Viele haben gar kein offenes Geschäft, man sieht sie an den Gasthöfen, wo die Gutsbesitzer abzusteigen pflegen, scheinbar müßig sich herumbewegen, und mancher defecte Rock läßt nichts von der Abhängigkeit ahnen, in welcher der Gutsbesitzer, der eben mit glänzendem Viergespann die Stadt verläßt, zu seinem Träger steht. Zu der unermüdlichen Thätigkeit der Juden tritt noch ein ausgebildetes System von Mascopie, um sie zu dem zu machen, als was sie eine wahre sociale Macht in unserer Provinz sind, -— zu Beherrschern des einheimischen Geld¬ marktes. Grenzboten III. 1S70. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/177>, abgerufen am 17.06.2024.