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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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höher aber sind die Preise, die er nicht nach dem Werthe der Arbeit, sondern
nach den Vermögensumständen des Arbeitgebers abmißt.

Nur wenige Polen erheben sich durch ausgedehnteren und intelligenteren
Handwerksbetrieb über die Masse ihrer Standesgenossen. Aber auch diese
wenigen gleichen dem deutschen Meister nicht. Wenn wir uns unter dem
letzteren einen Mann vorzustellen lieben, der am Werktage das Arbeitskleid
nicht ablegt, dessen Sonntagsrock die Mode überdauert, und der seine Er¬
holung in einem Glase Bier und in der sonntäglichen Kegelpartie findet, so
geht dagegen der besser situirte polnische Gewerbtreibende modisch gekleidet,
verkehrt mjt seinen Kunden im Weinhause und sucht des Abends seine
L'hombrepartie auf, nachdem er vielleicht den Tag auf der Jagd zugebracht
hat. Keine gemeinsame Standesfitte bannt ihn in wohlthätige Schranken,
kein tadelndes Urtheil von Standesgenossen hält ihn von einer seinem Fort¬
kommen zum Schaden gereichenden Lebensweise zurück. Mit den deutschen
Handwerkern verkehrt er nicht, und unter seinen polnischen Berufsgenossen
steht er vereinzelt da; so sich selbst überlassen und nicht eingeengt von Standes¬
begriffen ergibt er sich der polnischen Sorglosigkeit und Leichtfertigkeit.

Der vorwiegende Charakter des polnischen Handwerks wird indessen
immer durch die übergroße Zahl derer bestimmt, die sich aus ihrer Dürftig¬
keit nicht emporzuarbeiten vermögen, ja dazu nicht einmal den Willen haben.
Groß ist deshalb auch die Armuth in den polnischen Städten und obwohl
die Armenpflege die Steuerfähigkeit der Bewohner im höchsten Maße in An¬
spruch nimmt, so reichen doch die Mittel nicht einmal zum nothwendigsten
hin. Die Bettelei wird zu einer Plage der Städte; da die Eltern sie viel¬
fach durch ihre Kinder betreiben lassen, so ist sie leider auch für die heran¬
wachsende Jugend eine Schule des Müßigganges.

Dennoch ist an dem Fortschreiten der polnischen Bevölkerung in gewerb¬
licher Beziehung nicht zu zweifeln, wenn auch der Umschwung des National¬
geistes, welcher im ehemaligen Polen Handel und Gewerbe den Juden und
Ausländern überließ, nur langsam erfolgt. Auf den Handwerkerstand in
größeren Städten erleidet das Gesagte schon jetzt nur eine beschränkte An¬
wendung. Ein thätiger Bürgerstand freilich, dessen sich' Deutschland in
seinen blühenden Städten seit vielen Jahrhunderten erfreut, der dort die
ruhmvolle Quelle nationaler Industrie, Kapitalansammlung, Erfindung ge¬
worden ist, wird bei den Polen trotz der steten Berührung mit deutscher
Arbeit immer noch durch Ungunst der Verhältnisse zurückgehalten. Zu solcher
Ungunst gehört vor Allem die geringe Aufmerksamkeit, welche die Führer der
polnischen "Nation" den Interessen des Bürgerstandes zuwenden. Fast gänz¬
lich dem Stande der Grundbesitzer angehörend widmen sie ihre Thätigkeit,
insoweit sie nicht von unfruchtbaren Agitationen in Anspruch genommen


höher aber sind die Preise, die er nicht nach dem Werthe der Arbeit, sondern
nach den Vermögensumständen des Arbeitgebers abmißt.

Nur wenige Polen erheben sich durch ausgedehnteren und intelligenteren
Handwerksbetrieb über die Masse ihrer Standesgenossen. Aber auch diese
wenigen gleichen dem deutschen Meister nicht. Wenn wir uns unter dem
letzteren einen Mann vorzustellen lieben, der am Werktage das Arbeitskleid
nicht ablegt, dessen Sonntagsrock die Mode überdauert, und der seine Er¬
holung in einem Glase Bier und in der sonntäglichen Kegelpartie findet, so
geht dagegen der besser situirte polnische Gewerbtreibende modisch gekleidet,
verkehrt mjt seinen Kunden im Weinhause und sucht des Abends seine
L'hombrepartie auf, nachdem er vielleicht den Tag auf der Jagd zugebracht
hat. Keine gemeinsame Standesfitte bannt ihn in wohlthätige Schranken,
kein tadelndes Urtheil von Standesgenossen hält ihn von einer seinem Fort¬
kommen zum Schaden gereichenden Lebensweise zurück. Mit den deutschen
Handwerkern verkehrt er nicht, und unter seinen polnischen Berufsgenossen
steht er vereinzelt da; so sich selbst überlassen und nicht eingeengt von Standes¬
begriffen ergibt er sich der polnischen Sorglosigkeit und Leichtfertigkeit.

Der vorwiegende Charakter des polnischen Handwerks wird indessen
immer durch die übergroße Zahl derer bestimmt, die sich aus ihrer Dürftig¬
keit nicht emporzuarbeiten vermögen, ja dazu nicht einmal den Willen haben.
Groß ist deshalb auch die Armuth in den polnischen Städten und obwohl
die Armenpflege die Steuerfähigkeit der Bewohner im höchsten Maße in An¬
spruch nimmt, so reichen doch die Mittel nicht einmal zum nothwendigsten
hin. Die Bettelei wird zu einer Plage der Städte; da die Eltern sie viel¬
fach durch ihre Kinder betreiben lassen, so ist sie leider auch für die heran¬
wachsende Jugend eine Schule des Müßigganges.

Dennoch ist an dem Fortschreiten der polnischen Bevölkerung in gewerb¬
licher Beziehung nicht zu zweifeln, wenn auch der Umschwung des National¬
geistes, welcher im ehemaligen Polen Handel und Gewerbe den Juden und
Ausländern überließ, nur langsam erfolgt. Auf den Handwerkerstand in
größeren Städten erleidet das Gesagte schon jetzt nur eine beschränkte An¬
wendung. Ein thätiger Bürgerstand freilich, dessen sich' Deutschland in
seinen blühenden Städten seit vielen Jahrhunderten erfreut, der dort die
ruhmvolle Quelle nationaler Industrie, Kapitalansammlung, Erfindung ge¬
worden ist, wird bei den Polen trotz der steten Berührung mit deutscher
Arbeit immer noch durch Ungunst der Verhältnisse zurückgehalten. Zu solcher
Ungunst gehört vor Allem die geringe Aufmerksamkeit, welche die Führer der
polnischen „Nation" den Interessen des Bürgerstandes zuwenden. Fast gänz¬
lich dem Stande der Grundbesitzer angehörend widmen sie ihre Thätigkeit,
insoweit sie nicht von unfruchtbaren Agitationen in Anspruch genommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/180>, abgerufen am 17.06.2024.