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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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nicht blos Rittergüter, wie die frühere Landschaft, sondern auch größere
Bauerngrundstücke. Für den Gewerbestand in den Städten sind hier und
da Creditvereine nach Schulze'sehen Muster ins Leben gerufen. Die letzteren
bieten dem kleinen Mann Gelegenheit, sein geringes Erbtheil oder seine Ersparnisse
sicher und zu höherem Zinssatze unterzubringen, als dies durch Einlage in
Sparkassen geschehen kann. Hierdurch befördern sie die Lust am Sparen und
schaffen sich zugleich die Mittel zu dem von ihnen hauptsächlich verfolgten
Zweck einer Hebung der Gewerbsthätigkeit durch Gewährung von Credit zu
erträglichen Bedingungen. Ob dieser Zweck bei uns auch nur annähernd in
dem Maße erreicht wird, wie in anderen Provinzen, ist freilich sehr zu
bezweifeln. Den polnischen Gewerbtreibenden fehlen im Allgemeinen zu
ihrem Fortkommen zur Zeit noch andere und wichtigere Vorbedingungen,
als wie erleichterter Credit, und dieser hilft wenig, wenn das entliehene Ka¬
pital doch nicht zu vermehrter Production verwendet wird.

Der Handwerkerstand wird in den Städten, von denen hier die Rede
ist, durch zahlreiche Polen und wenige Deutsche vertreten, aber die Leistungen
stehen im umgekehrten Verhältnisse. Der deutsche Handwerker unserer Pro¬
vinz erweist sich seinem westlichen Standesgenossen ebenbürtig an Gewerb-
fleiß und jeder Tüchtigkeit. Dem Polen mangelt, um es zu einem tüchtigen
Handwerker zu bringen, vor Allem die Werthschätzung der eigenen Arbeit.
Er steckt noch tief in den alten feudalen Vorstellungen, wonach der Grund¬
besitz allein Werth hat; die Erkenntniß, daß auch das erlernte Handwerk ein
Besitz sei, der durch Arbeit zu einem noch höheren Grade der Nutzbarkeit ge¬
bracht werden kann, als der Grundbesitz, ist ihm noch nicht aufgegangen.
Demgemäß lassen sich in unseren kleinen Städten zwei Gruppen von polni¬
schen Handwerkern unterscheiden. Die einen, welche durch Erbschaft oder
Heirath -- durch den Ertrag ihrer Arbeit sehr selten -- in den Besitz eines
kleinen Grundstücks gelangt sind, glauben ihres Handwerks nicht ferner zu
bedürfen, treiben es lässig und leben lieber von dem geringen Ertrage eines
Stückes Gartenland und von der Miethe, welche das Haus abwirft, als an¬
gesessene "Bürger" (wie sie sich mit Vorliebe nennen) kümmerlich, aber stolz
und mühelos, -- truMg consuMors vadi- Die große Masse derer aber, welche
des Grundbesitzes entbehrt, wird vom Proletariat nur durch eine schwer er¬
kennbare Grenzlinie geschieden. Sie leben von der Hand in den Mund und
arbeiten nur so viel, als nöthig ist, um ihre auf das geringste Maß beschränk¬
ten Bedürfnisse zu befriedigen. Der polnische Handwerker kennt nicht die
Lust am Schaffen, nicht die Freude des deutschen Meisters an dem Erfolge
seiner Thätigkeit, nicht dessen Standesbewußtsein und den Stolz der Arbeit.
Seine Geschicklichkeit bleibt deshalb auf einer niedrigen Stufe stehen, desto


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nicht blos Rittergüter, wie die frühere Landschaft, sondern auch größere
Bauerngrundstücke. Für den Gewerbestand in den Städten sind hier und
da Creditvereine nach Schulze'sehen Muster ins Leben gerufen. Die letzteren
bieten dem kleinen Mann Gelegenheit, sein geringes Erbtheil oder seine Ersparnisse
sicher und zu höherem Zinssatze unterzubringen, als dies durch Einlage in
Sparkassen geschehen kann. Hierdurch befördern sie die Lust am Sparen und
schaffen sich zugleich die Mittel zu dem von ihnen hauptsächlich verfolgten
Zweck einer Hebung der Gewerbsthätigkeit durch Gewährung von Credit zu
erträglichen Bedingungen. Ob dieser Zweck bei uns auch nur annähernd in
dem Maße erreicht wird, wie in anderen Provinzen, ist freilich sehr zu
bezweifeln. Den polnischen Gewerbtreibenden fehlen im Allgemeinen zu
ihrem Fortkommen zur Zeit noch andere und wichtigere Vorbedingungen,
als wie erleichterter Credit, und dieser hilft wenig, wenn das entliehene Ka¬
pital doch nicht zu vermehrter Production verwendet wird.

Der Handwerkerstand wird in den Städten, von denen hier die Rede
ist, durch zahlreiche Polen und wenige Deutsche vertreten, aber die Leistungen
stehen im umgekehrten Verhältnisse. Der deutsche Handwerker unserer Pro¬
vinz erweist sich seinem westlichen Standesgenossen ebenbürtig an Gewerb-
fleiß und jeder Tüchtigkeit. Dem Polen mangelt, um es zu einem tüchtigen
Handwerker zu bringen, vor Allem die Werthschätzung der eigenen Arbeit.
Er steckt noch tief in den alten feudalen Vorstellungen, wonach der Grund¬
besitz allein Werth hat; die Erkenntniß, daß auch das erlernte Handwerk ein
Besitz sei, der durch Arbeit zu einem noch höheren Grade der Nutzbarkeit ge¬
bracht werden kann, als der Grundbesitz, ist ihm noch nicht aufgegangen.
Demgemäß lassen sich in unseren kleinen Städten zwei Gruppen von polni¬
schen Handwerkern unterscheiden. Die einen, welche durch Erbschaft oder
Heirath — durch den Ertrag ihrer Arbeit sehr selten — in den Besitz eines
kleinen Grundstücks gelangt sind, glauben ihres Handwerks nicht ferner zu
bedürfen, treiben es lässig und leben lieber von dem geringen Ertrage eines
Stückes Gartenland und von der Miethe, welche das Haus abwirft, als an¬
gesessene „Bürger" (wie sie sich mit Vorliebe nennen) kümmerlich, aber stolz
und mühelos, — truMg consuMors vadi- Die große Masse derer aber, welche
des Grundbesitzes entbehrt, wird vom Proletariat nur durch eine schwer er¬
kennbare Grenzlinie geschieden. Sie leben von der Hand in den Mund und
arbeiten nur so viel, als nöthig ist, um ihre auf das geringste Maß beschränk¬
ten Bedürfnisse zu befriedigen. Der polnische Handwerker kennt nicht die
Lust am Schaffen, nicht die Freude des deutschen Meisters an dem Erfolge
seiner Thätigkeit, nicht dessen Standesbewußtsein und den Stolz der Arbeit.
Seine Geschicklichkeit bleibt deshalb auf einer niedrigen Stufe stehen, desto


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/179>, abgerufen am 17.06.2024.