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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Seiten des Lebens in dem vorwiegend polnischen Theile der Provinz aus
unmittelbarer Anschauung vorführen möchte.*)





Alte Kunst und neue Zeit in Danzig.*)

Danzig gehört zu den ältesten Städten des Nordens. Anfangs Resi¬
denz eines Herzogs von Pomerellen, kam sie im Jahre 1308 unter die Herr¬
schaft des deutschen Ritterordens und gelangte während derselben, als Mit¬
glied der mächtigen Handelsverbindung der Hansa, und wegen ihrer günstigen
Lage als Vermittlerin des Handels zwischen Polen zunächst mit Scandinavien
und England, dann mit Holland, Frankreich, Spanien und Italien zu hoher
Blüthe, zu Ansehn und zu solcher Macht, daß sie bei Beginn des Verfalls
des deutschen Ordens, in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, es wagen
konnte, von demselben sich loszureißen. Sie stellte sich dem Namen nach
unter den Schutz des Königs von Polen, hatte in der That aber so viele
Privilegien und Freiheiten, daß sie wohl als freie Stadt gelten konnte.

Die Handelsverbindungen Danztgs erstreckten sich über ganz Eu¬
ropa und darüber hinaus. Ihre Schiffe befuhren alle Meere. Die Bürger
Danzigs gelangten dadurch, gleich den Bürgern von Venedig, Genua. Nürn¬
berg, Augsburg ze. zu unermeßlichen Reichthum und liebten es, denselben
auch öffentlich zur Schau zu stellen. Daher die in solidester Weise mit aller
Pracht jener Zeit und mit kostbaren Kunstwerken ausgestatteten Kirchen,
öffentlichen und Privathäuser. Jeder der stolzen Patrizier hatte seinen
Palast und seinen eigenen Hofstaat.

Während die meisten anderen Städte, deren Reichthum nicht so bedeu¬
tend und so allgemein verbreitet war, im Lauf der Jahrhunderte sich sehr
veränderten, aus alter Zeit einige Kirchen, vielleicht ein Rathhaus, höch¬
stens noch ein oder das andere Privathaus erhalten haben, besitzt Danzig



") Diese Skizzen waren bereits geschrieben, als dem Verfasser die lesenswerthe Schrift von
H. v. H.: "Das Verhältniß der Provinz Posen zum preußischen Staatsgebiete" zu Gesicht kam.
Sie enthält eine eingehende Beleuchtung der Zustände in der Provinz Posen, hauptsächlich unter
dem Gesichtspunkte einer Kritik des bisher von der preußischen Regierung Geleisteten und dessen,
was noch zu leisten ist. Sie sei hiermit den Lesern der Grenzboten bestens empfohlen. Die¬
selben werden in der Schilderung thatsächlicher Zustände, wie sie in unseren Skizzen zu geben ver¬
sucht wird, in wesentlichen Punkten eine Uebereinstimmung mit der gedachten Schrift nicht
vermissen.
') Die angekündigte französische Blokade der Ostseehäfen lenkt unsere Aufmerksamkeit und
Sorge auf die alten Städte am baltischen Kiistcnsauin. Wir beginnen unsere Ueberschau mit
D. Red. dem altehrwürdigen Danzig, welches durch seine exponiren Lage aufs neue gefährdet ist.

Seiten des Lebens in dem vorwiegend polnischen Theile der Provinz aus
unmittelbarer Anschauung vorführen möchte.*)





Alte Kunst und neue Zeit in Danzig.*)

Danzig gehört zu den ältesten Städten des Nordens. Anfangs Resi¬
denz eines Herzogs von Pomerellen, kam sie im Jahre 1308 unter die Herr¬
schaft des deutschen Ritterordens und gelangte während derselben, als Mit¬
glied der mächtigen Handelsverbindung der Hansa, und wegen ihrer günstigen
Lage als Vermittlerin des Handels zwischen Polen zunächst mit Scandinavien
und England, dann mit Holland, Frankreich, Spanien und Italien zu hoher
Blüthe, zu Ansehn und zu solcher Macht, daß sie bei Beginn des Verfalls
des deutschen Ordens, in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, es wagen
konnte, von demselben sich loszureißen. Sie stellte sich dem Namen nach
unter den Schutz des Königs von Polen, hatte in der That aber so viele
Privilegien und Freiheiten, daß sie wohl als freie Stadt gelten konnte.

Die Handelsverbindungen Danztgs erstreckten sich über ganz Eu¬
ropa und darüber hinaus. Ihre Schiffe befuhren alle Meere. Die Bürger
Danzigs gelangten dadurch, gleich den Bürgern von Venedig, Genua. Nürn¬
berg, Augsburg ze. zu unermeßlichen Reichthum und liebten es, denselben
auch öffentlich zur Schau zu stellen. Daher die in solidester Weise mit aller
Pracht jener Zeit und mit kostbaren Kunstwerken ausgestatteten Kirchen,
öffentlichen und Privathäuser. Jeder der stolzen Patrizier hatte seinen
Palast und seinen eigenen Hofstaat.

Während die meisten anderen Städte, deren Reichthum nicht so bedeu¬
tend und so allgemein verbreitet war, im Lauf der Jahrhunderte sich sehr
veränderten, aus alter Zeit einige Kirchen, vielleicht ein Rathhaus, höch¬
stens noch ein oder das andere Privathaus erhalten haben, besitzt Danzig



") Diese Skizzen waren bereits geschrieben, als dem Verfasser die lesenswerthe Schrift von
H. v. H.: „Das Verhältniß der Provinz Posen zum preußischen Staatsgebiete" zu Gesicht kam.
Sie enthält eine eingehende Beleuchtung der Zustände in der Provinz Posen, hauptsächlich unter
dem Gesichtspunkte einer Kritik des bisher von der preußischen Regierung Geleisteten und dessen,
was noch zu leisten ist. Sie sei hiermit den Lesern der Grenzboten bestens empfohlen. Die¬
selben werden in der Schilderung thatsächlicher Zustände, wie sie in unseren Skizzen zu geben ver¬
sucht wird, in wesentlichen Punkten eine Uebereinstimmung mit der gedachten Schrift nicht
vermissen.
') Die angekündigte französische Blokade der Ostseehäfen lenkt unsere Aufmerksamkeit und
Sorge auf die alten Städte am baltischen Kiistcnsauin. Wir beginnen unsere Ueberschau mit
D. Red. dem altehrwürdigen Danzig, welches durch seine exponiren Lage aufs neue gefährdet ist.
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[0182] Seiten des Lebens in dem vorwiegend polnischen Theile der Provinz aus unmittelbarer Anschauung vorführen möchte.*) Alte Kunst und neue Zeit in Danzig.*) Danzig gehört zu den ältesten Städten des Nordens. Anfangs Resi¬ denz eines Herzogs von Pomerellen, kam sie im Jahre 1308 unter die Herr¬ schaft des deutschen Ritterordens und gelangte während derselben, als Mit¬ glied der mächtigen Handelsverbindung der Hansa, und wegen ihrer günstigen Lage als Vermittlerin des Handels zwischen Polen zunächst mit Scandinavien und England, dann mit Holland, Frankreich, Spanien und Italien zu hoher Blüthe, zu Ansehn und zu solcher Macht, daß sie bei Beginn des Verfalls des deutschen Ordens, in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, es wagen konnte, von demselben sich loszureißen. Sie stellte sich dem Namen nach unter den Schutz des Königs von Polen, hatte in der That aber so viele Privilegien und Freiheiten, daß sie wohl als freie Stadt gelten konnte. Die Handelsverbindungen Danztgs erstreckten sich über ganz Eu¬ ropa und darüber hinaus. Ihre Schiffe befuhren alle Meere. Die Bürger Danzigs gelangten dadurch, gleich den Bürgern von Venedig, Genua. Nürn¬ berg, Augsburg ze. zu unermeßlichen Reichthum und liebten es, denselben auch öffentlich zur Schau zu stellen. Daher die in solidester Weise mit aller Pracht jener Zeit und mit kostbaren Kunstwerken ausgestatteten Kirchen, öffentlichen und Privathäuser. Jeder der stolzen Patrizier hatte seinen Palast und seinen eigenen Hofstaat. Während die meisten anderen Städte, deren Reichthum nicht so bedeu¬ tend und so allgemein verbreitet war, im Lauf der Jahrhunderte sich sehr veränderten, aus alter Zeit einige Kirchen, vielleicht ein Rathhaus, höch¬ stens noch ein oder das andere Privathaus erhalten haben, besitzt Danzig ") Diese Skizzen waren bereits geschrieben, als dem Verfasser die lesenswerthe Schrift von H. v. H.: „Das Verhältniß der Provinz Posen zum preußischen Staatsgebiete" zu Gesicht kam. Sie enthält eine eingehende Beleuchtung der Zustände in der Provinz Posen, hauptsächlich unter dem Gesichtspunkte einer Kritik des bisher von der preußischen Regierung Geleisteten und dessen, was noch zu leisten ist. Sie sei hiermit den Lesern der Grenzboten bestens empfohlen. Die¬ selben werden in der Schilderung thatsächlicher Zustände, wie sie in unseren Skizzen zu geben ver¬ sucht wird, in wesentlichen Punkten eine Uebereinstimmung mit der gedachten Schrift nicht vermissen. ') Die angekündigte französische Blokade der Ostseehäfen lenkt unsere Aufmerksamkeit und Sorge auf die alten Städte am baltischen Kiistcnsauin. Wir beginnen unsere Ueberschau mit D. Red. dem altehrwürdigen Danzig, welches durch seine exponiren Lage aufs neue gefährdet ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/182>, abgerufen am 17.06.2024.