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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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trotz der vielen Kriegsstürme und Belagerungen, welche die Stadt erleiden
mußte, noch so viel Reste aus alter Zeit, wie, mit Ausnahme Nürnbergs,
wohl kaum eine andere Stadt Deutschlands. Keine andere aber hat in ihrer
allgemeinen Physiognomie den Charakter des Mittelalters mit ihrer
malerischen Gesammtanlage und ihren tausend interessanten Einzelheiten noch
in so hohem Grade sich bewahrt als Danzig, welches daher die höchste Freude
aller Freunde von Kunst und Alterthum bildet.

Daß dem so ist, ist in der politischen Geschichte der Stadt begründet.
Die Rechtstadt Danzig wurde schon in der Mitte des vierzehnten Jahrhun¬
derts mit einem Mauerring umgeben, mußte also, wie alle mittelalterlichen
Städte, auf einen möglichst kleinen, leicht zu vertheidigenden Raum zusammen¬
gedrängt werden. Seit dem Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts baute
man massive Wohnhäuser, durch welche die Richtung und Breite der Straßen
in einer Weise festgesetzt wurde, daß eine Aenderung darin nur in den sel¬
tensten Fällen und mit großer Schwierigkeit vorgenommen werden konnte.
Als im fünfzehnten Jahrhundert die Zahl der Einwohner stetig wuchs, mußten
die Häuser, weil die Stadt sich nicht erweitern konnte, erhöht, die Straßen
womöglich noch verengt werden. Die reichen stolzen Patrizier des fünfzehnten
und sechszehnten Jahrhunderts bauten ihre Paläste stets in solidester Weise,
zum Theil aus fremdem, von weit hergeführtem Gestein und diese monu¬
mentale Privatarchitektur besonders ist es, welche den Charakter Danzigs
noch heute bestimmt. Mit der fortschreitenden politischen und socialen Ent¬
wickelung der Stadt entstanden immer neue Gebäude und zwar wurde, wegen
der beliebten Solidität, fast nur das Neue an das Alte angereiht, selten das
Neue an Stelle des Alten gesetzt. Daher kommt es, daß wir neben den
Kirchen und Rathhäusern auch die Entwickelung der Wohnhausarchitektur
Danzigs vom fünfzehnten Jahrhundert ab in allen Stufen an den Monu¬
menten selbst noch so deutlich verfolgen können, wie wohl kaum sonst irgendwo.
Danzig ist bis zum achten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts in steter
Entwickelung gewesen, welche selbst die Kriegsstürme mit ihren Zerstörungen
nicht wesentlich hemmen konnten. Der für ganz Deutschland so verderbliche
dreißigjährige Krieg hat auf Danzig fast gar nicht eingewirkt.

Um das Jahr 1770 stand die Stadt auf der höchsten Stufe ihrer archi¬
tektonischen und malerischen Schönheit. Von dem Reiz ihrer
Straßenprospecte geben die um diese Zeit gefertigten Radirungen von Mathaeus
Deisch, wenn auch nicht ein Bild (wegen ihrer sehrMangelhaften Ausführung),
so doch, mit Zuhilfenahme der erhaltenen Ueberreste, wenigstens eine Ahnung.
Die Straßen waren von zwei Reihen hoher Linden beschattet; an den
Enden derselben stehen gewöhnlich öffentliche Gebäude, Thore, Rathhäuser,
Kirchen, ein Zeughaus und Aehnliches, welche die originellen und im höchsten


trotz der vielen Kriegsstürme und Belagerungen, welche die Stadt erleiden
mußte, noch so viel Reste aus alter Zeit, wie, mit Ausnahme Nürnbergs,
wohl kaum eine andere Stadt Deutschlands. Keine andere aber hat in ihrer
allgemeinen Physiognomie den Charakter des Mittelalters mit ihrer
malerischen Gesammtanlage und ihren tausend interessanten Einzelheiten noch
in so hohem Grade sich bewahrt als Danzig, welches daher die höchste Freude
aller Freunde von Kunst und Alterthum bildet.

Daß dem so ist, ist in der politischen Geschichte der Stadt begründet.
Die Rechtstadt Danzig wurde schon in der Mitte des vierzehnten Jahrhun¬
derts mit einem Mauerring umgeben, mußte also, wie alle mittelalterlichen
Städte, auf einen möglichst kleinen, leicht zu vertheidigenden Raum zusammen¬
gedrängt werden. Seit dem Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts baute
man massive Wohnhäuser, durch welche die Richtung und Breite der Straßen
in einer Weise festgesetzt wurde, daß eine Aenderung darin nur in den sel¬
tensten Fällen und mit großer Schwierigkeit vorgenommen werden konnte.
Als im fünfzehnten Jahrhundert die Zahl der Einwohner stetig wuchs, mußten
die Häuser, weil die Stadt sich nicht erweitern konnte, erhöht, die Straßen
womöglich noch verengt werden. Die reichen stolzen Patrizier des fünfzehnten
und sechszehnten Jahrhunderts bauten ihre Paläste stets in solidester Weise,
zum Theil aus fremdem, von weit hergeführtem Gestein und diese monu¬
mentale Privatarchitektur besonders ist es, welche den Charakter Danzigs
noch heute bestimmt. Mit der fortschreitenden politischen und socialen Ent¬
wickelung der Stadt entstanden immer neue Gebäude und zwar wurde, wegen
der beliebten Solidität, fast nur das Neue an das Alte angereiht, selten das
Neue an Stelle des Alten gesetzt. Daher kommt es, daß wir neben den
Kirchen und Rathhäusern auch die Entwickelung der Wohnhausarchitektur
Danzigs vom fünfzehnten Jahrhundert ab in allen Stufen an den Monu¬
menten selbst noch so deutlich verfolgen können, wie wohl kaum sonst irgendwo.
Danzig ist bis zum achten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts in steter
Entwickelung gewesen, welche selbst die Kriegsstürme mit ihren Zerstörungen
nicht wesentlich hemmen konnten. Der für ganz Deutschland so verderbliche
dreißigjährige Krieg hat auf Danzig fast gar nicht eingewirkt.

Um das Jahr 1770 stand die Stadt auf der höchsten Stufe ihrer archi¬
tektonischen und malerischen Schönheit. Von dem Reiz ihrer
Straßenprospecte geben die um diese Zeit gefertigten Radirungen von Mathaeus
Deisch, wenn auch nicht ein Bild (wegen ihrer sehrMangelhaften Ausführung),
so doch, mit Zuhilfenahme der erhaltenen Ueberreste, wenigstens eine Ahnung.
Die Straßen waren von zwei Reihen hoher Linden beschattet; an den
Enden derselben stehen gewöhnlich öffentliche Gebäude, Thore, Rathhäuser,
Kirchen, ein Zeughaus und Aehnliches, welche die originellen und im höchsten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/183>, abgerufen am 17.06.2024.