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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Greifen wir, um eine Vorstellung von der Art und Weise der Präfec-
tenthätigkeit zu geben, einige aus den zahlreichen von Daxile Delord mit¬
getheilten Beispielen heraus, in denen auch die geschmacklose und lügenhafte
Phraseologie und Denkweise des kaiserlichen Frankreichs oft einen classischen
Ausdruck findet. Es handelte sich um die Wahlen von 1867. Minister des
Innern war Billault, der leidenschaftliche Bekämpfer der ministeriellen Wahl¬
umtriebe unter Ludwig Philipp, später eine Zeit lang Anhänger Guizots,
nach den Februartagen Ultraradicaler, 1851 officieller bonapartistischer Can-
didat, Freund des Prinzen und bald einer der fähigsten und energischsten
Diener des napoleonischen Despotismus. Dieser geistig in der That reich
begabte und beredte Chef, dessen Tod 1863 ein außerordentlich schwerer
Verlust für den Kaiser war, verstand es, den Eifer seiner Diener auf die
Höhe der Situation zu schrauben. Das Circular eines Präfecten enthält
die Phrase: "In dieser großen Manifestation der öffentlichen Meinung ist
es Pflicht eines jeden von uns, unsere Stimmzettel in die Urne zu werfen.
Es ist ein Zeugniß der Erkenntlichkeit, die wir der Regierung des Kaisers
schuldig sind, und wenn es mir erlaubt wäre, neben diesen Gefühlen den
Ausdruck der Achtung zu erwähnen, die ihr meiner Verwaltung schenkt, so
würde ich mich glücklich schätzen, das Maß dafür in dem Eifer zu sehn, mit
dem ihr auf meinen Aufruf antwortet." Der Appell an das Wohlwollen
der Wähler hatte offenbar seinen guten Grund; denn Billault war ein
strenger Gebieter, und ein Präfect, der zu ungeschickt war, den officiellen
Candidaten durchzubringen, war unter allen Umständen sicher, bald in
Muße über die Vergänglichkeit aller irdischen Herrlichkeit nachdenken zu
können. -- Ein anderer weniger sentimentaler Präfect spricht im Commando-
styl zu seinen Beamten: "Leget den Gegnern Schweigen auf! Hintere mit
Energie ihre Umtriebe! spornt die Gleichgültigen: erinnert sie. daß die
Zeit noch nicht fern ist, wo sie für ihre theuersten Güter zitterten. Und heute,
da sie sich sicher fühlen, wollen sie es wagen, die Fortschritte der ruhmvollen
Versöhnungspolitik Napoleons III. zu verzögern? Die Undankbaren und
Unsinnigen! sie wären die ersten, die seufzen und klagen würden!" -- Be¬
zeichnend für die sonderbare Vorstellung von Wahlfreiheit, die der Herr Präfect
des Departements der Nievre hat, sind folgende Worte: "Kein Wahlcomite',
keine besondere Vereinigung darf geduldet werden. Die Freiheit des all¬
gemeinen Stimmrechts bedarf zu ihrer unverfälschten Ausübung derartiger
Mittel nicht." -- Von den Wählern der Vogesen wird Büffet des Undanks
gegen den Kaiser geziehen und sie werden aufgefordert, den Undankbaren eine
strenge Lectüre zu ertheilen.

(Fortsetzung folgt.)




Greifen wir, um eine Vorstellung von der Art und Weise der Präfec-
tenthätigkeit zu geben, einige aus den zahlreichen von Daxile Delord mit¬
getheilten Beispielen heraus, in denen auch die geschmacklose und lügenhafte
Phraseologie und Denkweise des kaiserlichen Frankreichs oft einen classischen
Ausdruck findet. Es handelte sich um die Wahlen von 1867. Minister des
Innern war Billault, der leidenschaftliche Bekämpfer der ministeriellen Wahl¬
umtriebe unter Ludwig Philipp, später eine Zeit lang Anhänger Guizots,
nach den Februartagen Ultraradicaler, 1851 officieller bonapartistischer Can-
didat, Freund des Prinzen und bald einer der fähigsten und energischsten
Diener des napoleonischen Despotismus. Dieser geistig in der That reich
begabte und beredte Chef, dessen Tod 1863 ein außerordentlich schwerer
Verlust für den Kaiser war, verstand es, den Eifer seiner Diener auf die
Höhe der Situation zu schrauben. Das Circular eines Präfecten enthält
die Phrase: „In dieser großen Manifestation der öffentlichen Meinung ist
es Pflicht eines jeden von uns, unsere Stimmzettel in die Urne zu werfen.
Es ist ein Zeugniß der Erkenntlichkeit, die wir der Regierung des Kaisers
schuldig sind, und wenn es mir erlaubt wäre, neben diesen Gefühlen den
Ausdruck der Achtung zu erwähnen, die ihr meiner Verwaltung schenkt, so
würde ich mich glücklich schätzen, das Maß dafür in dem Eifer zu sehn, mit
dem ihr auf meinen Aufruf antwortet." Der Appell an das Wohlwollen
der Wähler hatte offenbar seinen guten Grund; denn Billault war ein
strenger Gebieter, und ein Präfect, der zu ungeschickt war, den officiellen
Candidaten durchzubringen, war unter allen Umständen sicher, bald in
Muße über die Vergänglichkeit aller irdischen Herrlichkeit nachdenken zu
können. — Ein anderer weniger sentimentaler Präfect spricht im Commando-
styl zu seinen Beamten: „Leget den Gegnern Schweigen auf! Hintere mit
Energie ihre Umtriebe! spornt die Gleichgültigen: erinnert sie. daß die
Zeit noch nicht fern ist, wo sie für ihre theuersten Güter zitterten. Und heute,
da sie sich sicher fühlen, wollen sie es wagen, die Fortschritte der ruhmvollen
Versöhnungspolitik Napoleons III. zu verzögern? Die Undankbaren und
Unsinnigen! sie wären die ersten, die seufzen und klagen würden!" — Be¬
zeichnend für die sonderbare Vorstellung von Wahlfreiheit, die der Herr Präfect
des Departements der Nievre hat, sind folgende Worte: „Kein Wahlcomite',
keine besondere Vereinigung darf geduldet werden. Die Freiheit des all¬
gemeinen Stimmrechts bedarf zu ihrer unverfälschten Ausübung derartiger
Mittel nicht." — Von den Wählern der Vogesen wird Büffet des Undanks
gegen den Kaiser geziehen und sie werden aufgefordert, den Undankbaren eine
strenge Lectüre zu ertheilen.

(Fortsetzung folgt.)




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[0196] Greifen wir, um eine Vorstellung von der Art und Weise der Präfec- tenthätigkeit zu geben, einige aus den zahlreichen von Daxile Delord mit¬ getheilten Beispielen heraus, in denen auch die geschmacklose und lügenhafte Phraseologie und Denkweise des kaiserlichen Frankreichs oft einen classischen Ausdruck findet. Es handelte sich um die Wahlen von 1867. Minister des Innern war Billault, der leidenschaftliche Bekämpfer der ministeriellen Wahl¬ umtriebe unter Ludwig Philipp, später eine Zeit lang Anhänger Guizots, nach den Februartagen Ultraradicaler, 1851 officieller bonapartistischer Can- didat, Freund des Prinzen und bald einer der fähigsten und energischsten Diener des napoleonischen Despotismus. Dieser geistig in der That reich begabte und beredte Chef, dessen Tod 1863 ein außerordentlich schwerer Verlust für den Kaiser war, verstand es, den Eifer seiner Diener auf die Höhe der Situation zu schrauben. Das Circular eines Präfecten enthält die Phrase: „In dieser großen Manifestation der öffentlichen Meinung ist es Pflicht eines jeden von uns, unsere Stimmzettel in die Urne zu werfen. Es ist ein Zeugniß der Erkenntlichkeit, die wir der Regierung des Kaisers schuldig sind, und wenn es mir erlaubt wäre, neben diesen Gefühlen den Ausdruck der Achtung zu erwähnen, die ihr meiner Verwaltung schenkt, so würde ich mich glücklich schätzen, das Maß dafür in dem Eifer zu sehn, mit dem ihr auf meinen Aufruf antwortet." Der Appell an das Wohlwollen der Wähler hatte offenbar seinen guten Grund; denn Billault war ein strenger Gebieter, und ein Präfect, der zu ungeschickt war, den officiellen Candidaten durchzubringen, war unter allen Umständen sicher, bald in Muße über die Vergänglichkeit aller irdischen Herrlichkeit nachdenken zu können. — Ein anderer weniger sentimentaler Präfect spricht im Commando- styl zu seinen Beamten: „Leget den Gegnern Schweigen auf! Hintere mit Energie ihre Umtriebe! spornt die Gleichgültigen: erinnert sie. daß die Zeit noch nicht fern ist, wo sie für ihre theuersten Güter zitterten. Und heute, da sie sich sicher fühlen, wollen sie es wagen, die Fortschritte der ruhmvollen Versöhnungspolitik Napoleons III. zu verzögern? Die Undankbaren und Unsinnigen! sie wären die ersten, die seufzen und klagen würden!" — Be¬ zeichnend für die sonderbare Vorstellung von Wahlfreiheit, die der Herr Präfect des Departements der Nievre hat, sind folgende Worte: „Kein Wahlcomite', keine besondere Vereinigung darf geduldet werden. Die Freiheit des all¬ gemeinen Stimmrechts bedarf zu ihrer unverfälschten Ausübung derartiger Mittel nicht." — Von den Wählern der Vogesen wird Büffet des Undanks gegen den Kaiser geziehen und sie werden aufgefordert, den Undankbaren eine strenge Lectüre zu ertheilen. (Fortsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/196>, abgerufen am 17.06.2024.