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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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zu liegen, Odessa zum Mittelpunkt der slavischen Agitation zu machen und
zu diesem Zweck die dortige Universität besonders zu fourniren.

Diese verschiedenen auf denselben Zweck gerichteten Bestrebungen zeigen
bereits an mehreren Stellen deutliche Wirkung, so in Serbien, Bulgarien
und namentlich in Rumänien. An den Grenzen Rumäniens concentrirt
Rußland seine Armee, im Innern ist die Bevölkerung in zunehmender Auf¬
regung, So sehr Fürst Karl bemüht gewesen ist, in den wenigen Jahren
seiner Regierung die Verhältnisse des Landes auf ein höheres Niveau zu
bringen, die Gesetze mit sicherer Hand durchzuführen und Vorsorge zu treffen,
um den Produkten Rumäniens Absatzwege zu erschließen, so ist er doch immer
noch der Bevölkerung ein Fremder geblieben. Es ist daher kein Wunder,
daß die slavische Agitation in einem Volke, welches dem Bekenntniß nach
mit Rußland Verwandtschaft hat und früher von jenem sehr beeinflußt
wurde, breiten Boden fand. Die Wahl des fortgejagten Fürsten Cousa zum
Deputirten ist ein lehrreicher Beweis, wie unvergohren die Zustände in dem
Lande sind, in dem überdies Dank der constituttonellen Fiction durch die
fortwährenden Ministerwechsel nachhaltige und consequente Regierungsarbeit
unendlich erschwert ist.

Wenn man daneben noch die Verhältnisse Galiziens in Betracht zieht,
wo Oestreich den Polen einen Stützpunkt schafft, ihren Haß gegen den rufst-
schen Unterdrücker dadurch nährt und Hoffnungen erweckt, die niemals werden
erfüllt werden können, so ist wohl erklärlich, daß alle Welt mit Spannung
den Folgen entgegensieht, welche der Besuch des Kaisers Alexander in Berlin,
wo derselbe am 13. Mai eintraf, und dessen Erwiederung durch den König
Wilhelm in den ersten Tagen des Juni in Ems stattfand, nach sich ziehen kann.
Während über die persönlichen Beziehungen des russischen Hofes zu Oestreich
in letzter Zeit zwar keine näheren Mittheilungen in die Oeffentlichkeit gekom¬
men sind, weil wenig mehr zu existiren scheinen, ist das persönliche Verhältniß
zum preußischen Hofe mit Ostentation betont. Das hundertjährige Jubiläum
der Stiftung des Georgsordens und die Verleihung des Großkreuzes an
König Wilhelm ist in gutem Gedächtniß; Prinz Albrecht, welcher dem Kaiser
die Jnsignien des Ordens xour 1s merits überbrachte, war Gegenstand höchster
Auszeichnungen; es fand ihm zu Ehren u. A. eine Wachtparade in der Ma¬
nege statt, ein militärisches Schauspiel, wie es in einem ungeheuren geheiz.
ten Raume von der Länge einer Bataillonsfront in Kriegsstärke wohl kaum
an einem zweiten Orte in Europa geboten werden kann. Der Kaiser ließ die Ca-
vallerieordonnanzen in verschiedenen Gangarten dem Prinzen vorreiten, Barriöre
springen und die Tscherk^sser des Leib-Convoys in voller Carriöre nach auf
die Erde gelegten Papierbogen schießen. Die in Bezug auf die Ordens-
Verleihungen gewechselten Telegramme wurden auf besonderen Befehl des


zu liegen, Odessa zum Mittelpunkt der slavischen Agitation zu machen und
zu diesem Zweck die dortige Universität besonders zu fourniren.

Diese verschiedenen auf denselben Zweck gerichteten Bestrebungen zeigen
bereits an mehreren Stellen deutliche Wirkung, so in Serbien, Bulgarien
und namentlich in Rumänien. An den Grenzen Rumäniens concentrirt
Rußland seine Armee, im Innern ist die Bevölkerung in zunehmender Auf¬
regung, So sehr Fürst Karl bemüht gewesen ist, in den wenigen Jahren
seiner Regierung die Verhältnisse des Landes auf ein höheres Niveau zu
bringen, die Gesetze mit sicherer Hand durchzuführen und Vorsorge zu treffen,
um den Produkten Rumäniens Absatzwege zu erschließen, so ist er doch immer
noch der Bevölkerung ein Fremder geblieben. Es ist daher kein Wunder,
daß die slavische Agitation in einem Volke, welches dem Bekenntniß nach
mit Rußland Verwandtschaft hat und früher von jenem sehr beeinflußt
wurde, breiten Boden fand. Die Wahl des fortgejagten Fürsten Cousa zum
Deputirten ist ein lehrreicher Beweis, wie unvergohren die Zustände in dem
Lande sind, in dem überdies Dank der constituttonellen Fiction durch die
fortwährenden Ministerwechsel nachhaltige und consequente Regierungsarbeit
unendlich erschwert ist.

Wenn man daneben noch die Verhältnisse Galiziens in Betracht zieht,
wo Oestreich den Polen einen Stützpunkt schafft, ihren Haß gegen den rufst-
schen Unterdrücker dadurch nährt und Hoffnungen erweckt, die niemals werden
erfüllt werden können, so ist wohl erklärlich, daß alle Welt mit Spannung
den Folgen entgegensieht, welche der Besuch des Kaisers Alexander in Berlin,
wo derselbe am 13. Mai eintraf, und dessen Erwiederung durch den König
Wilhelm in den ersten Tagen des Juni in Ems stattfand, nach sich ziehen kann.
Während über die persönlichen Beziehungen des russischen Hofes zu Oestreich
in letzter Zeit zwar keine näheren Mittheilungen in die Oeffentlichkeit gekom¬
men sind, weil wenig mehr zu existiren scheinen, ist das persönliche Verhältniß
zum preußischen Hofe mit Ostentation betont. Das hundertjährige Jubiläum
der Stiftung des Georgsordens und die Verleihung des Großkreuzes an
König Wilhelm ist in gutem Gedächtniß; Prinz Albrecht, welcher dem Kaiser
die Jnsignien des Ordens xour 1s merits überbrachte, war Gegenstand höchster
Auszeichnungen; es fand ihm zu Ehren u. A. eine Wachtparade in der Ma¬
nege statt, ein militärisches Schauspiel, wie es in einem ungeheuren geheiz.
ten Raume von der Länge einer Bataillonsfront in Kriegsstärke wohl kaum
an einem zweiten Orte in Europa geboten werden kann. Der Kaiser ließ die Ca-
vallerieordonnanzen in verschiedenen Gangarten dem Prinzen vorreiten, Barriöre
springen und die Tscherk^sser des Leib-Convoys in voller Carriöre nach auf
die Erde gelegten Papierbogen schießen. Die in Bezug auf die Ordens-
Verleihungen gewechselten Telegramme wurden auf besonderen Befehl des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/20>, abgerufen am 26.05.2024.