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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Verein in Groß-Folio publicirt worden sind, wollen wir darüber nicht
spotten, sondern kehren zu unserem Pariser Circus zurück.

Daß die Hauptstadt einen solchen besessen hatte, wußte man schon lange
durch Stellen bei Geschichtsschreibern und durch Aktenstücke. Die älteste Erwäh¬
nung befindet sich bei Gregor von Tours (V, 18), welcher berichtet, König
Chilperich (Chlodwigs Enkel) habe bei Soissons und Paris einen Circus
bauen (soll heißen: restauriren) lassen und daselbst Spiele gegeben. Die
Lage desselben bestimmt eine bereits von Atrien de Valois angeführte Karte
vom Jahr 1284; nach dieser Urkunde besaß die Sorbonne "tria quart-eria
villLas in loco <M Äieitur Jos ^roinneg auto Le. Victorem". Die ganze
Gegend hieß Faubourg Saint-Victor nach einer jetzt zerstörten Abtei. Der¬
selbe Weinberg, aä Dramas, LIos ass ^rennes, wird noch in Karten vom
Jahre 1307 und 1399 erwähnt. Eine wichtige Bereicherung empfingen
unsere Kenntnisse von dem mittelalterlichen Paris durch L. Delisle, der in
einem unedirten Gedichte des ausgehenden 12. Jahrhunderts eine interessante
Erwähnung des Circus fand*). Alexander Neckham, 11S7 in Se. Alban
geboren, f 1217, lehrte um 1180 in Paris. Er verfaßte eine in Distichen
geschriebene I^aus Laxientiae äivinae, in welchem Gedichte er mehrmals über
die Merkwürdigkeiten und Herrlichkeiten von Paris sich ausläßt. Er spricht
von dem Circus. dem Insatrum Lixriäis (d. i. Venus) und nennt ihn eine
vasw ruina; die Zerstörung schreibt er der üäoi äevvtio der Christen zu.
Damals also lagen die Ruinen noch offen zu Tage. Hundert Jahre später
wuchsen die Reben auf der Stätte!

Im I. 1641 wurde der Kirchhof des benachbarten Spitals 1a ?ni6
nach dem Llos ach treues versetzt.

Ein Unglück für den Circus war es. daß seine Sache von Anbeginn
den Dilettanten in die Hände fiel; die Archäologen von Fach beschäftigten
sich kaum mit den in die Welt ausposaunten Ausgrabungen und zuckten
die Achseln über die Uebertreibungen der in ihrem Patriotismus allzusehr
jubelnden Localalterthümler. die Wunder was gefunden zu haben glaubten.
Schönes hat das Pariser Theater allerdings gar nicht aufzuweisen und be¬
sonders interessant ist es auch nicht, es ist eben ein gewöhnlicher Circus wie
fast jede irgendwie bedeutende römische Stadt einen besaß. Sein Werth
stieg nur dadurch, daß Paris an gallorömischen Alterthümern so arm ist.
Die Münzen, die man darin fand, reichen von der vorcäsarischen Zeit bis
zu Kaiser Gratian herab. Eine unbekannte Species konnten sie auch nicht
aufweisen. Die Neugierde richtete sich vorzugsweise auf die Skelette -- 11
an der Zahl -- die zum Vorscheine kamen. Es waren auffallend große



') Bulletin no w Looiötö ^impörialo ach ^ntiyu-üros as?rail<!", 1858, p. 152. Diesem
Aussatze entnehmen wir die meisten der hier über den Circus gegebenen historischen Nachweise.

Verein in Groß-Folio publicirt worden sind, wollen wir darüber nicht
spotten, sondern kehren zu unserem Pariser Circus zurück.

Daß die Hauptstadt einen solchen besessen hatte, wußte man schon lange
durch Stellen bei Geschichtsschreibern und durch Aktenstücke. Die älteste Erwäh¬
nung befindet sich bei Gregor von Tours (V, 18), welcher berichtet, König
Chilperich (Chlodwigs Enkel) habe bei Soissons und Paris einen Circus
bauen (soll heißen: restauriren) lassen und daselbst Spiele gegeben. Die
Lage desselben bestimmt eine bereits von Atrien de Valois angeführte Karte
vom Jahr 1284; nach dieser Urkunde besaß die Sorbonne „tria quart-eria
villLas in loco <M Äieitur Jos ^roinneg auto Le. Victorem". Die ganze
Gegend hieß Faubourg Saint-Victor nach einer jetzt zerstörten Abtei. Der¬
selbe Weinberg, aä Dramas, LIos ass ^rennes, wird noch in Karten vom
Jahre 1307 und 1399 erwähnt. Eine wichtige Bereicherung empfingen
unsere Kenntnisse von dem mittelalterlichen Paris durch L. Delisle, der in
einem unedirten Gedichte des ausgehenden 12. Jahrhunderts eine interessante
Erwähnung des Circus fand*). Alexander Neckham, 11S7 in Se. Alban
geboren, f 1217, lehrte um 1180 in Paris. Er verfaßte eine in Distichen
geschriebene I^aus Laxientiae äivinae, in welchem Gedichte er mehrmals über
die Merkwürdigkeiten und Herrlichkeiten von Paris sich ausläßt. Er spricht
von dem Circus. dem Insatrum Lixriäis (d. i. Venus) und nennt ihn eine
vasw ruina; die Zerstörung schreibt er der üäoi äevvtio der Christen zu.
Damals also lagen die Ruinen noch offen zu Tage. Hundert Jahre später
wuchsen die Reben auf der Stätte!

Im I. 1641 wurde der Kirchhof des benachbarten Spitals 1a ?ni6
nach dem Llos ach treues versetzt.

Ein Unglück für den Circus war es. daß seine Sache von Anbeginn
den Dilettanten in die Hände fiel; die Archäologen von Fach beschäftigten
sich kaum mit den in die Welt ausposaunten Ausgrabungen und zuckten
die Achseln über die Uebertreibungen der in ihrem Patriotismus allzusehr
jubelnden Localalterthümler. die Wunder was gefunden zu haben glaubten.
Schönes hat das Pariser Theater allerdings gar nicht aufzuweisen und be¬
sonders interessant ist es auch nicht, es ist eben ein gewöhnlicher Circus wie
fast jede irgendwie bedeutende römische Stadt einen besaß. Sein Werth
stieg nur dadurch, daß Paris an gallorömischen Alterthümern so arm ist.
Die Münzen, die man darin fand, reichen von der vorcäsarischen Zeit bis
zu Kaiser Gratian herab. Eine unbekannte Species konnten sie auch nicht
aufweisen. Die Neugierde richtete sich vorzugsweise auf die Skelette — 11
an der Zahl — die zum Vorscheine kamen. Es waren auffallend große



') Bulletin no w Looiötö ^impörialo ach ^ntiyu-üros as?rail<!«, 1858, p. 152. Diesem
Aussatze entnehmen wir die meisten der hier über den Circus gegebenen historischen Nachweise.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/200>, abgerufen am 17.06.2024.