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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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lieber davon schweigt." Darf man sich wundern, wenn dann ein Theil der
russischen Presse sich gegen die Deutschen und zunächst gegen Preußen und
Oestreich in einer Art und Weise ausspricht, die man zwar der jetzigen russi.
schen Regierung nicht anzurechnen vermag, welche aber bekundet, daß von ge¬
wisser Seite eine Duldung, wenn nicht Billigung oder gar Ermunterung
dazu stattfindet. Es ist nothwendig, auf diese Angriffe etwas näher einzu-.
gehen, um dadurch zu erklären, woher das Bestreben einiger Blätter in
Deutschland kommt, pikante Geschichten aus den höchsten Kreisen Rußlands
eifrig aufzufassen und aufzudecken. Es ist nur daran zu erinnern, wie gerade
im December, also zur Zeit des Georgsfestes, das später als Märchen ent¬
larvte Gerücht durch die Zeitungen wanderte, wonach dem Gesandten des
norddeutschen Bundes, Prinzen Reuß. letzten Herbst bei der Rückkehr von
seinem Urlande nach Petersburg die schnödeste Vernachlässigung von Seiten
des Thronfolgers zu Theil geworden sein sollte. Der Stil, in dem diese
Skandalgeschichte erzählt war, kehrt aber in so vielen anderen "Märchen"
wieder, daß man versucht ist, an die innere Wahrheit zu glauben. Die trau¬
rigste dieser Geschichten ist die Affaire des Obersten Hunnius, der durch eine
schwere Beleidigung an gleicher Stelle und durch die Verweigerung einer
entsprechenden Genugthuung zum Selbstmorde getrieben worden sein soll.
Auch von noch zwei anderen deutschen Offizieren in Petersburg wird Aehn-
ltches erzählt.

Die giftigen Auslassungen der russisch-nationalen Organe gegen Preußen,
von denen schon oft die Rede gewesen ist, wurden während der Festlichkeiten
bei dem Georgordens-Jubiläum zwar eingestellt, desto mehr aber nahmen die
Angriffe nachher wieder an Heftigkeit zu, um neue Anklagen zu begründen.
So heißt es in der ersten Januar-Nummer der Moskaner Zeitung, "das
Berliner Kabinet habe, wie nicht anders zu erwarten gewesen und wie es
in Zukunft immer geschehen werde, Rußlands Interessen auf dem Pariser
Congresse in der griechischen Frage bekämpft und neuerdings England zu
Liebe die Pforte gegen den Vicekönig von Aegypten unterstützt. Die preußi¬
sche Presse habe sich während des Jahres 1869 durch einen maßlosen Haß
gegen Rußland ausgezeichnet und in dieser Beziehung alles übertroffen, was
in früherer Zeit an preußischer Feindseligkeit gegen Oestreich und Frankreich
geleistet worden. Die Feindschaft gegen Rußland kommt in einem Staate
zur Geltung, dessen Finanzen einer zunehmenden Zerrüttung verfallen sind."
Da dies nicht wirkte, traten die Zeitungen mit der Beschuldigung hervor,
daß Preußen nach dem Besitze der Ostseeprovinzen strebe und daher im Ge¬
heimen die Unzufriedenheit in denselben zu nähren suche. M geschieht dies
aber offenbar nur, um darauf das Verlangen basiren zu können, Preußen
müsse, wenn es einen Beweis seiner freundnachbarlichen Gesinnungen geben


lieber davon schweigt." Darf man sich wundern, wenn dann ein Theil der
russischen Presse sich gegen die Deutschen und zunächst gegen Preußen und
Oestreich in einer Art und Weise ausspricht, die man zwar der jetzigen russi.
schen Regierung nicht anzurechnen vermag, welche aber bekundet, daß von ge¬
wisser Seite eine Duldung, wenn nicht Billigung oder gar Ermunterung
dazu stattfindet. Es ist nothwendig, auf diese Angriffe etwas näher einzu-.
gehen, um dadurch zu erklären, woher das Bestreben einiger Blätter in
Deutschland kommt, pikante Geschichten aus den höchsten Kreisen Rußlands
eifrig aufzufassen und aufzudecken. Es ist nur daran zu erinnern, wie gerade
im December, also zur Zeit des Georgsfestes, das später als Märchen ent¬
larvte Gerücht durch die Zeitungen wanderte, wonach dem Gesandten des
norddeutschen Bundes, Prinzen Reuß. letzten Herbst bei der Rückkehr von
seinem Urlande nach Petersburg die schnödeste Vernachlässigung von Seiten
des Thronfolgers zu Theil geworden sein sollte. Der Stil, in dem diese
Skandalgeschichte erzählt war, kehrt aber in so vielen anderen „Märchen"
wieder, daß man versucht ist, an die innere Wahrheit zu glauben. Die trau¬
rigste dieser Geschichten ist die Affaire des Obersten Hunnius, der durch eine
schwere Beleidigung an gleicher Stelle und durch die Verweigerung einer
entsprechenden Genugthuung zum Selbstmorde getrieben worden sein soll.
Auch von noch zwei anderen deutschen Offizieren in Petersburg wird Aehn-
ltches erzählt.

Die giftigen Auslassungen der russisch-nationalen Organe gegen Preußen,
von denen schon oft die Rede gewesen ist, wurden während der Festlichkeiten
bei dem Georgordens-Jubiläum zwar eingestellt, desto mehr aber nahmen die
Angriffe nachher wieder an Heftigkeit zu, um neue Anklagen zu begründen.
So heißt es in der ersten Januar-Nummer der Moskaner Zeitung, „das
Berliner Kabinet habe, wie nicht anders zu erwarten gewesen und wie es
in Zukunft immer geschehen werde, Rußlands Interessen auf dem Pariser
Congresse in der griechischen Frage bekämpft und neuerdings England zu
Liebe die Pforte gegen den Vicekönig von Aegypten unterstützt. Die preußi¬
sche Presse habe sich während des Jahres 1869 durch einen maßlosen Haß
gegen Rußland ausgezeichnet und in dieser Beziehung alles übertroffen, was
in früherer Zeit an preußischer Feindseligkeit gegen Oestreich und Frankreich
geleistet worden. Die Feindschaft gegen Rußland kommt in einem Staate
zur Geltung, dessen Finanzen einer zunehmenden Zerrüttung verfallen sind."
Da dies nicht wirkte, traten die Zeitungen mit der Beschuldigung hervor,
daß Preußen nach dem Besitze der Ostseeprovinzen strebe und daher im Ge¬
heimen die Unzufriedenheit in denselben zu nähren suche. M geschieht dies
aber offenbar nur, um darauf das Verlangen basiren zu können, Preußen
müsse, wenn es einen Beweis seiner freundnachbarlichen Gesinnungen geben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/22>, abgerufen am 26.05.2024.