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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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erdröhnen uns wieder im Ohre. Kundige freilich sind nicht allzusehr über¬
rascht, sie gedenken der englischen Politik während des amerikanischen Krieges,
sie erinnern an Lord Stanley's herrliche Erklärung, daß die Collectivgarantie
sür die Neutralität Luxemburg's zwar das Recht, aber nicht die Pflicht für
die Garanten in sich schließe, dieselbe zu beschützen. Aber wie dem auch sein
möge, wenn es auch nur alte Erfahrungen sind, die wir auf's Neue machen,
immer bleibt es ein erschütternder Anblick, eine große und sreie Nation so
Schritt für Schritt in die Tiefen hinabsteigen zu sehen, wo es zwischen Ehre
und Unehre keine Unterscheidung mehr gibt. So denkt hier jedermann;
niemand kann ein Volk, das sich nur ein kostenfreies Gewissen hält, ohne
Ekel betrachten. Natürlich ist man denn auch überzeugt, daß sie uns keine
Frucht des Sieges, den wir erhoffen, gönnen werden; wie würden sie schreien,
wollten wir uns statt der Kriegskosten die französische Flotte ausliefern
lassen, eine Idee, die hier einige praktische Köpfe ersonnen haben.

Trotzdem sind wir nicht entmuthigt, im Gegentheil: Bundesgenossen
oder auch nur Vorschub von draußen haben wir nie begehrt; die unverschul¬
dete Ungunst, befestigt uns nur in unserem männlichen Selbstgefühl: sind
wir nicht stark und sind wir nicht beisammen? Mit einem ruhigen "Trotz
alledem"! müssen wir vorwärts gehen. Wie konnten die Bismarck'schen
Enthüllungen über die bösen Gelüste des Feindes anders, als uns in dieser
Gesinnung bestärken? Die Freude darüber war allgemein. Wenn England
und Italien auch ihr Auge dagegen verschließen mögen, so mußten doch die
Belgier und Schweizer ihren Nachbar zur Genüge daraus kennen lernen,
und vor allen unsere lieben Süddeutschen erhalten die glänzende Bestäti¬
gung, wie richtig ihr Nationalgefühl sie den verkappten Feind hat heraus"
finden lassen. Zu solchen genugthuenden Betrachtungen gesellt sich hierauch
ein bewunderndes Wohlgefallen an der uns Nichtdiplomaten fast unheim¬
lichen Schlauheit, mit der unser Kanzler den Altmeister der Ränke über¬
listet hat.

Auch auf den verschwiegenen Moltke vertraut man noch fest, wie zuvor.
Daß er heiter und zuversichtlich sei, ist allen eine erquickende Botschaft; das
große Publikum bedarf nun einmal der einzelnen Männer, in deren Hand
es all seine Sorgen niederlegen kann. Manch nettes Geschichtchen spricht
diese Empfindung aus; so sagt man, als Moltke die Kunde der Kriegs¬
erklärung gebracht worden, habe er nur mit der Hand deutend erwiedert
"Im zweiten Schuhe rechts!" Dort habe seit dem Luxemburger Streitfalle
der Plan für eine solche immer drohende Möglichkeit ruhig gelegen.

Uebrigens weiß man noch immer über unsere Operationen so wenig,
als lebten wir in den Zeiten des dreißigjährigen Krieges. Ja eigentlich ist
man über die Stellungen der Franzosen näher unterrichtet, als über die


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erdröhnen uns wieder im Ohre. Kundige freilich sind nicht allzusehr über¬
rascht, sie gedenken der englischen Politik während des amerikanischen Krieges,
sie erinnern an Lord Stanley's herrliche Erklärung, daß die Collectivgarantie
sür die Neutralität Luxemburg's zwar das Recht, aber nicht die Pflicht für
die Garanten in sich schließe, dieselbe zu beschützen. Aber wie dem auch sein
möge, wenn es auch nur alte Erfahrungen sind, die wir auf's Neue machen,
immer bleibt es ein erschütternder Anblick, eine große und sreie Nation so
Schritt für Schritt in die Tiefen hinabsteigen zu sehen, wo es zwischen Ehre
und Unehre keine Unterscheidung mehr gibt. So denkt hier jedermann;
niemand kann ein Volk, das sich nur ein kostenfreies Gewissen hält, ohne
Ekel betrachten. Natürlich ist man denn auch überzeugt, daß sie uns keine
Frucht des Sieges, den wir erhoffen, gönnen werden; wie würden sie schreien,
wollten wir uns statt der Kriegskosten die französische Flotte ausliefern
lassen, eine Idee, die hier einige praktische Köpfe ersonnen haben.

Trotzdem sind wir nicht entmuthigt, im Gegentheil: Bundesgenossen
oder auch nur Vorschub von draußen haben wir nie begehrt; die unverschul¬
dete Ungunst, befestigt uns nur in unserem männlichen Selbstgefühl: sind
wir nicht stark und sind wir nicht beisammen? Mit einem ruhigen „Trotz
alledem"! müssen wir vorwärts gehen. Wie konnten die Bismarck'schen
Enthüllungen über die bösen Gelüste des Feindes anders, als uns in dieser
Gesinnung bestärken? Die Freude darüber war allgemein. Wenn England
und Italien auch ihr Auge dagegen verschließen mögen, so mußten doch die
Belgier und Schweizer ihren Nachbar zur Genüge daraus kennen lernen,
und vor allen unsere lieben Süddeutschen erhalten die glänzende Bestäti¬
gung, wie richtig ihr Nationalgefühl sie den verkappten Feind hat heraus»
finden lassen. Zu solchen genugthuenden Betrachtungen gesellt sich hierauch
ein bewunderndes Wohlgefallen an der uns Nichtdiplomaten fast unheim¬
lichen Schlauheit, mit der unser Kanzler den Altmeister der Ränke über¬
listet hat.

Auch auf den verschwiegenen Moltke vertraut man noch fest, wie zuvor.
Daß er heiter und zuversichtlich sei, ist allen eine erquickende Botschaft; das
große Publikum bedarf nun einmal der einzelnen Männer, in deren Hand
es all seine Sorgen niederlegen kann. Manch nettes Geschichtchen spricht
diese Empfindung aus; so sagt man, als Moltke die Kunde der Kriegs¬
erklärung gebracht worden, habe er nur mit der Hand deutend erwiedert
„Im zweiten Schuhe rechts!" Dort habe seit dem Luxemburger Streitfalle
der Plan für eine solche immer drohende Möglichkeit ruhig gelegen.

Uebrigens weiß man noch immer über unsere Operationen so wenig,
als lebten wir in den Zeiten des dreißigjährigen Krieges. Ja eigentlich ist
man über die Stellungen der Franzosen näher unterrichtet, als über die


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[0247] erdröhnen uns wieder im Ohre. Kundige freilich sind nicht allzusehr über¬ rascht, sie gedenken der englischen Politik während des amerikanischen Krieges, sie erinnern an Lord Stanley's herrliche Erklärung, daß die Collectivgarantie sür die Neutralität Luxemburg's zwar das Recht, aber nicht die Pflicht für die Garanten in sich schließe, dieselbe zu beschützen. Aber wie dem auch sein möge, wenn es auch nur alte Erfahrungen sind, die wir auf's Neue machen, immer bleibt es ein erschütternder Anblick, eine große und sreie Nation so Schritt für Schritt in die Tiefen hinabsteigen zu sehen, wo es zwischen Ehre und Unehre keine Unterscheidung mehr gibt. So denkt hier jedermann; niemand kann ein Volk, das sich nur ein kostenfreies Gewissen hält, ohne Ekel betrachten. Natürlich ist man denn auch überzeugt, daß sie uns keine Frucht des Sieges, den wir erhoffen, gönnen werden; wie würden sie schreien, wollten wir uns statt der Kriegskosten die französische Flotte ausliefern lassen, eine Idee, die hier einige praktische Köpfe ersonnen haben. Trotzdem sind wir nicht entmuthigt, im Gegentheil: Bundesgenossen oder auch nur Vorschub von draußen haben wir nie begehrt; die unverschul¬ dete Ungunst, befestigt uns nur in unserem männlichen Selbstgefühl: sind wir nicht stark und sind wir nicht beisammen? Mit einem ruhigen „Trotz alledem"! müssen wir vorwärts gehen. Wie konnten die Bismarck'schen Enthüllungen über die bösen Gelüste des Feindes anders, als uns in dieser Gesinnung bestärken? Die Freude darüber war allgemein. Wenn England und Italien auch ihr Auge dagegen verschließen mögen, so mußten doch die Belgier und Schweizer ihren Nachbar zur Genüge daraus kennen lernen, und vor allen unsere lieben Süddeutschen erhalten die glänzende Bestäti¬ gung, wie richtig ihr Nationalgefühl sie den verkappten Feind hat heraus» finden lassen. Zu solchen genugthuenden Betrachtungen gesellt sich hierauch ein bewunderndes Wohlgefallen an der uns Nichtdiplomaten fast unheim¬ lichen Schlauheit, mit der unser Kanzler den Altmeister der Ränke über¬ listet hat. Auch auf den verschwiegenen Moltke vertraut man noch fest, wie zuvor. Daß er heiter und zuversichtlich sei, ist allen eine erquickende Botschaft; das große Publikum bedarf nun einmal der einzelnen Männer, in deren Hand es all seine Sorgen niederlegen kann. Manch nettes Geschichtchen spricht diese Empfindung aus; so sagt man, als Moltke die Kunde der Kriegs¬ erklärung gebracht worden, habe er nur mit der Hand deutend erwiedert „Im zweiten Schuhe rechts!" Dort habe seit dem Luxemburger Streitfalle der Plan für eine solche immer drohende Möglichkeit ruhig gelegen. Uebrigens weiß man noch immer über unsere Operationen so wenig, als lebten wir in den Zeiten des dreißigjährigen Krieges. Ja eigentlich ist man über die Stellungen der Franzosen näher unterrichtet, als über die 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/247>, abgerufen am 17.06.2024.