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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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auf, daß dasselbe wesentlich aus der Äußersten Rechten gebildet ist. Marschall
Cousin de Montauban, Graf von Palikao, soll ein tüchtiger General sein,
der seine Schule in Algerien, der Krim und Italien gemacht hat und dann die
Expedition gegen China leitete, bei der er seine eigenen Finanzen derartig
bedachte, daß sogar das gefügige vorps löglslatik die für ihn beantragte
Dotation verweigerte. Hr. Chevreau. Minister des Innern und Günstling
der Kaiserin, war früher Präfect von Lyon und wurde unter der neuen Aera
Haußmanns Nachfolger als Seinepräfect; die Leitung der Finanzen hat
Magne übernommen, einer der wenigen überlebenden Minister vom
2. December, ein tüchtiger Geschäftsmann, aber durch seine Theilnahme an
der leichtfertigen Finanzwirthschaft des ersten kaiserlichen Decenniums dis-
creditirt. Grandperret, der Justizminister, ist der General'Prokurator,
welcher den Prozeß des Prinzen Pierre Napoleon leitete, Braine, der Unter¬
richtsminister, ist der bekannte Schutzzöllner und Opponent gegen die frei¬
händlerische Politik des Kaisers. Jirome David, Minister der öffentlichen
Arbeiten, ist der bisherige Führer der Rechten, Element Duvernois, der
Handelsmintster. hat sich als Redacteur des kaiserlichen Leibblattes "Ls xeupls
trautzais" bekannt gemacht. Der einzige Mann von wirklicher selbständiger
Bedeutung im ganzen Cabinette ist der Fürst Latour d'Auvergne, früher
Gesandter in Turin, dann in Berlin, wo er den deutsch-französischen Handels¬
vertrag abschloß, später Botschafter in Rom und darauf in London, wo er
1864 der Conferenz über die Schleswig-Holsteinische Frage beiwohnte und
vorschlug, eine Abstimmung der Bevölkerung. entscheiden zu lassen. Er hat
die kaiserliche Politik der letzten Zeit stets freimüthig gemißbilligt, sprach sich
nach Sadowa entschieden für den Frieden aus und mußte bei dem Cabinets-
wechsel im vorigen Jahre Lavalette den Posten in London abtreten, um sehr
gegen seinen Willen auf einige Monate Minister der Auswärtigen Angelegen¬
heiten zu werden. Er weigerte sich in das Cabinet Ollivier einzutreten und
ließ sich erst beim Ausbruch des Krieges bestimmen, als Botschafter nach Wien
zu gehen. Nur Patriotismus kann ihn bewogen haben, im gegenwärtigen
Moment das Portefeuille des Aeußern anzunehmen, denn ihm wird die
furchtbare Aufgabe zufallen, den Frieden zu unterhandeln. Die Wahrscheinlich¬
keit spricht dafür, daß er Minister bleiben wird, selbst wenn das jetzige Ca¬
binet fällt, denn er ist in der That vielleicht der einzige Kopf, welcher die
auswärtige Politik in solcher Situation leiten kann, er ist als verhältni߬
mäßig unabhängiger Mann geachtet und stand in Berlin mit dem Grafen
Bismaick in freundschaftlichen Beziehungen, soll auch der Ernennung desselben
zum Gesandten in Paris Vorschub geleistet haben.

Was nun die Maßregeln betrifft, welche die Regierung unter dem Druck
der tumultuarischen Sitzung vom 3. August zu nehmen beabsichtigt, so


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auf, daß dasselbe wesentlich aus der Äußersten Rechten gebildet ist. Marschall
Cousin de Montauban, Graf von Palikao, soll ein tüchtiger General sein,
der seine Schule in Algerien, der Krim und Italien gemacht hat und dann die
Expedition gegen China leitete, bei der er seine eigenen Finanzen derartig
bedachte, daß sogar das gefügige vorps löglslatik die für ihn beantragte
Dotation verweigerte. Hr. Chevreau. Minister des Innern und Günstling
der Kaiserin, war früher Präfect von Lyon und wurde unter der neuen Aera
Haußmanns Nachfolger als Seinepräfect; die Leitung der Finanzen hat
Magne übernommen, einer der wenigen überlebenden Minister vom
2. December, ein tüchtiger Geschäftsmann, aber durch seine Theilnahme an
der leichtfertigen Finanzwirthschaft des ersten kaiserlichen Decenniums dis-
creditirt. Grandperret, der Justizminister, ist der General'Prokurator,
welcher den Prozeß des Prinzen Pierre Napoleon leitete, Braine, der Unter¬
richtsminister, ist der bekannte Schutzzöllner und Opponent gegen die frei¬
händlerische Politik des Kaisers. Jirome David, Minister der öffentlichen
Arbeiten, ist der bisherige Führer der Rechten, Element Duvernois, der
Handelsmintster. hat sich als Redacteur des kaiserlichen Leibblattes „Ls xeupls
trautzais" bekannt gemacht. Der einzige Mann von wirklicher selbständiger
Bedeutung im ganzen Cabinette ist der Fürst Latour d'Auvergne, früher
Gesandter in Turin, dann in Berlin, wo er den deutsch-französischen Handels¬
vertrag abschloß, später Botschafter in Rom und darauf in London, wo er
1864 der Conferenz über die Schleswig-Holsteinische Frage beiwohnte und
vorschlug, eine Abstimmung der Bevölkerung. entscheiden zu lassen. Er hat
die kaiserliche Politik der letzten Zeit stets freimüthig gemißbilligt, sprach sich
nach Sadowa entschieden für den Frieden aus und mußte bei dem Cabinets-
wechsel im vorigen Jahre Lavalette den Posten in London abtreten, um sehr
gegen seinen Willen auf einige Monate Minister der Auswärtigen Angelegen¬
heiten zu werden. Er weigerte sich in das Cabinet Ollivier einzutreten und
ließ sich erst beim Ausbruch des Krieges bestimmen, als Botschafter nach Wien
zu gehen. Nur Patriotismus kann ihn bewogen haben, im gegenwärtigen
Moment das Portefeuille des Aeußern anzunehmen, denn ihm wird die
furchtbare Aufgabe zufallen, den Frieden zu unterhandeln. Die Wahrscheinlich¬
keit spricht dafür, daß er Minister bleiben wird, selbst wenn das jetzige Ca¬
binet fällt, denn er ist in der That vielleicht der einzige Kopf, welcher die
auswärtige Politik in solcher Situation leiten kann, er ist als verhältni߬
mäßig unabhängiger Mann geachtet und stand in Berlin mit dem Grafen
Bismaick in freundschaftlichen Beziehungen, soll auch der Ernennung desselben
zum Gesandten in Paris Vorschub geleistet haben.

Was nun die Maßregeln betrifft, welche die Regierung unter dem Druck
der tumultuarischen Sitzung vom 3. August zu nehmen beabsichtigt, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/299>, abgerufen am 17.06.2024.