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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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gehn. Er verließ die Stadt; Festmahl, Fackelzug, Ständchen, welche ihm die
Studenten bringen wollten, wurden untersagt. Am Morgen aber, als die
Abfahrt erfolgte, begegneten ihm, wie erzählt wird, die Studenten einzeln,
das gelbe Buch (seine Schrift, kenntlich an Format und Deckel) unter dem
Arm und zogen ehrerbietig die Mützen. An diesen schreibt Pogodin: "Ein
Russe, der sein Vaterland liebt, müßte zu den Einwohnern der Ostseeprovinzen
sagen: lernt Französisch, Chinesisch und was ihr wollt, nur nicht Russisch.
Denn die Deutschen versperren den Russen alle Dienstbranchen, sowohl im
Militär- als auch im Civil- und Gelehrtenfach. Wenn ihr sie aber noch
Russisch lehrt, dann ist gar kein Auskommen mehr und die armen Russen
werden mit der niedrigsten Arbeit zufrieden sein müssen, Gott sei Dank, daß
die Deutschen der baltischen Provinzen nicht Russisch lernen wollen. Ich würde
ihnen für diese Abneigung den Kopf streicheln."

Auch der esthländische Landtag hatte eine Adresse an den Kaiser abge¬
sandt und die Bauern in Esthland-eine Deputation abgeordnet, um Vor¬
stellungen gegen die Bedrückung durch die russische Partei zu machen,
aber ohne bessern Erfolg als ihre Nachbarn. Dafür sind die Abgaben in
verschiedener Form erhöht worden. So ist dort z. B. eine allgemeine Zäh¬
lung sämmtlicher Hausthiere angeordnet und Befehl ergangen, für jedes Stück
Rindvieh und jedes Pferd 13 Kopeken und für Schafe und Schwarzvieh die
Hälfte zur Gründung eines Viehversicherungsfonds unter staatlicher Ver¬
waltung einzuziehen und dieselben Beiträge als jährliche Prämien festzusetzen.
Der Gouverneur von Esthland, Staatsrath Gattin, hatte die Vertreter der
esthnischen Ritterschaft und der Stadt Reval amtlich durch Circular ange¬
wiesen, an den Staatsfesten in der griechischen Kirche zu erscheinen und den
orthodoxen Gebeten für die Gesundheit des Czaren beizuwohnen wie in Liv-
land. Damit sollte die Superiorität der griechischen Kirche zur factischen Aner¬
kennung gelangen, die staatsrechtliche Stellung des Protestantismus herab¬
gedrückt werden. Aber der Reval'sche Rath beantwortete die Vorschrift des
Gouverneurs in höchst geschickter Weise: "Der Ausfassung, welche das feier¬
liche Dankgebet für Se. Majestät den Herrn und Kaiser einmal als einen
"rein religiös-politischen Act" von vorzugsweise officiellen Charakter, dann
wieder als einen "ausschließlich offiziellen Act" und die Gegenwart bei dem¬
selben "mehr als Dienst, denn als Religionspflicht" bezeichnet, kann der
Rath in keinem Stücke beipflichten. Ihm gilt das Gebet einfach noch als
Gebet, die Betheiligung an demselben nicht als eine Pflicht des Dienstes und
der Politik, sondern als ein Gebot der Religion und des Herzens. In diesem
Bewußtsein versammelt er sich zum feierlichen Dankgottesdienst im Gottes¬
hause seiner Confesston und verrichtet daselbst sein Gebet für den geliebten
Landesherrn im Geiste und nach den Formen seiner Kirche. Ihm ist das


Grenzboten III. 1870. 4

gehn. Er verließ die Stadt; Festmahl, Fackelzug, Ständchen, welche ihm die
Studenten bringen wollten, wurden untersagt. Am Morgen aber, als die
Abfahrt erfolgte, begegneten ihm, wie erzählt wird, die Studenten einzeln,
das gelbe Buch (seine Schrift, kenntlich an Format und Deckel) unter dem
Arm und zogen ehrerbietig die Mützen. An diesen schreibt Pogodin: „Ein
Russe, der sein Vaterland liebt, müßte zu den Einwohnern der Ostseeprovinzen
sagen: lernt Französisch, Chinesisch und was ihr wollt, nur nicht Russisch.
Denn die Deutschen versperren den Russen alle Dienstbranchen, sowohl im
Militär- als auch im Civil- und Gelehrtenfach. Wenn ihr sie aber noch
Russisch lehrt, dann ist gar kein Auskommen mehr und die armen Russen
werden mit der niedrigsten Arbeit zufrieden sein müssen, Gott sei Dank, daß
die Deutschen der baltischen Provinzen nicht Russisch lernen wollen. Ich würde
ihnen für diese Abneigung den Kopf streicheln."

Auch der esthländische Landtag hatte eine Adresse an den Kaiser abge¬
sandt und die Bauern in Esthland-eine Deputation abgeordnet, um Vor¬
stellungen gegen die Bedrückung durch die russische Partei zu machen,
aber ohne bessern Erfolg als ihre Nachbarn. Dafür sind die Abgaben in
verschiedener Form erhöht worden. So ist dort z. B. eine allgemeine Zäh¬
lung sämmtlicher Hausthiere angeordnet und Befehl ergangen, für jedes Stück
Rindvieh und jedes Pferd 13 Kopeken und für Schafe und Schwarzvieh die
Hälfte zur Gründung eines Viehversicherungsfonds unter staatlicher Ver¬
waltung einzuziehen und dieselben Beiträge als jährliche Prämien festzusetzen.
Der Gouverneur von Esthland, Staatsrath Gattin, hatte die Vertreter der
esthnischen Ritterschaft und der Stadt Reval amtlich durch Circular ange¬
wiesen, an den Staatsfesten in der griechischen Kirche zu erscheinen und den
orthodoxen Gebeten für die Gesundheit des Czaren beizuwohnen wie in Liv-
land. Damit sollte die Superiorität der griechischen Kirche zur factischen Aner¬
kennung gelangen, die staatsrechtliche Stellung des Protestantismus herab¬
gedrückt werden. Aber der Reval'sche Rath beantwortete die Vorschrift des
Gouverneurs in höchst geschickter Weise: „Der Ausfassung, welche das feier¬
liche Dankgebet für Se. Majestät den Herrn und Kaiser einmal als einen
„rein religiös-politischen Act" von vorzugsweise officiellen Charakter, dann
wieder als einen „ausschließlich offiziellen Act" und die Gegenwart bei dem¬
selben „mehr als Dienst, denn als Religionspflicht" bezeichnet, kann der
Rath in keinem Stücke beipflichten. Ihm gilt das Gebet einfach noch als
Gebet, die Betheiligung an demselben nicht als eine Pflicht des Dienstes und
der Politik, sondern als ein Gebot der Religion und des Herzens. In diesem
Bewußtsein versammelt er sich zum feierlichen Dankgottesdienst im Gottes¬
hause seiner Confesston und verrichtet daselbst sein Gebet für den geliebten
Landesherrn im Geiste und nach den Formen seiner Kirche. Ihm ist das


Grenzboten III. 1870. 4
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/33>, abgerufen am 26.05.2024.