Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Corps es dann aber bedürfte, um dem geschwinden Vorstöße auch die nach¬
haltige Kraft zu verleihen, trat uns erst später ins Bewußtsein. Ganz zu¬
letzt erfuhren wir mit Staunen, daß es gar die Cavallerie der Garde gewesen
sei, welche den ersten Theil der Schlacht allein getragen. Wenn man bedenkt,
wie viel gerade von diesen Stunden abhing, so gewann die anfangs sehr
paradox klingende Prophezeiung, die man hier und da vor dem Kriege hören
konnte: auf den Feldzug der Artillerie von 64 und den der Infanterie von
66 werde jetzt ein Cavalleriefeldzug folgen, eine Art von Erfüllung.

Während man noch so sprach und die Folgen der Schlacht vom 16ten
hoffnungsvoll im Geiste überrechnete, ahnte man nicht, daß mittlerweile durch
den königlichen Kampf bei Nezonville unsere Sache eine neue herzerschütternde
Bekräftigung erhalten habe. Man hatte gewähnt, die Einschließung des
Feindes von Norden her werde sich in aller Stille ohne wiederholtes Blut¬
vergießen vollziehen lassen. Aber nicht so leicht läßt sich eine immer noch
sehr zahlreiche Armee, die da weiß, daß ihr außer der Tapferkeit der Ver¬
zweiflung nichts mehr übrig bleibt, in Fesseln legen; auf die Schlachten im
Osten und im Südwesten mußte erst die nordwestliche folgen, auf den 14ten
und 16ten der 18te; nun erst konnre man rückschauend diese Tage in den
einen schicksalsvollen Namen der Schlacht bei Metz zusammenfassen, welche der
Leipziger, der sie durch ihre ringförmige Gestalt ähnelt, an Bedeutung kaum
und leider auch nicht an Zahl der Opfer den Vorrang lassen wird.

Da brach denn aber auch unaufhaltsam die Freude durch, wie vor vier¬
zehn Tagen. Es war ein rauher, regnerischer Abend der vom Freitag, das
hielt jedoch die Menge nicht ab, sich dichtgedrängt um das Palais der Kö¬
nigin zu schaaren, um ihr lautrufend ihren Jubel zu bezeigen. Ganze Züge
bildeten sich diesmal, die von kleinen Fahnen geführt in regelmäßigem Tritt
die Linden herunterzogen, als Marsch sangen sie sich selber die Wacht am
Rhein dazu. Berlin wird immer von irgend einem Liede, irgend einer Me¬
lodie beherrscht. Wie viele nichtige, ja frivole haben einander die letzten
Jahre über schnell sich abnutzend verdrängt! Auch in dieser Hinsicht hat denn
unser Leben und Treiben einen edleren Gehalt bekommen und man darf
sichs deshalb nicht verdrießen lassen, daß man die schwungvolle Weise nun
auch gar nicht mehr los wird, mag sie der Schusterjunge pfeifen, der Leier¬
kasten spielen oder mag sie selbst aus den Fenstern der Mädchenschulen her¬
vortönen. Unsere Männergesangvereine, die dem ehrbaren Leben unserer
Handwerker einen so fröhlichen Sonntagsschmuck verleihen, wagen sich schon
an größere Aufgaben: "Du Schwert an meiner Linken" oder "Die Heere
blieben am Rheine stehn" sind da besonders beliebt, und vor allen "Ein
feste Burg ist unser Gott", das in Wort und Ton unserem deutschen Volks¬
geiste vielleicht einen ebenso treuen Ausdruck giebt, wie die Marseillaise dem


Corps es dann aber bedürfte, um dem geschwinden Vorstöße auch die nach¬
haltige Kraft zu verleihen, trat uns erst später ins Bewußtsein. Ganz zu¬
letzt erfuhren wir mit Staunen, daß es gar die Cavallerie der Garde gewesen
sei, welche den ersten Theil der Schlacht allein getragen. Wenn man bedenkt,
wie viel gerade von diesen Stunden abhing, so gewann die anfangs sehr
paradox klingende Prophezeiung, die man hier und da vor dem Kriege hören
konnte: auf den Feldzug der Artillerie von 64 und den der Infanterie von
66 werde jetzt ein Cavalleriefeldzug folgen, eine Art von Erfüllung.

Während man noch so sprach und die Folgen der Schlacht vom 16ten
hoffnungsvoll im Geiste überrechnete, ahnte man nicht, daß mittlerweile durch
den königlichen Kampf bei Nezonville unsere Sache eine neue herzerschütternde
Bekräftigung erhalten habe. Man hatte gewähnt, die Einschließung des
Feindes von Norden her werde sich in aller Stille ohne wiederholtes Blut¬
vergießen vollziehen lassen. Aber nicht so leicht läßt sich eine immer noch
sehr zahlreiche Armee, die da weiß, daß ihr außer der Tapferkeit der Ver¬
zweiflung nichts mehr übrig bleibt, in Fesseln legen; auf die Schlachten im
Osten und im Südwesten mußte erst die nordwestliche folgen, auf den 14ten
und 16ten der 18te; nun erst konnre man rückschauend diese Tage in den
einen schicksalsvollen Namen der Schlacht bei Metz zusammenfassen, welche der
Leipziger, der sie durch ihre ringförmige Gestalt ähnelt, an Bedeutung kaum
und leider auch nicht an Zahl der Opfer den Vorrang lassen wird.

Da brach denn aber auch unaufhaltsam die Freude durch, wie vor vier¬
zehn Tagen. Es war ein rauher, regnerischer Abend der vom Freitag, das
hielt jedoch die Menge nicht ab, sich dichtgedrängt um das Palais der Kö¬
nigin zu schaaren, um ihr lautrufend ihren Jubel zu bezeigen. Ganze Züge
bildeten sich diesmal, die von kleinen Fahnen geführt in regelmäßigem Tritt
die Linden herunterzogen, als Marsch sangen sie sich selber die Wacht am
Rhein dazu. Berlin wird immer von irgend einem Liede, irgend einer Me¬
lodie beherrscht. Wie viele nichtige, ja frivole haben einander die letzten
Jahre über schnell sich abnutzend verdrängt! Auch in dieser Hinsicht hat denn
unser Leben und Treiben einen edleren Gehalt bekommen und man darf
sichs deshalb nicht verdrießen lassen, daß man die schwungvolle Weise nun
auch gar nicht mehr los wird, mag sie der Schusterjunge pfeifen, der Leier¬
kasten spielen oder mag sie selbst aus den Fenstern der Mädchenschulen her¬
vortönen. Unsere Männergesangvereine, die dem ehrbaren Leben unserer
Handwerker einen so fröhlichen Sonntagsschmuck verleihen, wagen sich schon
an größere Aufgaben: „Du Schwert an meiner Linken" oder „Die Heere
blieben am Rheine stehn" sind da besonders beliebt, und vor allen „Ein
feste Burg ist unser Gott", das in Wort und Ton unserem deutschen Volks¬
geiste vielleicht einen ebenso treuen Ausdruck giebt, wie die Marseillaise dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124528"/>
            <p xml:id="ID_1111" prev="#ID_1110"> Corps es dann aber bedürfte, um dem geschwinden Vorstöße auch die nach¬<lb/>
haltige Kraft zu verleihen, trat uns erst später ins Bewußtsein. Ganz zu¬<lb/>
letzt erfuhren wir mit Staunen, daß es gar die Cavallerie der Garde gewesen<lb/>
sei, welche den ersten Theil der Schlacht allein getragen. Wenn man bedenkt,<lb/>
wie viel gerade von diesen Stunden abhing, so gewann die anfangs sehr<lb/>
paradox klingende Prophezeiung, die man hier und da vor dem Kriege hören<lb/>
konnte: auf den Feldzug der Artillerie von 64 und den der Infanterie von<lb/>
66 werde jetzt ein Cavalleriefeldzug folgen, eine Art von Erfüllung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1112"> Während man noch so sprach und die Folgen der Schlacht vom 16ten<lb/>
hoffnungsvoll im Geiste überrechnete, ahnte man nicht, daß mittlerweile durch<lb/>
den königlichen Kampf bei Nezonville unsere Sache eine neue herzerschütternde<lb/>
Bekräftigung erhalten habe. Man hatte gewähnt, die Einschließung des<lb/>
Feindes von Norden her werde sich in aller Stille ohne wiederholtes Blut¬<lb/>
vergießen vollziehen lassen. Aber nicht so leicht läßt sich eine immer noch<lb/>
sehr zahlreiche Armee, die da weiß, daß ihr außer der Tapferkeit der Ver¬<lb/>
zweiflung nichts mehr übrig bleibt, in Fesseln legen; auf die Schlachten im<lb/>
Osten und im Südwesten mußte erst die nordwestliche folgen, auf den 14ten<lb/>
und 16ten der 18te; nun erst konnre man rückschauend diese Tage in den<lb/>
einen schicksalsvollen Namen der Schlacht bei Metz zusammenfassen, welche der<lb/>
Leipziger, der sie durch ihre ringförmige Gestalt ähnelt, an Bedeutung kaum<lb/>
und leider auch nicht an Zahl der Opfer den Vorrang lassen wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1113" next="#ID_1114"> Da brach denn aber auch unaufhaltsam die Freude durch, wie vor vier¬<lb/>
zehn Tagen. Es war ein rauher, regnerischer Abend der vom Freitag, das<lb/>
hielt jedoch die Menge nicht ab, sich dichtgedrängt um das Palais der Kö¬<lb/>
nigin zu schaaren, um ihr lautrufend ihren Jubel zu bezeigen. Ganze Züge<lb/>
bildeten sich diesmal, die von kleinen Fahnen geführt in regelmäßigem Tritt<lb/>
die Linden herunterzogen, als Marsch sangen sie sich selber die Wacht am<lb/>
Rhein dazu. Berlin wird immer von irgend einem Liede, irgend einer Me¬<lb/>
lodie beherrscht. Wie viele nichtige, ja frivole haben einander die letzten<lb/>
Jahre über schnell sich abnutzend verdrängt! Auch in dieser Hinsicht hat denn<lb/>
unser Leben und Treiben einen edleren Gehalt bekommen und man darf<lb/>
sichs deshalb nicht verdrießen lassen, daß man die schwungvolle Weise nun<lb/>
auch gar nicht mehr los wird, mag sie der Schusterjunge pfeifen, der Leier¬<lb/>
kasten spielen oder mag sie selbst aus den Fenstern der Mädchenschulen her¬<lb/>
vortönen. Unsere Männergesangvereine, die dem ehrbaren Leben unserer<lb/>
Handwerker einen so fröhlichen Sonntagsschmuck verleihen, wagen sich schon<lb/>
an größere Aufgaben: &#x201E;Du Schwert an meiner Linken" oder &#x201E;Die Heere<lb/>
blieben am Rheine stehn" sind da besonders beliebt, und vor allen &#x201E;Ein<lb/>
feste Burg ist unser Gott", das in Wort und Ton unserem deutschen Volks¬<lb/>
geiste vielleicht einen ebenso treuen Ausdruck giebt, wie die Marseillaise dem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0378] Corps es dann aber bedürfte, um dem geschwinden Vorstöße auch die nach¬ haltige Kraft zu verleihen, trat uns erst später ins Bewußtsein. Ganz zu¬ letzt erfuhren wir mit Staunen, daß es gar die Cavallerie der Garde gewesen sei, welche den ersten Theil der Schlacht allein getragen. Wenn man bedenkt, wie viel gerade von diesen Stunden abhing, so gewann die anfangs sehr paradox klingende Prophezeiung, die man hier und da vor dem Kriege hören konnte: auf den Feldzug der Artillerie von 64 und den der Infanterie von 66 werde jetzt ein Cavalleriefeldzug folgen, eine Art von Erfüllung. Während man noch so sprach und die Folgen der Schlacht vom 16ten hoffnungsvoll im Geiste überrechnete, ahnte man nicht, daß mittlerweile durch den königlichen Kampf bei Nezonville unsere Sache eine neue herzerschütternde Bekräftigung erhalten habe. Man hatte gewähnt, die Einschließung des Feindes von Norden her werde sich in aller Stille ohne wiederholtes Blut¬ vergießen vollziehen lassen. Aber nicht so leicht läßt sich eine immer noch sehr zahlreiche Armee, die da weiß, daß ihr außer der Tapferkeit der Ver¬ zweiflung nichts mehr übrig bleibt, in Fesseln legen; auf die Schlachten im Osten und im Südwesten mußte erst die nordwestliche folgen, auf den 14ten und 16ten der 18te; nun erst konnre man rückschauend diese Tage in den einen schicksalsvollen Namen der Schlacht bei Metz zusammenfassen, welche der Leipziger, der sie durch ihre ringförmige Gestalt ähnelt, an Bedeutung kaum und leider auch nicht an Zahl der Opfer den Vorrang lassen wird. Da brach denn aber auch unaufhaltsam die Freude durch, wie vor vier¬ zehn Tagen. Es war ein rauher, regnerischer Abend der vom Freitag, das hielt jedoch die Menge nicht ab, sich dichtgedrängt um das Palais der Kö¬ nigin zu schaaren, um ihr lautrufend ihren Jubel zu bezeigen. Ganze Züge bildeten sich diesmal, die von kleinen Fahnen geführt in regelmäßigem Tritt die Linden herunterzogen, als Marsch sangen sie sich selber die Wacht am Rhein dazu. Berlin wird immer von irgend einem Liede, irgend einer Me¬ lodie beherrscht. Wie viele nichtige, ja frivole haben einander die letzten Jahre über schnell sich abnutzend verdrängt! Auch in dieser Hinsicht hat denn unser Leben und Treiben einen edleren Gehalt bekommen und man darf sichs deshalb nicht verdrießen lassen, daß man die schwungvolle Weise nun auch gar nicht mehr los wird, mag sie der Schusterjunge pfeifen, der Leier¬ kasten spielen oder mag sie selbst aus den Fenstern der Mädchenschulen her¬ vortönen. Unsere Männergesangvereine, die dem ehrbaren Leben unserer Handwerker einen so fröhlichen Sonntagsschmuck verleihen, wagen sich schon an größere Aufgaben: „Du Schwert an meiner Linken" oder „Die Heere blieben am Rheine stehn" sind da besonders beliebt, und vor allen „Ein feste Burg ist unser Gott", das in Wort und Ton unserem deutschen Volks¬ geiste vielleicht einen ebenso treuen Ausdruck giebt, wie die Marseillaise dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/378
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/378>, abgerufen am 17.06.2024.