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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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sche Confession und die Schmalkaldischen Artikel genannt werden, als unver¬
besserlich niedergelegt ist.

Warum nennt Herr Prof. Luthardt nicht die berühmte Concordienformel.
die doch wenigstens ursprünglich deutsch versaßt und folglich für die nicht
im Lateinischen geübten Synodalen zugänglicher ist? Wir können auch hier
nur so antworten, wie schon mehrfach: entweder verschweigt er sie aus Klug¬
heit, oder es ist ein Versehen. Diesmal neigen wir jedoch mehr zur ersteren
Annahme. Die Erwähnung der Concordienformel hätte zu derb daran er¬
innert, wie es mit dem Zustandekommen der lutherischen Bekenntnißschriften
hergegangen ist, nämlich ganz anders, und viel menschlicher, als Herr L. die
Welt glauben machen will; ferner daran, daß die Lehreinheit in den ver¬
schiedenen lutherischen Kirchen heute ebenso wenig existirt wie vor 300 Jah¬
ren, sintemal das in Rede stehende Bekenntniß von Hessen, Holstein, Pom¬
mern, Anhalt, Zweibrücken, von verschiedenen lutherischen Reichsstädten, von
Dänemark und selbst vom damaligen Mecklenburg nicht acceptirt worden ist
(vgl. Schmieder, Einleitung in die kirchliche Symbolik); endlich auch daran,
wie weit diese Neulutheraner über das Ziel schießen und ganz und gar ab¬
weichen von ihren classischen Vorbildern. Denn obwohl die Concordienformel
die Andersgläubigen ebenso kräftig verdammt wie der päpstliche Syllabus,
so findet sich doch gerade in ihr eine das Ansehen der Bekenntnißschriften
im Sinne der Reformatoren einschränkende Erklärung:


"Die Symbole sind nicht Richter, Regel und Richtschnur, wie die
heilige Schrift, sondern allein Zeugniß und Erklärung des Glaubens,
wie derzeit die heilige Schrift in streitigen Artikeln in der Kirchen
Gottes von den damals Lebenden verstanden und derselben wider¬
wärtige Lehre verdammet worden."

Dieses Eine Citat hätte den ganzen Essay Luthardt's über das Stehen und
Fallen der Kirche mit ihren Bekenntnißschriften über den Haufen geworfen.
Deshalb mußte es verschwiegen werden -- aus Klugheit. Und aus keinem
anderen Grunde die Hauptsache: wie es um den Bekennlnißglauben der¬
jenigen steht, die ihn Andern aufnöthigen wollen. Aber was wird's nützen?
Nur diejenigen, die weder die Bekenntnißschriftcn, noch deren neuesten Ver¬
treter in der Paulinerkirche kennen (und deren sind freilich immer noch sehr
viele) kann man glauben machen, daß diese Herren wenigstens selbst noch
auf dem Boden stehen, den sie vertheidigen. Für alle Anderen ist es eine
bekannte Sache, daß dieselben -- nach ihrem eigenen Maße gemessen -- alle-
sammt untüchtig geworden sind und ist nicht, der gerecht sei, auch nicht Einer*).
Selbst Herr Luthardt findet nicht Gnade vor den Augen derjenigen Luthera-



Bgl. die Schriften or. Krenkel's über diesen Gegenstand, insbesondere: Religionseid und
Äelenntnißverpflichtung, S. 63 ff.

sche Confession und die Schmalkaldischen Artikel genannt werden, als unver¬
besserlich niedergelegt ist.

Warum nennt Herr Prof. Luthardt nicht die berühmte Concordienformel.
die doch wenigstens ursprünglich deutsch versaßt und folglich für die nicht
im Lateinischen geübten Synodalen zugänglicher ist? Wir können auch hier
nur so antworten, wie schon mehrfach: entweder verschweigt er sie aus Klug¬
heit, oder es ist ein Versehen. Diesmal neigen wir jedoch mehr zur ersteren
Annahme. Die Erwähnung der Concordienformel hätte zu derb daran er¬
innert, wie es mit dem Zustandekommen der lutherischen Bekenntnißschriften
hergegangen ist, nämlich ganz anders, und viel menschlicher, als Herr L. die
Welt glauben machen will; ferner daran, daß die Lehreinheit in den ver¬
schiedenen lutherischen Kirchen heute ebenso wenig existirt wie vor 300 Jah¬
ren, sintemal das in Rede stehende Bekenntniß von Hessen, Holstein, Pom¬
mern, Anhalt, Zweibrücken, von verschiedenen lutherischen Reichsstädten, von
Dänemark und selbst vom damaligen Mecklenburg nicht acceptirt worden ist
(vgl. Schmieder, Einleitung in die kirchliche Symbolik); endlich auch daran,
wie weit diese Neulutheraner über das Ziel schießen und ganz und gar ab¬
weichen von ihren classischen Vorbildern. Denn obwohl die Concordienformel
die Andersgläubigen ebenso kräftig verdammt wie der päpstliche Syllabus,
so findet sich doch gerade in ihr eine das Ansehen der Bekenntnißschriften
im Sinne der Reformatoren einschränkende Erklärung:


„Die Symbole sind nicht Richter, Regel und Richtschnur, wie die
heilige Schrift, sondern allein Zeugniß und Erklärung des Glaubens,
wie derzeit die heilige Schrift in streitigen Artikeln in der Kirchen
Gottes von den damals Lebenden verstanden und derselben wider¬
wärtige Lehre verdammet worden."

Dieses Eine Citat hätte den ganzen Essay Luthardt's über das Stehen und
Fallen der Kirche mit ihren Bekenntnißschriften über den Haufen geworfen.
Deshalb mußte es verschwiegen werden — aus Klugheit. Und aus keinem
anderen Grunde die Hauptsache: wie es um den Bekennlnißglauben der¬
jenigen steht, die ihn Andern aufnöthigen wollen. Aber was wird's nützen?
Nur diejenigen, die weder die Bekenntnißschriftcn, noch deren neuesten Ver¬
treter in der Paulinerkirche kennen (und deren sind freilich immer noch sehr
viele) kann man glauben machen, daß diese Herren wenigstens selbst noch
auf dem Boden stehen, den sie vertheidigen. Für alle Anderen ist es eine
bekannte Sache, daß dieselben — nach ihrem eigenen Maße gemessen — alle-
sammt untüchtig geworden sind und ist nicht, der gerecht sei, auch nicht Einer*).
Selbst Herr Luthardt findet nicht Gnade vor den Augen derjenigen Luthera-



Bgl. die Schriften or. Krenkel's über diesen Gegenstand, insbesondere: Religionseid und
Äelenntnißverpflichtung, S. 63 ff.
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[0064] sche Confession und die Schmalkaldischen Artikel genannt werden, als unver¬ besserlich niedergelegt ist. Warum nennt Herr Prof. Luthardt nicht die berühmte Concordienformel. die doch wenigstens ursprünglich deutsch versaßt und folglich für die nicht im Lateinischen geübten Synodalen zugänglicher ist? Wir können auch hier nur so antworten, wie schon mehrfach: entweder verschweigt er sie aus Klug¬ heit, oder es ist ein Versehen. Diesmal neigen wir jedoch mehr zur ersteren Annahme. Die Erwähnung der Concordienformel hätte zu derb daran er¬ innert, wie es mit dem Zustandekommen der lutherischen Bekenntnißschriften hergegangen ist, nämlich ganz anders, und viel menschlicher, als Herr L. die Welt glauben machen will; ferner daran, daß die Lehreinheit in den ver¬ schiedenen lutherischen Kirchen heute ebenso wenig existirt wie vor 300 Jah¬ ren, sintemal das in Rede stehende Bekenntniß von Hessen, Holstein, Pom¬ mern, Anhalt, Zweibrücken, von verschiedenen lutherischen Reichsstädten, von Dänemark und selbst vom damaligen Mecklenburg nicht acceptirt worden ist (vgl. Schmieder, Einleitung in die kirchliche Symbolik); endlich auch daran, wie weit diese Neulutheraner über das Ziel schießen und ganz und gar ab¬ weichen von ihren classischen Vorbildern. Denn obwohl die Concordienformel die Andersgläubigen ebenso kräftig verdammt wie der päpstliche Syllabus, so findet sich doch gerade in ihr eine das Ansehen der Bekenntnißschriften im Sinne der Reformatoren einschränkende Erklärung: „Die Symbole sind nicht Richter, Regel und Richtschnur, wie die heilige Schrift, sondern allein Zeugniß und Erklärung des Glaubens, wie derzeit die heilige Schrift in streitigen Artikeln in der Kirchen Gottes von den damals Lebenden verstanden und derselben wider¬ wärtige Lehre verdammet worden." Dieses Eine Citat hätte den ganzen Essay Luthardt's über das Stehen und Fallen der Kirche mit ihren Bekenntnißschriften über den Haufen geworfen. Deshalb mußte es verschwiegen werden — aus Klugheit. Und aus keinem anderen Grunde die Hauptsache: wie es um den Bekennlnißglauben der¬ jenigen steht, die ihn Andern aufnöthigen wollen. Aber was wird's nützen? Nur diejenigen, die weder die Bekenntnißschriftcn, noch deren neuesten Ver¬ treter in der Paulinerkirche kennen (und deren sind freilich immer noch sehr viele) kann man glauben machen, daß diese Herren wenigstens selbst noch auf dem Boden stehen, den sie vertheidigen. Für alle Anderen ist es eine bekannte Sache, daß dieselben — nach ihrem eigenen Maße gemessen — alle- sammt untüchtig geworden sind und ist nicht, der gerecht sei, auch nicht Einer*). Selbst Herr Luthardt findet nicht Gnade vor den Augen derjenigen Luthera- Bgl. die Schriften or. Krenkel's über diesen Gegenstand, insbesondere: Religionseid und Äelenntnißverpflichtung, S. 63 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/64>, abgerufen am 17.06.2024.