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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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baldige Parusie ihres Kurfürsten als des wahren obersten Bischofs der hes¬
sischen Kirche.

Genug für diesmal über diese Conferenz und ihren Hauptsprecher.
Vielleicht sind viele Leser der Meinung, sie hätten unsererseits mit Still¬
schweigen übergangen werden können. Dieser Ansicht sind wir allerdings
nicht. Wir halten es nicht für gleichgiltig, wie sich die Protestanten
den immer maßloser werdenden Prätensionen des römischen Concils gegen¬
über verhalten. Eine neue Secession innerhalb der katholischen Kirche ist,
wenn die Jesuiten mit ihrem Unfehlbarkeitsdogma durchdringen, mehr als
wahrscheinlich. Aber werden sich diese aus ihrer Kirche austretenden Katho¬
liken einer protestantischen Kirche anschließen, die ebenso intolerant, ebenso
selbstgerecht, ebenso feindselig der ganzen neuen Zeit gegenübersteht, wie die
katholische? oder einer evangelisch-lutherischen Conferenz, die "Laien" ebenso
gemaßregelt sehen möchte, wie das römische Concil? Gerade die Einsichtigsten
werden sich zweimal besinnen und denken: Was kommt dabei heraus? Wir
bekommen anstatt eines großen unfehlbaren Papstes nur viele kleine.




Rußland im letzten Halbjahr.
II.
Innere Reformen.

Nach der Petersburger Zeitung zählt die russische Armee gegenwärtig
720,000 Mann, die Reserve, aus den auf unbestimmten Urlaub entlassenen
Leuten bestehend, ist augenblicklich 518,000 Mann stark. Hierzu sollen im
Laufe dieses Jahres noch 35.000 Mann kommen; die Stärke der Reserve
beträgt dann also 553,000 Mann. Da 430,000 Mann erforderlich sind, um
die Armee auf die etatsmäßige Kriegsstärke zu bringen, bleibt ein Ueberschuß
Avr 120,000 Mann. Im Verhältniß zu der ungeheuren Ausdehnung des
russischen Reiches wäre diese Macht keine gar zu große zu nennen, selbst wenn
die zum Theil sehr gering bevölkerten Landestheile in Betracht gezogen
werden. Die ältesten der gegenwärtig im Heere dienenden Soldaten ge¬
hören, mit Ausnahme der Kapitulanten, dem Jahrgange von 1862 an. Bet
der Beurlaubung werden diejenigen Leute, welche sich im Dienst gut führen
und zu Hause so viel zu leben haben, daß sie Niemandem zur Last fallen,
vor Anderen berücksichtigt. Ein Ukas vom 20. Juli v. I. bestimmt eine
Herabsetzung der Dienstzeit für diejenigen, welche sich zur Einstellung ins


baldige Parusie ihres Kurfürsten als des wahren obersten Bischofs der hes¬
sischen Kirche.

Genug für diesmal über diese Conferenz und ihren Hauptsprecher.
Vielleicht sind viele Leser der Meinung, sie hätten unsererseits mit Still¬
schweigen übergangen werden können. Dieser Ansicht sind wir allerdings
nicht. Wir halten es nicht für gleichgiltig, wie sich die Protestanten
den immer maßloser werdenden Prätensionen des römischen Concils gegen¬
über verhalten. Eine neue Secession innerhalb der katholischen Kirche ist,
wenn die Jesuiten mit ihrem Unfehlbarkeitsdogma durchdringen, mehr als
wahrscheinlich. Aber werden sich diese aus ihrer Kirche austretenden Katho¬
liken einer protestantischen Kirche anschließen, die ebenso intolerant, ebenso
selbstgerecht, ebenso feindselig der ganzen neuen Zeit gegenübersteht, wie die
katholische? oder einer evangelisch-lutherischen Conferenz, die „Laien" ebenso
gemaßregelt sehen möchte, wie das römische Concil? Gerade die Einsichtigsten
werden sich zweimal besinnen und denken: Was kommt dabei heraus? Wir
bekommen anstatt eines großen unfehlbaren Papstes nur viele kleine.




Rußland im letzten Halbjahr.
II.
Innere Reformen.

Nach der Petersburger Zeitung zählt die russische Armee gegenwärtig
720,000 Mann, die Reserve, aus den auf unbestimmten Urlaub entlassenen
Leuten bestehend, ist augenblicklich 518,000 Mann stark. Hierzu sollen im
Laufe dieses Jahres noch 35.000 Mann kommen; die Stärke der Reserve
beträgt dann also 553,000 Mann. Da 430,000 Mann erforderlich sind, um
die Armee auf die etatsmäßige Kriegsstärke zu bringen, bleibt ein Ueberschuß
Avr 120,000 Mann. Im Verhältniß zu der ungeheuren Ausdehnung des
russischen Reiches wäre diese Macht keine gar zu große zu nennen, selbst wenn
die zum Theil sehr gering bevölkerten Landestheile in Betracht gezogen
werden. Die ältesten der gegenwärtig im Heere dienenden Soldaten ge¬
hören, mit Ausnahme der Kapitulanten, dem Jahrgange von 1862 an. Bet
der Beurlaubung werden diejenigen Leute, welche sich im Dienst gut führen
und zu Hause so viel zu leben haben, daß sie Niemandem zur Last fallen,
vor Anderen berücksichtigt. Ein Ukas vom 20. Juli v. I. bestimmt eine
Herabsetzung der Dienstzeit für diejenigen, welche sich zur Einstellung ins


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[0066] baldige Parusie ihres Kurfürsten als des wahren obersten Bischofs der hes¬ sischen Kirche. Genug für diesmal über diese Conferenz und ihren Hauptsprecher. Vielleicht sind viele Leser der Meinung, sie hätten unsererseits mit Still¬ schweigen übergangen werden können. Dieser Ansicht sind wir allerdings nicht. Wir halten es nicht für gleichgiltig, wie sich die Protestanten den immer maßloser werdenden Prätensionen des römischen Concils gegen¬ über verhalten. Eine neue Secession innerhalb der katholischen Kirche ist, wenn die Jesuiten mit ihrem Unfehlbarkeitsdogma durchdringen, mehr als wahrscheinlich. Aber werden sich diese aus ihrer Kirche austretenden Katho¬ liken einer protestantischen Kirche anschließen, die ebenso intolerant, ebenso selbstgerecht, ebenso feindselig der ganzen neuen Zeit gegenübersteht, wie die katholische? oder einer evangelisch-lutherischen Conferenz, die „Laien" ebenso gemaßregelt sehen möchte, wie das römische Concil? Gerade die Einsichtigsten werden sich zweimal besinnen und denken: Was kommt dabei heraus? Wir bekommen anstatt eines großen unfehlbaren Papstes nur viele kleine. Rußland im letzten Halbjahr. II. Innere Reformen. Nach der Petersburger Zeitung zählt die russische Armee gegenwärtig 720,000 Mann, die Reserve, aus den auf unbestimmten Urlaub entlassenen Leuten bestehend, ist augenblicklich 518,000 Mann stark. Hierzu sollen im Laufe dieses Jahres noch 35.000 Mann kommen; die Stärke der Reserve beträgt dann also 553,000 Mann. Da 430,000 Mann erforderlich sind, um die Armee auf die etatsmäßige Kriegsstärke zu bringen, bleibt ein Ueberschuß Avr 120,000 Mann. Im Verhältniß zu der ungeheuren Ausdehnung des russischen Reiches wäre diese Macht keine gar zu große zu nennen, selbst wenn die zum Theil sehr gering bevölkerten Landestheile in Betracht gezogen werden. Die ältesten der gegenwärtig im Heere dienenden Soldaten ge¬ hören, mit Ausnahme der Kapitulanten, dem Jahrgange von 1862 an. Bet der Beurlaubung werden diejenigen Leute, welche sich im Dienst gut führen und zu Hause so viel zu leben haben, daß sie Niemandem zur Last fallen, vor Anderen berücksichtigt. Ein Ukas vom 20. Juli v. I. bestimmt eine Herabsetzung der Dienstzeit für diejenigen, welche sich zur Einstellung ins

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/66>, abgerufen am 17.06.2024.