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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Heer vor Vollendung des zwanzigsten Lebensjahres freiwillig melden. Diese
sollen nicht sieben, sondern nur fünf Jahre zu dienen haben und können durch
gute Aufführung noch ein Jahr Erlaß erwerben. Mit der abgekürzten
Dienstzeit wird das Heirathen der Soldaten, -- das man bisher nicht nur
erleichterte, sondern sogar provocirte, um den Soldaten das Heer zur Hei¬
mat zu machen, -- beschränkt werden und dadurch der Militärverwaltung
eine große Ersparniß erwachsen. Denn bei der Sorgfalt, die man der Ver¬
pflegung der Soldatenfrauen und Familien beim Heere widmete, wurde die
Unterhaltung des Heeres sehr vertheuert und die Truppenbewegungen durch
die begleitenden Weiber und Kinder sehr erschwert.

Auch gegen diese militärischen Reformen hat sich eine altrussische Stimme
in der Broschüre "der russische Soldat" von Soltoff vernehmen lassen, die
zugleich eine Charakteristik der bisherigen russischen Armee gibt. "Die So¬
lidität der russischen Armee", heißt es darin, "die bisher ein einziges com-
paktes Ganze bildete, geht durch die abgekürzte Dienstzeit vollständig ver¬
loren. Wenn der Soldat weiß, daß er nach sieben, vielleicht auch schon nach
fünf oder vier Jahren wieder in bürgerliche Verhältnisse eintritt, so fühlt er
sich nur als Gast in der Armee und wird in ihr nie so heimisch werden wie
der bisherige russische Krieger, der mit Allem, was ihn an die Heimat, an
seine Familie und sonstige Verhältnisse band, gebrochen hatte und in die
Armee verpflanzt, diese als seine Heimat und seine irdische Bestimmung be-
trachten und lieben lernte, den in einem fernen Theile des Reiches nichts
mehr aus seiner Heimat berührte, da er wußte, daß er dieselbe in den
meisten Fällen nie mehr oder höchstens dann wiedersehen werde, wenn sie
keinen Reiz mehr für ihn hat und er von dem, was er verlassen, soviel wie
nichts wiederfinden würde. Der russische Soldat gehörte mit Leib und Seele
der Armee an, er hatte und kannte außer ihr nichts mehr; Heimat und Re¬
ligion concentrirten sich bei ihm in dem einzigen Begriff "Armee". Diese
Einheit, dieses compakte Wesen war es, welches die Armee zu einer undurch-
vrechlichen Mauer für den Thron machte. In der russischen Armee hörte
jeder nationale und confessionelle Unterschied auf; der Soldat moslemischer
Abkunft vergaß schon nach kurzer Zeit seinen Koran, wie der Jude seinen
Talmud und der Protestant seine Bibel, und beim griechischen Gottesdienst
beugten und bekreuzten sich die nicht griechischen wie die griechischen Sol-
daten." Das ändert sich Alles gegenwärtig; mit dem 1. Januar d. I. ist
auch das Gesetz in Kraft getreten, nach welchem in Friedenszeiten sogar die
Soldaten jüdischer Confession an ihren Hauptfesten von jedem Dienste befreit
sein sollen.

Seit Mitte vorigen Jahres ist ein neuer Codex für Disciplinarstrafen
in der Armee vom Kaiser bestätigt. Nach demselben können die Gemeinen


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Heer vor Vollendung des zwanzigsten Lebensjahres freiwillig melden. Diese
sollen nicht sieben, sondern nur fünf Jahre zu dienen haben und können durch
gute Aufführung noch ein Jahr Erlaß erwerben. Mit der abgekürzten
Dienstzeit wird das Heirathen der Soldaten, — das man bisher nicht nur
erleichterte, sondern sogar provocirte, um den Soldaten das Heer zur Hei¬
mat zu machen, — beschränkt werden und dadurch der Militärverwaltung
eine große Ersparniß erwachsen. Denn bei der Sorgfalt, die man der Ver¬
pflegung der Soldatenfrauen und Familien beim Heere widmete, wurde die
Unterhaltung des Heeres sehr vertheuert und die Truppenbewegungen durch
die begleitenden Weiber und Kinder sehr erschwert.

Auch gegen diese militärischen Reformen hat sich eine altrussische Stimme
in der Broschüre „der russische Soldat" von Soltoff vernehmen lassen, die
zugleich eine Charakteristik der bisherigen russischen Armee gibt. „Die So¬
lidität der russischen Armee", heißt es darin, „die bisher ein einziges com-
paktes Ganze bildete, geht durch die abgekürzte Dienstzeit vollständig ver¬
loren. Wenn der Soldat weiß, daß er nach sieben, vielleicht auch schon nach
fünf oder vier Jahren wieder in bürgerliche Verhältnisse eintritt, so fühlt er
sich nur als Gast in der Armee und wird in ihr nie so heimisch werden wie
der bisherige russische Krieger, der mit Allem, was ihn an die Heimat, an
seine Familie und sonstige Verhältnisse band, gebrochen hatte und in die
Armee verpflanzt, diese als seine Heimat und seine irdische Bestimmung be-
trachten und lieben lernte, den in einem fernen Theile des Reiches nichts
mehr aus seiner Heimat berührte, da er wußte, daß er dieselbe in den
meisten Fällen nie mehr oder höchstens dann wiedersehen werde, wenn sie
keinen Reiz mehr für ihn hat und er von dem, was er verlassen, soviel wie
nichts wiederfinden würde. Der russische Soldat gehörte mit Leib und Seele
der Armee an, er hatte und kannte außer ihr nichts mehr; Heimat und Re¬
ligion concentrirten sich bei ihm in dem einzigen Begriff „Armee". Diese
Einheit, dieses compakte Wesen war es, welches die Armee zu einer undurch-
vrechlichen Mauer für den Thron machte. In der russischen Armee hörte
jeder nationale und confessionelle Unterschied auf; der Soldat moslemischer
Abkunft vergaß schon nach kurzer Zeit seinen Koran, wie der Jude seinen
Talmud und der Protestant seine Bibel, und beim griechischen Gottesdienst
beugten und bekreuzten sich die nicht griechischen wie die griechischen Sol-
daten." Das ändert sich Alles gegenwärtig; mit dem 1. Januar d. I. ist
auch das Gesetz in Kraft getreten, nach welchem in Friedenszeiten sogar die
Soldaten jüdischer Confession an ihren Hauptfesten von jedem Dienste befreit
sein sollen.

Seit Mitte vorigen Jahres ist ein neuer Codex für Disciplinarstrafen
in der Armee vom Kaiser bestätigt. Nach demselben können die Gemeinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/67>, abgerufen am 17.06.2024.