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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Schiffe aus Finnland durch das nördliche Eismeer zu fahren, um eine über¬
seeische Verbindung mit Sibirien herzustellen. Er ist im Herbste v. I. ohne
alle Gefahren glücklich in den Ob eingelaufen. Souachwird sich bald ein reger
Handelsverkehr zwischen Finnland und Sibirien durch das arktische Meer
über Hammerfest entwickeln. Die Unterhandlungen mit China, um außer
politischen auch Handelsverträge abzuschließen, wurden durch den in Folge
der großen Kälte in Petersburg erfolgten Tod Burlingames, des Führers
der chinesischen Gesandtschaft, wenn nicht vereitelt, so doch unterbrochen oder
wenigstens schwieriger gemacht. Nicht leicht dürfte es seinen Nachfolgern
Dschi und Sun geworden sein, die diplomatischen Unterhandlungen fortzu¬
setzen, da dies nur durch Dolmetscher geschehen konnte und ohne Beistand
des ausgezeichneten Mannes, der sich durch seine Leistungen bereits vor zehn
Jahren im gesetzgebenden Körper in Amerika hervorgethan hatte.

"Ueber die eigenthümlichen Bank- und Valutaverhältnisse Rußlands gab
der "Berliner Börsen-Courier" eine Schilderung, wonach der Metallvorrath
der Staatsbank von S7 Millionen Ende 1866 bis gegen Ende 1869 auf
mehr als 140 Millionen R. gestiegen war. Auf der anderen Seite stand der
Metallvorrath zum Notenumlauf vor 30 Monaten im Verhältniß von 1 : 12,
jetzt wie 1 : 5, und dennoch hält sich der Metallcours oder doch der Werth
des Papiercourses um 1 pCt. niedriger als damals. Der Grund liege in
der Menge der vorhandenen Umlaufsmittel, namentlich der Banknoten und
sonst noch der coursirenden Cheques und Telegraphenmarken. Statt dieselben
zu reduciren, habe man sie vermehrt, die Spekulation und Haussebewegung
herausgefordert ; die gekauften Werthe ließen sich ja bei der Bank unter¬
bringen, die wiederum ihre Vorschüsse in dem Maße erhöhte, als die Werthe
sich steigerten, nur freilich künstlich steigerten. "So gewannen Eisenbahnactien
30--50 pCt. Prämie, obwohl noch kein Spatenstich gethan war. Zahlreiche
Kaufordres aus den Provinzen hatten den Gang der Hauffe beschleunigt;
als aber die Finanzverwaltung eine Reduction des Notenumlaufs verfügte,
folgte die Baisse. Leider sollen dabei viel mittlere Leute mit zu Grunde ge¬
gangen sein, was bei dem gierigen Hasten und Jagen nach raschem Gewinn nur
zu erklärlich ist. Diese Neigung, den Bewegungen der Börse kopflos zu folgen,
ist in dieser Klasse gerade in Petersburg stark ausgeprägt, während die
Kenntniß der Verhältnisse desto geringer ist."

Im letzten Jahre sind drei neue Privatbanken entstanden, welche
alle gute Geschäfte machten und hohe Dividenden zahlten, eine Handels¬
bank, eine Disconto- und Leihbank und eine internarionale Bank zur Ver¬
mittelung des ausländischen Credits. Die erstere ist aber bereits wieder in
der Auflösung begriffen, nachdem deren Director mit den Mitteln der Gesell¬
schaft auf eigene Rechnung Spekulationen gewagt und den Gewinn als sein


Schiffe aus Finnland durch das nördliche Eismeer zu fahren, um eine über¬
seeische Verbindung mit Sibirien herzustellen. Er ist im Herbste v. I. ohne
alle Gefahren glücklich in den Ob eingelaufen. Souachwird sich bald ein reger
Handelsverkehr zwischen Finnland und Sibirien durch das arktische Meer
über Hammerfest entwickeln. Die Unterhandlungen mit China, um außer
politischen auch Handelsverträge abzuschließen, wurden durch den in Folge
der großen Kälte in Petersburg erfolgten Tod Burlingames, des Führers
der chinesischen Gesandtschaft, wenn nicht vereitelt, so doch unterbrochen oder
wenigstens schwieriger gemacht. Nicht leicht dürfte es seinen Nachfolgern
Dschi und Sun geworden sein, die diplomatischen Unterhandlungen fortzu¬
setzen, da dies nur durch Dolmetscher geschehen konnte und ohne Beistand
des ausgezeichneten Mannes, der sich durch seine Leistungen bereits vor zehn
Jahren im gesetzgebenden Körper in Amerika hervorgethan hatte.

„Ueber die eigenthümlichen Bank- und Valutaverhältnisse Rußlands gab
der „Berliner Börsen-Courier" eine Schilderung, wonach der Metallvorrath
der Staatsbank von S7 Millionen Ende 1866 bis gegen Ende 1869 auf
mehr als 140 Millionen R. gestiegen war. Auf der anderen Seite stand der
Metallvorrath zum Notenumlauf vor 30 Monaten im Verhältniß von 1 : 12,
jetzt wie 1 : 5, und dennoch hält sich der Metallcours oder doch der Werth
des Papiercourses um 1 pCt. niedriger als damals. Der Grund liege in
der Menge der vorhandenen Umlaufsmittel, namentlich der Banknoten und
sonst noch der coursirenden Cheques und Telegraphenmarken. Statt dieselben
zu reduciren, habe man sie vermehrt, die Spekulation und Haussebewegung
herausgefordert ; die gekauften Werthe ließen sich ja bei der Bank unter¬
bringen, die wiederum ihre Vorschüsse in dem Maße erhöhte, als die Werthe
sich steigerten, nur freilich künstlich steigerten. „So gewannen Eisenbahnactien
30—50 pCt. Prämie, obwohl noch kein Spatenstich gethan war. Zahlreiche
Kaufordres aus den Provinzen hatten den Gang der Hauffe beschleunigt;
als aber die Finanzverwaltung eine Reduction des Notenumlaufs verfügte,
folgte die Baisse. Leider sollen dabei viel mittlere Leute mit zu Grunde ge¬
gangen sein, was bei dem gierigen Hasten und Jagen nach raschem Gewinn nur
zu erklärlich ist. Diese Neigung, den Bewegungen der Börse kopflos zu folgen,
ist in dieser Klasse gerade in Petersburg stark ausgeprägt, während die
Kenntniß der Verhältnisse desto geringer ist."

Im letzten Jahre sind drei neue Privatbanken entstanden, welche
alle gute Geschäfte machten und hohe Dividenden zahlten, eine Handels¬
bank, eine Disconto- und Leihbank und eine internarionale Bank zur Ver¬
mittelung des ausländischen Credits. Die erstere ist aber bereits wieder in
der Auflösung begriffen, nachdem deren Director mit den Mitteln der Gesell¬
schaft auf eigene Rechnung Spekulationen gewagt und den Gewinn als sein


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[0072] Schiffe aus Finnland durch das nördliche Eismeer zu fahren, um eine über¬ seeische Verbindung mit Sibirien herzustellen. Er ist im Herbste v. I. ohne alle Gefahren glücklich in den Ob eingelaufen. Souachwird sich bald ein reger Handelsverkehr zwischen Finnland und Sibirien durch das arktische Meer über Hammerfest entwickeln. Die Unterhandlungen mit China, um außer politischen auch Handelsverträge abzuschließen, wurden durch den in Folge der großen Kälte in Petersburg erfolgten Tod Burlingames, des Führers der chinesischen Gesandtschaft, wenn nicht vereitelt, so doch unterbrochen oder wenigstens schwieriger gemacht. Nicht leicht dürfte es seinen Nachfolgern Dschi und Sun geworden sein, die diplomatischen Unterhandlungen fortzu¬ setzen, da dies nur durch Dolmetscher geschehen konnte und ohne Beistand des ausgezeichneten Mannes, der sich durch seine Leistungen bereits vor zehn Jahren im gesetzgebenden Körper in Amerika hervorgethan hatte. „Ueber die eigenthümlichen Bank- und Valutaverhältnisse Rußlands gab der „Berliner Börsen-Courier" eine Schilderung, wonach der Metallvorrath der Staatsbank von S7 Millionen Ende 1866 bis gegen Ende 1869 auf mehr als 140 Millionen R. gestiegen war. Auf der anderen Seite stand der Metallvorrath zum Notenumlauf vor 30 Monaten im Verhältniß von 1 : 12, jetzt wie 1 : 5, und dennoch hält sich der Metallcours oder doch der Werth des Papiercourses um 1 pCt. niedriger als damals. Der Grund liege in der Menge der vorhandenen Umlaufsmittel, namentlich der Banknoten und sonst noch der coursirenden Cheques und Telegraphenmarken. Statt dieselben zu reduciren, habe man sie vermehrt, die Spekulation und Haussebewegung herausgefordert ; die gekauften Werthe ließen sich ja bei der Bank unter¬ bringen, die wiederum ihre Vorschüsse in dem Maße erhöhte, als die Werthe sich steigerten, nur freilich künstlich steigerten. „So gewannen Eisenbahnactien 30—50 pCt. Prämie, obwohl noch kein Spatenstich gethan war. Zahlreiche Kaufordres aus den Provinzen hatten den Gang der Hauffe beschleunigt; als aber die Finanzverwaltung eine Reduction des Notenumlaufs verfügte, folgte die Baisse. Leider sollen dabei viel mittlere Leute mit zu Grunde ge¬ gangen sein, was bei dem gierigen Hasten und Jagen nach raschem Gewinn nur zu erklärlich ist. Diese Neigung, den Bewegungen der Börse kopflos zu folgen, ist in dieser Klasse gerade in Petersburg stark ausgeprägt, während die Kenntniß der Verhältnisse desto geringer ist." Im letzten Jahre sind drei neue Privatbanken entstanden, welche alle gute Geschäfte machten und hohe Dividenden zahlten, eine Handels¬ bank, eine Disconto- und Leihbank und eine internarionale Bank zur Ver¬ mittelung des ausländischen Credits. Die erstere ist aber bereits wieder in der Auflösung begriffen, nachdem deren Director mit den Mitteln der Gesell¬ schaft auf eigene Rechnung Spekulationen gewagt und den Gewinn als sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/72>, abgerufen am 17.06.2024.