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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Eigenthum in Anspruch genommen hat. Auch hierin haben manche andere
Länder dem russischen Speculationsgeiste nichts vorzuwerfen.

Die Presse soll bestimmtere Normen erhalten. Von der bisherigen Hand"
habung derselben läßt sich nicht sagen, daß sie hart gewesen wäre. Gegen
den Inhalt von Werken, die "is wissenschaftliche auftreten, ist man sogar
äußerst tolerant, aber die Ausbeutung von Büchern durch Zeitschriften wird
mit Argusaugen bewacht. Bezüglich der Controle und Censur auswär¬
tiger Zeitungen ist bestimmt, daß Auslassungen über Rußland und rufst-
sche Zustände ohne Anfechtung gelassen werden sollen, wenn sie nicht direkte
Angriffe auf den Kaiser und die kaiserliche Familie enthalten. Rügen von
Mißbräuchen sollen nicht unterdrückt werden, damit den Betroffenen Ge¬
legenheit zur Widerlegung und Rechtfertigung gegeben sei. Die russischen
Blätter sind angewiesen, durch Gründe unterstützte Widerlegungen von Be¬
hörden oder obrigkeitlichen Personen aufzunehmen. Dagegen haben mehrere
inländische Zeitungen Verwarnungen erhalten. Im Januar d. I. wurde
auch die Moskaner Zeitung*) in der Person ihrer Redacteure und Heraus¬
geber, der Staatsräthe Michael Katkoff und Paul Leontjeff, mit der ersten
Verwarnung überrascht.

Die Präventivcensur ist zwar aufgehoben, aber die Zeitungen nennen
das nur eine Scheinfreiheit der Presse, da man gegen mißliebige Schriftsteller
ein eigenthümliches Verfahren beobachte. Vor dem Bezirksgericht in Peters¬
burg stand ein gewisser Schtschapay, weil er in seiner Uebersetzung von Louis
Blancs Briefen über England verschiedene gegen den russischen Absolutismus
gerichtete Stellen aufgenommen und die auf kirchliche Fragen bezüglichen
Theile seines Buches nicht der geistlichen Censur unterbreitet hatte. Obgleich
der Angeklagte freigesprochen wurde, ist es doch von Bedeutung, daß für
eine wesentlich politische Schrift die geistliche Censur verlangt wurde, weil ein
paar Seiten von kirchlichen Gegenständen handeln. Man weiß auch dort
sehr gut, daß es der spröd ist. welcher auf eine Verschärfung der Censur¬
gesetze dringt und die Abhängigkeit der Presse von seiner Censur beträchtlich
zu erweitern strebt. Die höhere Geistlichkeit, der zum Mönchsstande gehörige
"schwarze Klerus" ist der Preßfreiheit von Hause aus außerordentlich feind¬
lich gewesen, weil er von derselben die Emancipation der bis jetzt in schmäh¬
lichem Drucke und vollständiger Abhängigkeit gehaltenen Weltgeistlichkeit
fürchtet, für welche die gesammte Journalistik von jeher eifrig Partei er¬
griffen hat. Es wird sich jedoch auch hierin mit der Zeit viel ändern, wie
sich aus einem am 30. Mai vorigen Jahres publicirten kaiserlichen Erlaß
vermuthen läßt. Derselbe verordnet nämlich, daß diejenigen jungen Leute,



") Im I. Artikel, Heft 27 S.17 Z. 8 r>, oben ist zu lesen: "katkoff'sches Organ" (Most.
Zeitung) statt "katholisches".
Grenzboten III. 1870. g

Eigenthum in Anspruch genommen hat. Auch hierin haben manche andere
Länder dem russischen Speculationsgeiste nichts vorzuwerfen.

Die Presse soll bestimmtere Normen erhalten. Von der bisherigen Hand«
habung derselben läßt sich nicht sagen, daß sie hart gewesen wäre. Gegen
den Inhalt von Werken, die «is wissenschaftliche auftreten, ist man sogar
äußerst tolerant, aber die Ausbeutung von Büchern durch Zeitschriften wird
mit Argusaugen bewacht. Bezüglich der Controle und Censur auswär¬
tiger Zeitungen ist bestimmt, daß Auslassungen über Rußland und rufst-
sche Zustände ohne Anfechtung gelassen werden sollen, wenn sie nicht direkte
Angriffe auf den Kaiser und die kaiserliche Familie enthalten. Rügen von
Mißbräuchen sollen nicht unterdrückt werden, damit den Betroffenen Ge¬
legenheit zur Widerlegung und Rechtfertigung gegeben sei. Die russischen
Blätter sind angewiesen, durch Gründe unterstützte Widerlegungen von Be¬
hörden oder obrigkeitlichen Personen aufzunehmen. Dagegen haben mehrere
inländische Zeitungen Verwarnungen erhalten. Im Januar d. I. wurde
auch die Moskaner Zeitung*) in der Person ihrer Redacteure und Heraus¬
geber, der Staatsräthe Michael Katkoff und Paul Leontjeff, mit der ersten
Verwarnung überrascht.

Die Präventivcensur ist zwar aufgehoben, aber die Zeitungen nennen
das nur eine Scheinfreiheit der Presse, da man gegen mißliebige Schriftsteller
ein eigenthümliches Verfahren beobachte. Vor dem Bezirksgericht in Peters¬
burg stand ein gewisser Schtschapay, weil er in seiner Uebersetzung von Louis
Blancs Briefen über England verschiedene gegen den russischen Absolutismus
gerichtete Stellen aufgenommen und die auf kirchliche Fragen bezüglichen
Theile seines Buches nicht der geistlichen Censur unterbreitet hatte. Obgleich
der Angeklagte freigesprochen wurde, ist es doch von Bedeutung, daß für
eine wesentlich politische Schrift die geistliche Censur verlangt wurde, weil ein
paar Seiten von kirchlichen Gegenständen handeln. Man weiß auch dort
sehr gut, daß es der spröd ist. welcher auf eine Verschärfung der Censur¬
gesetze dringt und die Abhängigkeit der Presse von seiner Censur beträchtlich
zu erweitern strebt. Die höhere Geistlichkeit, der zum Mönchsstande gehörige
„schwarze Klerus" ist der Preßfreiheit von Hause aus außerordentlich feind¬
lich gewesen, weil er von derselben die Emancipation der bis jetzt in schmäh¬
lichem Drucke und vollständiger Abhängigkeit gehaltenen Weltgeistlichkeit
fürchtet, für welche die gesammte Journalistik von jeher eifrig Partei er¬
griffen hat. Es wird sich jedoch auch hierin mit der Zeit viel ändern, wie
sich aus einem am 30. Mai vorigen Jahres publicirten kaiserlichen Erlaß
vermuthen läßt. Derselbe verordnet nämlich, daß diejenigen jungen Leute,



") Im I. Artikel, Heft 27 S.17 Z. 8 r>, oben ist zu lesen: „katkoff'sches Organ" (Most.
Zeitung) statt „katholisches".
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/73>, abgerufen am 17.06.2024.