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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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freier Berufs- und Gewerbeausübung im ganzen Gebiete der Eidgenossen¬
schaft als, feste verfassungsmäßige Norm auf, die in keiner Weise verletzt
werden darf. Die Vorbehalte im Interesse der indirecten Abgaben für den
Bund sowie die sanitätspolizeilichen Beschränkungen sind dabei selbstver¬
ständlich. Diese betreffen das Salz- und Pulverregal, die eidgenössischen
Zölle und die vom Bund anerkannten Gebühren, die Consumgebühren auf
Wein und geistige Getränke, Maßregeln gegen Epidemien und Viehseuchen,
Verfügungen der Kantone über Ausübung von Handel und Gewerbe, über
Besteuerung des Gewerbebetriebes, über die Benutzung der Straßen, soweit sie
dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht widersprechen und
soweit die Bürger anderer Kantone den eigenen Kantonsbürgern gleich ge¬
halten werden; endlich bunbesgesetzliche Vorschriften über Erwerbung von
Patenten sür Ausübung wissenschaftlicher Berufsarten, wobei den Kantonen
immerhin vorbehalten bleibt, zu bestimmen, ob für die Ausübung einer sol¬
chen Berufsart der Besitz eines Patents erforderlich sei. -- Mit allem dem
sind die Demokraten ganz einverstanden und freuen sich, darin den vollstän¬
digen Ausdruck des ersten Artikels ihres sogenannten Berner Programms zu
finden. Nur eine Fraction derselben in Zürich und Thurgau vermißt darin
die Aushebung der kantonalen Consumgebühren auf Wein und geistige Ge¬
tränke, sür welche sie in jüngster Zeit eine Agitation begonnen hatten, die
wohl nicht so bald zur Ruhe kommen wird. Die Frage bleibt aber immer:
womit denn diese bisher zur materiellen Existenz der Kantone durchaus noth¬
wendigen Einkünfte ersetzen? -- Auch die Liberalen sind mit den hier gebo¬
tenen Reformen im Allgemeinen einverstanden. Namentlich wird anerkannt,
daß endlich einmal der Grundsatz der freien Arbeit, der sich bisher nur mit
Ketten an allen Gliedern gegenüber der hergebrachten Gebundenheit an die
Scholle der Kantone oder der Gemeinden sehen lassen durfte, offen und frei
als ein Grundpfeiler unserer bürgerlichen Freiheit proclamirt werde.

Nach dem abgeänderten Art. 41 sollen ferner bezüglich des freien
Zugs rechts, wo bisher der um das Niederlassungsrecht Nachsuchende nebst
dem Heimathsschein und dem bürgerlichen Ehrenfähigkeitszeugniß noch ein
Sittenzeugniß und den Ausweis beibringen mußte, daß er sich und seine Fa¬
milie zu ernähren im Stande sei, künftig die beiden letzten Erfordernisse weg¬
fallen und damit auch der Arme, der oft desselben am meisten bedürftig,
freies Zugsrecht empfangen, freilich nur so lange er Niemandem zur Last
fällt. "Der Bund gewährleistet allen Schweizern das Recht der freien Nieder,
lassung im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft" und der niedergelassene
genießt alle Rechte der Bürger des Kantons, in welchem er niedergelassen
ist, mit Ausnahme des Mitantheils an Gemeinde- und Corporationsgütern.
In Betreff des Stimmrechts in Gemeindeangelegenheiten ist er dem nieder-


freier Berufs- und Gewerbeausübung im ganzen Gebiete der Eidgenossen¬
schaft als, feste verfassungsmäßige Norm auf, die in keiner Weise verletzt
werden darf. Die Vorbehalte im Interesse der indirecten Abgaben für den
Bund sowie die sanitätspolizeilichen Beschränkungen sind dabei selbstver¬
ständlich. Diese betreffen das Salz- und Pulverregal, die eidgenössischen
Zölle und die vom Bund anerkannten Gebühren, die Consumgebühren auf
Wein und geistige Getränke, Maßregeln gegen Epidemien und Viehseuchen,
Verfügungen der Kantone über Ausübung von Handel und Gewerbe, über
Besteuerung des Gewerbebetriebes, über die Benutzung der Straßen, soweit sie
dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht widersprechen und
soweit die Bürger anderer Kantone den eigenen Kantonsbürgern gleich ge¬
halten werden; endlich bunbesgesetzliche Vorschriften über Erwerbung von
Patenten sür Ausübung wissenschaftlicher Berufsarten, wobei den Kantonen
immerhin vorbehalten bleibt, zu bestimmen, ob für die Ausübung einer sol¬
chen Berufsart der Besitz eines Patents erforderlich sei. — Mit allem dem
sind die Demokraten ganz einverstanden und freuen sich, darin den vollstän¬
digen Ausdruck des ersten Artikels ihres sogenannten Berner Programms zu
finden. Nur eine Fraction derselben in Zürich und Thurgau vermißt darin
die Aushebung der kantonalen Consumgebühren auf Wein und geistige Ge¬
tränke, sür welche sie in jüngster Zeit eine Agitation begonnen hatten, die
wohl nicht so bald zur Ruhe kommen wird. Die Frage bleibt aber immer:
womit denn diese bisher zur materiellen Existenz der Kantone durchaus noth¬
wendigen Einkünfte ersetzen? — Auch die Liberalen sind mit den hier gebo¬
tenen Reformen im Allgemeinen einverstanden. Namentlich wird anerkannt,
daß endlich einmal der Grundsatz der freien Arbeit, der sich bisher nur mit
Ketten an allen Gliedern gegenüber der hergebrachten Gebundenheit an die
Scholle der Kantone oder der Gemeinden sehen lassen durfte, offen und frei
als ein Grundpfeiler unserer bürgerlichen Freiheit proclamirt werde.

Nach dem abgeänderten Art. 41 sollen ferner bezüglich des freien
Zugs rechts, wo bisher der um das Niederlassungsrecht Nachsuchende nebst
dem Heimathsschein und dem bürgerlichen Ehrenfähigkeitszeugniß noch ein
Sittenzeugniß und den Ausweis beibringen mußte, daß er sich und seine Fa¬
milie zu ernähren im Stande sei, künftig die beiden letzten Erfordernisse weg¬
fallen und damit auch der Arme, der oft desselben am meisten bedürftig,
freies Zugsrecht empfangen, freilich nur so lange er Niemandem zur Last
fällt. „Der Bund gewährleistet allen Schweizern das Recht der freien Nieder,
lassung im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft" und der niedergelassene
genießt alle Rechte der Bürger des Kantons, in welchem er niedergelassen
ist, mit Ausnahme des Mitantheils an Gemeinde- und Corporationsgütern.
In Betreff des Stimmrechts in Gemeindeangelegenheiten ist er dem nieder-


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[0098] freier Berufs- und Gewerbeausübung im ganzen Gebiete der Eidgenossen¬ schaft als, feste verfassungsmäßige Norm auf, die in keiner Weise verletzt werden darf. Die Vorbehalte im Interesse der indirecten Abgaben für den Bund sowie die sanitätspolizeilichen Beschränkungen sind dabei selbstver¬ ständlich. Diese betreffen das Salz- und Pulverregal, die eidgenössischen Zölle und die vom Bund anerkannten Gebühren, die Consumgebühren auf Wein und geistige Getränke, Maßregeln gegen Epidemien und Viehseuchen, Verfügungen der Kantone über Ausübung von Handel und Gewerbe, über Besteuerung des Gewerbebetriebes, über die Benutzung der Straßen, soweit sie dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht widersprechen und soweit die Bürger anderer Kantone den eigenen Kantonsbürgern gleich ge¬ halten werden; endlich bunbesgesetzliche Vorschriften über Erwerbung von Patenten sür Ausübung wissenschaftlicher Berufsarten, wobei den Kantonen immerhin vorbehalten bleibt, zu bestimmen, ob für die Ausübung einer sol¬ chen Berufsart der Besitz eines Patents erforderlich sei. — Mit allem dem sind die Demokraten ganz einverstanden und freuen sich, darin den vollstän¬ digen Ausdruck des ersten Artikels ihres sogenannten Berner Programms zu finden. Nur eine Fraction derselben in Zürich und Thurgau vermißt darin die Aushebung der kantonalen Consumgebühren auf Wein und geistige Ge¬ tränke, sür welche sie in jüngster Zeit eine Agitation begonnen hatten, die wohl nicht so bald zur Ruhe kommen wird. Die Frage bleibt aber immer: womit denn diese bisher zur materiellen Existenz der Kantone durchaus noth¬ wendigen Einkünfte ersetzen? — Auch die Liberalen sind mit den hier gebo¬ tenen Reformen im Allgemeinen einverstanden. Namentlich wird anerkannt, daß endlich einmal der Grundsatz der freien Arbeit, der sich bisher nur mit Ketten an allen Gliedern gegenüber der hergebrachten Gebundenheit an die Scholle der Kantone oder der Gemeinden sehen lassen durfte, offen und frei als ein Grundpfeiler unserer bürgerlichen Freiheit proclamirt werde. Nach dem abgeänderten Art. 41 sollen ferner bezüglich des freien Zugs rechts, wo bisher der um das Niederlassungsrecht Nachsuchende nebst dem Heimathsschein und dem bürgerlichen Ehrenfähigkeitszeugniß noch ein Sittenzeugniß und den Ausweis beibringen mußte, daß er sich und seine Fa¬ milie zu ernähren im Stande sei, künftig die beiden letzten Erfordernisse weg¬ fallen und damit auch der Arme, der oft desselben am meisten bedürftig, freies Zugsrecht empfangen, freilich nur so lange er Niemandem zur Last fällt. „Der Bund gewährleistet allen Schweizern das Recht der freien Nieder, lassung im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft" und der niedergelassene genießt alle Rechte der Bürger des Kantons, in welchem er niedergelassen ist, mit Ausnahme des Mitantheils an Gemeinde- und Corporationsgütern. In Betreff des Stimmrechts in Gemeindeangelegenheiten ist er dem nieder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/98>, abgerufen am 17.06.2024.