Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Bildung, Civilisation und Freiheit ist, welche die Garibaldi'schen Freischaaren
beseelt, wenn deren Offiziere sich schriftlich zu der Drohung bekennen, unsern
Gefangenen Ohren und Nase abzuschneiden, sobald die Unsern sich in den
nächsten Dörfern der lauernden Freischützen zu erwehren Miene machen
würden.

Die Regierung der Nationalvertheidigung in Frankreich würde wohl selbst
von diesen Ereignissen und Thatsachen sich nicht erheblich berührt fühlen,
wenn nicht gerade jetzt -- ihr das Geld ausgegangen wäre. Die Hoffnung, die
leeren Kassen wieder gefüllt zu sehen, ist so leer wie diese selbst. Die Privat¬
wechsler und Banken weigern sich, das neue Papiergeld zu nehmen, die Liefe¬
ranten nicht minder; die Bank von Frankreich selbst ist mit ihrer Nachgiebig¬
keit am Ende. Es fehlt nur der eine Schritt noch, daß man das Heer
beauftragt, sich das nöthige Geld bei seinen Schützlingen selbst einzutreiben.

In dieser Lage soll Frankreich bei der Pontus-Conferenz in London er¬
scheinen! Das macht die Niederlagen der letzten Tage, die Verwilderung
des Heeres, die Unbotmäßigkeit der Generalräthe, die Geldnoth, den gegen¬
wärtigen Machthabern Frankreichs doppelt fühlbar. Man hoffte doch mit
einem kleinen Sieg, mit dem Prestige eines civilisirten Heldenvolkes, mit klingen¬
den Taschen dort auftreten zu können. Von der neutralen europäischen Diplo¬
matie durfte eine weise, wenn auch unglücklche französische Regierung für Frank¬
reich ernste Fürsprache und Vermittelung zu billigem Frieden "erhoffen. Jetzt
werden die Diplomaten Europas, wenn sie auch das vernichtende Urtheil zurück¬
halten, das die Geschichte einst über das gewissenlose Treiben der Männer von
Paris und Bordeaux fällen wird, im besten Falle einig sein in dem Rathe
zu sofortiger Unterwerfung nach den Bedingungen des Siegers.

Doch vielleicht eilen die Ereignisse auch diesem Rathe voraus. Mit dem
Fall von Paris wird aller Wahrscheinlichkeit nach das Verlangen nach Frie¬
den in Frankreich unwiderstehlich werden. Und dieser Tag steht nahe bevor.
Vergeblich wird sich der Pariser am nächsten 13. März nach den Frühkasta¬
nien im Luxembourger Garten umsehen, die stets an diesem Tage zu blühen
begannen. Ja, wer weiß, ob dann das Palais Luxembourg noch steht? Keine
Stunde des Tages und der Nacht, Werktags und Sonntags, ist der Pariser mehr
sicher vor deutschen Granaten und Brandkugeln. Neben zahllosen Privathäusern,
die in Brand aufgehen, nennen schon jetzt Pariser Berichte eine Reihe berühmter
öffentlicher Gebäude, die von unsern Geschossen erreicht wurden, und eingestürzte
Brücken. Eine namenlose Bestürzung hat die Bevölkerung ergriffen, der man so
lange die Unerreichbarkeit der heiligen Stadt vorgeschwindelt hat. Die Re¬
gierung hilft sich mit dem testimonium xg.uxsrtatis jedes ohnmächtigen Prä¬
tendenten, dem Protest. Das ist ihre einzige Waffe. Denn auf den ehernen
Gürtel der Forts darf sie nicht länger bauen. Er riß unverbesserlich bei dem


Bildung, Civilisation und Freiheit ist, welche die Garibaldi'schen Freischaaren
beseelt, wenn deren Offiziere sich schriftlich zu der Drohung bekennen, unsern
Gefangenen Ohren und Nase abzuschneiden, sobald die Unsern sich in den
nächsten Dörfern der lauernden Freischützen zu erwehren Miene machen
würden.

Die Regierung der Nationalvertheidigung in Frankreich würde wohl selbst
von diesen Ereignissen und Thatsachen sich nicht erheblich berührt fühlen,
wenn nicht gerade jetzt — ihr das Geld ausgegangen wäre. Die Hoffnung, die
leeren Kassen wieder gefüllt zu sehen, ist so leer wie diese selbst. Die Privat¬
wechsler und Banken weigern sich, das neue Papiergeld zu nehmen, die Liefe¬
ranten nicht minder; die Bank von Frankreich selbst ist mit ihrer Nachgiebig¬
keit am Ende. Es fehlt nur der eine Schritt noch, daß man das Heer
beauftragt, sich das nöthige Geld bei seinen Schützlingen selbst einzutreiben.

In dieser Lage soll Frankreich bei der Pontus-Conferenz in London er¬
scheinen! Das macht die Niederlagen der letzten Tage, die Verwilderung
des Heeres, die Unbotmäßigkeit der Generalräthe, die Geldnoth, den gegen¬
wärtigen Machthabern Frankreichs doppelt fühlbar. Man hoffte doch mit
einem kleinen Sieg, mit dem Prestige eines civilisirten Heldenvolkes, mit klingen¬
den Taschen dort auftreten zu können. Von der neutralen europäischen Diplo¬
matie durfte eine weise, wenn auch unglücklche französische Regierung für Frank¬
reich ernste Fürsprache und Vermittelung zu billigem Frieden «erhoffen. Jetzt
werden die Diplomaten Europas, wenn sie auch das vernichtende Urtheil zurück¬
halten, das die Geschichte einst über das gewissenlose Treiben der Männer von
Paris und Bordeaux fällen wird, im besten Falle einig sein in dem Rathe
zu sofortiger Unterwerfung nach den Bedingungen des Siegers.

Doch vielleicht eilen die Ereignisse auch diesem Rathe voraus. Mit dem
Fall von Paris wird aller Wahrscheinlichkeit nach das Verlangen nach Frie¬
den in Frankreich unwiderstehlich werden. Und dieser Tag steht nahe bevor.
Vergeblich wird sich der Pariser am nächsten 13. März nach den Frühkasta¬
nien im Luxembourger Garten umsehen, die stets an diesem Tage zu blühen
begannen. Ja, wer weiß, ob dann das Palais Luxembourg noch steht? Keine
Stunde des Tages und der Nacht, Werktags und Sonntags, ist der Pariser mehr
sicher vor deutschen Granaten und Brandkugeln. Neben zahllosen Privathäusern,
die in Brand aufgehen, nennen schon jetzt Pariser Berichte eine Reihe berühmter
öffentlicher Gebäude, die von unsern Geschossen erreicht wurden, und eingestürzte
Brücken. Eine namenlose Bestürzung hat die Bevölkerung ergriffen, der man so
lange die Unerreichbarkeit der heiligen Stadt vorgeschwindelt hat. Die Re¬
gierung hilft sich mit dem testimonium xg.uxsrtatis jedes ohnmächtigen Prä¬
tendenten, dem Protest. Das ist ihre einzige Waffe. Denn auf den ehernen
Gürtel der Forts darf sie nicht länger bauen. Er riß unverbesserlich bei dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0162" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125406"/>
          <p xml:id="ID_578" prev="#ID_577"> Bildung, Civilisation und Freiheit ist, welche die Garibaldi'schen Freischaaren<lb/>
beseelt, wenn deren Offiziere sich schriftlich zu der Drohung bekennen, unsern<lb/>
Gefangenen Ohren und Nase abzuschneiden, sobald die Unsern sich in den<lb/>
nächsten Dörfern der lauernden Freischützen zu erwehren Miene machen<lb/>
würden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_579"> Die Regierung der Nationalvertheidigung in Frankreich würde wohl selbst<lb/>
von diesen Ereignissen und Thatsachen sich nicht erheblich berührt fühlen,<lb/>
wenn nicht gerade jetzt &#x2014; ihr das Geld ausgegangen wäre. Die Hoffnung, die<lb/>
leeren Kassen wieder gefüllt zu sehen, ist so leer wie diese selbst. Die Privat¬<lb/>
wechsler und Banken weigern sich, das neue Papiergeld zu nehmen, die Liefe¬<lb/>
ranten nicht minder; die Bank von Frankreich selbst ist mit ihrer Nachgiebig¬<lb/>
keit am Ende. Es fehlt nur der eine Schritt noch, daß man das Heer<lb/>
beauftragt, sich das nöthige Geld bei seinen Schützlingen selbst einzutreiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_580"> In dieser Lage soll Frankreich bei der Pontus-Conferenz in London er¬<lb/>
scheinen! Das macht die Niederlagen der letzten Tage, die Verwilderung<lb/>
des Heeres, die Unbotmäßigkeit der Generalräthe, die Geldnoth, den gegen¬<lb/>
wärtigen Machthabern Frankreichs doppelt fühlbar. Man hoffte doch mit<lb/>
einem kleinen Sieg, mit dem Prestige eines civilisirten Heldenvolkes, mit klingen¬<lb/>
den Taschen dort auftreten zu können. Von der neutralen europäischen Diplo¬<lb/>
matie durfte eine weise, wenn auch unglücklche französische Regierung für Frank¬<lb/>
reich ernste Fürsprache und Vermittelung zu billigem Frieden «erhoffen. Jetzt<lb/>
werden die Diplomaten Europas, wenn sie auch das vernichtende Urtheil zurück¬<lb/>
halten, das die Geschichte einst über das gewissenlose Treiben der Männer von<lb/>
Paris und Bordeaux fällen wird, im besten Falle einig sein in dem Rathe<lb/>
zu sofortiger Unterwerfung nach den Bedingungen des Siegers.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_581" next="#ID_582"> Doch vielleicht eilen die Ereignisse auch diesem Rathe voraus. Mit dem<lb/>
Fall von Paris wird aller Wahrscheinlichkeit nach das Verlangen nach Frie¬<lb/>
den in Frankreich unwiderstehlich werden. Und dieser Tag steht nahe bevor.<lb/>
Vergeblich wird sich der Pariser am nächsten 13. März nach den Frühkasta¬<lb/>
nien im Luxembourger Garten umsehen, die stets an diesem Tage zu blühen<lb/>
begannen. Ja, wer weiß, ob dann das Palais Luxembourg noch steht? Keine<lb/>
Stunde des Tages und der Nacht, Werktags und Sonntags, ist der Pariser mehr<lb/>
sicher vor deutschen Granaten und Brandkugeln. Neben zahllosen Privathäusern,<lb/>
die in Brand aufgehen, nennen schon jetzt Pariser Berichte eine Reihe berühmter<lb/>
öffentlicher Gebäude, die von unsern Geschossen erreicht wurden, und eingestürzte<lb/>
Brücken. Eine namenlose Bestürzung hat die Bevölkerung ergriffen, der man so<lb/>
lange die Unerreichbarkeit der heiligen Stadt vorgeschwindelt hat. Die Re¬<lb/>
gierung hilft sich mit dem testimonium xg.uxsrtatis jedes ohnmächtigen Prä¬<lb/>
tendenten, dem Protest. Das ist ihre einzige Waffe. Denn auf den ehernen<lb/>
Gürtel der Forts darf sie nicht länger bauen. Er riß unverbesserlich bei dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0162] Bildung, Civilisation und Freiheit ist, welche die Garibaldi'schen Freischaaren beseelt, wenn deren Offiziere sich schriftlich zu der Drohung bekennen, unsern Gefangenen Ohren und Nase abzuschneiden, sobald die Unsern sich in den nächsten Dörfern der lauernden Freischützen zu erwehren Miene machen würden. Die Regierung der Nationalvertheidigung in Frankreich würde wohl selbst von diesen Ereignissen und Thatsachen sich nicht erheblich berührt fühlen, wenn nicht gerade jetzt — ihr das Geld ausgegangen wäre. Die Hoffnung, die leeren Kassen wieder gefüllt zu sehen, ist so leer wie diese selbst. Die Privat¬ wechsler und Banken weigern sich, das neue Papiergeld zu nehmen, die Liefe¬ ranten nicht minder; die Bank von Frankreich selbst ist mit ihrer Nachgiebig¬ keit am Ende. Es fehlt nur der eine Schritt noch, daß man das Heer beauftragt, sich das nöthige Geld bei seinen Schützlingen selbst einzutreiben. In dieser Lage soll Frankreich bei der Pontus-Conferenz in London er¬ scheinen! Das macht die Niederlagen der letzten Tage, die Verwilderung des Heeres, die Unbotmäßigkeit der Generalräthe, die Geldnoth, den gegen¬ wärtigen Machthabern Frankreichs doppelt fühlbar. Man hoffte doch mit einem kleinen Sieg, mit dem Prestige eines civilisirten Heldenvolkes, mit klingen¬ den Taschen dort auftreten zu können. Von der neutralen europäischen Diplo¬ matie durfte eine weise, wenn auch unglücklche französische Regierung für Frank¬ reich ernste Fürsprache und Vermittelung zu billigem Frieden «erhoffen. Jetzt werden die Diplomaten Europas, wenn sie auch das vernichtende Urtheil zurück¬ halten, das die Geschichte einst über das gewissenlose Treiben der Männer von Paris und Bordeaux fällen wird, im besten Falle einig sein in dem Rathe zu sofortiger Unterwerfung nach den Bedingungen des Siegers. Doch vielleicht eilen die Ereignisse auch diesem Rathe voraus. Mit dem Fall von Paris wird aller Wahrscheinlichkeit nach das Verlangen nach Frie¬ den in Frankreich unwiderstehlich werden. Und dieser Tag steht nahe bevor. Vergeblich wird sich der Pariser am nächsten 13. März nach den Frühkasta¬ nien im Luxembourger Garten umsehen, die stets an diesem Tage zu blühen begannen. Ja, wer weiß, ob dann das Palais Luxembourg noch steht? Keine Stunde des Tages und der Nacht, Werktags und Sonntags, ist der Pariser mehr sicher vor deutschen Granaten und Brandkugeln. Neben zahllosen Privathäusern, die in Brand aufgehen, nennen schon jetzt Pariser Berichte eine Reihe berühmter öffentlicher Gebäude, die von unsern Geschossen erreicht wurden, und eingestürzte Brücken. Eine namenlose Bestürzung hat die Bevölkerung ergriffen, der man so lange die Unerreichbarkeit der heiligen Stadt vorgeschwindelt hat. Die Re¬ gierung hilft sich mit dem testimonium xg.uxsrtatis jedes ohnmächtigen Prä¬ tendenten, dem Protest. Das ist ihre einzige Waffe. Denn auf den ehernen Gürtel der Forts darf sie nicht länger bauen. Er riß unverbesserlich bei dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/162
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/162>, abgerufen am 18.06.2024.