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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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errungenen Früchte des Sieges bei Ligny bringen. Denn plötzlich war daS
geschlagene Preußenheer so gut wie verschwunden; man hatte jede Spur von
ihm verloren. Es war plötzlich an einer ganz anderen Stelle, als wo man
es vermuthete und das veranlaßte wesentlich die Niederlage des großen
Schlachtenmeisters bei La Belle Alliance. Man hätte nur ein Paar
Neiterabtheilungen dem abziehenden Heere Blücher's nachzusenden gebraucht
und man wußte sicher, wo er mit seiner Armee hingekommen war. Daran
dachte man aber nicht. --

So war es immer und so war es auch jetzt. In einem Aufsatze der
"France", ist unter Anderem gesagt: "Unsere Niederlagen müssen wohl weniger
unserer numerischen Schwäche, als dem Mangel an Gehorsam und der
Nachlässigkeit unserer Truppen zugeschrieben werden. Immer sind wir über¬
rascht worden und wenn dies zufällig nicht den Generalen zur Last gelegt
werden konnte, dann müßte man die Ursache davon im Vergessen der Vor¬
sichtsmaßregeln suchen, welche die Truppen im Felde stets nehmen müssen,
ohne daß es dazu besonderer Befehle bedarf. Aber den Vorposten war es
langweilig zu wachen; die Schenken waren mit Soldaten überfüllt, Schlaf
oder Spiel überall, Wachsamkeit nirgends. Der Contrast mit den preußi¬
schen Truppen war herzzerreißend." --

Eine große Täuschung trat auch bei den Schußwaffen zu Tage. Man
hatte keine Idee von der Wirkung der deutschen Artillerie. Es ist das um
so staunenswerther, als der Kaiser vorzugsweise dieser Specialwaffe von je¬
her seine vollste Aufmerksamkeit schenkte, in der er sich als Autorität wähnte,
denn er hatte darin viel experimentirt, und auch darüber geschrieben. Auch
da war man hinter der deutschen Rührigkeit und den mancherlei Neuerungen
zurückgeblieben. So hielt man in Frankreich bei den Hohlgeschossen noch an
dem veralteten Zeitzünder fest, auf dem keinerlei sicherer Verlaß war. Wohl
wirkten die Mitrailleusen, die neuerfundenen Höllenmaschinen, aber auch nicht
in der Weise, wie man sicher erwartet hatte. Und nun vollends das Chasse-
potgewehr, von dem man sich Wunder versprochen hatte, das allen krussieus
den Garaus machen sollte. Es ist unläugbar ein treffliches Gewehr und
hat vor der Zündnadel Manches voraus; aber zum Gewehr gehört auch ein
Schütze und zwar ein um so besserer, je mehr Ansprüche man an das Ge¬
wehr macht. Aber der Franzose war nie ein guter und ruhiger Schütze und
wird auch nie, so lange das Blut so stürmisch in seinen Adern wallt, einer
werden. Das schnellfeuernde Chassepot war mehr zu seinem Unheil als zu
seinem Frommen, er verlor mit dem Vertrauen zu diesem sein eigenes und
kam dabei ganz von seiner früheren Gefechtsweise ab. Ehedem hielt er sich
nie lange beim Schießen auf, sein Hauptstreben war, dem Gegner so bald
als möglich mit dem Bajonet zu Leibe zu gehen, also die Offensive zu er-


errungenen Früchte des Sieges bei Ligny bringen. Denn plötzlich war daS
geschlagene Preußenheer so gut wie verschwunden; man hatte jede Spur von
ihm verloren. Es war plötzlich an einer ganz anderen Stelle, als wo man
es vermuthete und das veranlaßte wesentlich die Niederlage des großen
Schlachtenmeisters bei La Belle Alliance. Man hätte nur ein Paar
Neiterabtheilungen dem abziehenden Heere Blücher's nachzusenden gebraucht
und man wußte sicher, wo er mit seiner Armee hingekommen war. Daran
dachte man aber nicht. —

So war es immer und so war es auch jetzt. In einem Aufsatze der
„France", ist unter Anderem gesagt: „Unsere Niederlagen müssen wohl weniger
unserer numerischen Schwäche, als dem Mangel an Gehorsam und der
Nachlässigkeit unserer Truppen zugeschrieben werden. Immer sind wir über¬
rascht worden und wenn dies zufällig nicht den Generalen zur Last gelegt
werden konnte, dann müßte man die Ursache davon im Vergessen der Vor¬
sichtsmaßregeln suchen, welche die Truppen im Felde stets nehmen müssen,
ohne daß es dazu besonderer Befehle bedarf. Aber den Vorposten war es
langweilig zu wachen; die Schenken waren mit Soldaten überfüllt, Schlaf
oder Spiel überall, Wachsamkeit nirgends. Der Contrast mit den preußi¬
schen Truppen war herzzerreißend." —

Eine große Täuschung trat auch bei den Schußwaffen zu Tage. Man
hatte keine Idee von der Wirkung der deutschen Artillerie. Es ist das um
so staunenswerther, als der Kaiser vorzugsweise dieser Specialwaffe von je¬
her seine vollste Aufmerksamkeit schenkte, in der er sich als Autorität wähnte,
denn er hatte darin viel experimentirt, und auch darüber geschrieben. Auch
da war man hinter der deutschen Rührigkeit und den mancherlei Neuerungen
zurückgeblieben. So hielt man in Frankreich bei den Hohlgeschossen noch an
dem veralteten Zeitzünder fest, auf dem keinerlei sicherer Verlaß war. Wohl
wirkten die Mitrailleusen, die neuerfundenen Höllenmaschinen, aber auch nicht
in der Weise, wie man sicher erwartet hatte. Und nun vollends das Chasse-
potgewehr, von dem man sich Wunder versprochen hatte, das allen krussieus
den Garaus machen sollte. Es ist unläugbar ein treffliches Gewehr und
hat vor der Zündnadel Manches voraus; aber zum Gewehr gehört auch ein
Schütze und zwar ein um so besserer, je mehr Ansprüche man an das Ge¬
wehr macht. Aber der Franzose war nie ein guter und ruhiger Schütze und
wird auch nie, so lange das Blut so stürmisch in seinen Adern wallt, einer
werden. Das schnellfeuernde Chassepot war mehr zu seinem Unheil als zu
seinem Frommen, er verlor mit dem Vertrauen zu diesem sein eigenes und
kam dabei ganz von seiner früheren Gefechtsweise ab. Ehedem hielt er sich
nie lange beim Schießen auf, sein Hauptstreben war, dem Gegner so bald
als möglich mit dem Bajonet zu Leibe zu gehen, also die Offensive zu er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/187>, abgerufen am 17.06.2024.