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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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greifen. In diesem Kriege verläugnete er ganz seine frühere Kampfweise, man
kann sagen sein Naturell; denn er suchte vor Allem im freien Feld Deckungen,
grub sich zwei- bis dreifach hintereinander gelegene Schützengräben, feuerte
Wie besessen schon auf 1600 bis auf 2000 Schritte und knallte fort und fort,
bis der Gegner an ihm heran war und ihn aus feiner uneinnehmbar ge¬
währten Stellung herauftrieb. So lag er jetzt Stunden lang im Feuer,
machte nur selten einen Vorstoß und vergeudete dabei nutzlos eine Unsumme
kostbarer Munition. Dabei waren die meisten so erregt, daß alles Zielen,
die Hauptsache, aufhörte, man das Gewehr gar nicht mehr an die Backe
brachte. Man hielt dabei nicht immer der Mühe werth, heruntergefallene
und in der Hitze weggeworfene Patronen aufzuheben. So war denn der
Franzose mit einem Male in die Defensive hineingekommen, er wußte selbst
nicht wie. --

Der französische Soldat geht mit Muth und Todesverachtung dem Feind
entgegen, er zählt ihn nicht, er wiederholt auch feine Attaken mehrere Male,
wenn sie abgeschlagen wurden; wird er aber gründlich geworfen, dann wan¬
delt sich seine Kampflust in förmliche Niedergeschlagenheit um und leicht
wird er dann von einer I'aniizue erfaßt, die ihn aller Sinne förmlich beraubt.
Dem munteren: en avantl folgt dann zu leicht und plötzlich das verhängniß-
volle: Lauve yui xout! und nichts ist vermögend, ihn in seinem Laufen zu
halten, er hört weder auf den Zuruf feiner Vorgesetzten noch seiner Kamera¬
den. Ist der böse Geist wieder von ihm gewichen, so ist er auch wieder der
alte Tapfere. Wir finden dergleichen Beispiele in allen Feldzügen, wo es
hie und da dem Franzosen übel ging und so auch in diesem Kriege. Die
Niederlage bei Wörth bot ein Seitenstück zu Roßbach. Das ist ein an¬
derer unvertilgbarer Zug im französischen Nationalcharakter. Der Franzose
von heute hat ihn von seinen Vorvätern, den alten Galliern, ererbt, denn
von diesen that schon der römische Feldherr, Julius Cäsar, der so langwie¬
rige Kriege gegen sie führte, in gleicher Weise Erwähnung. ,

Wie sich beim Franzosen so vielfach die Gegensätze berühren, so findet
man neben der staunenswerthesten Leichtgläubigkeit zugleich auch das einge¬
wurzeltste Mißtrauen, und gerade da, wo es am wenigsten am Platze ist --
gegen seine Vorgesetzten. Geht etwas schief, wenn auch durch sein eignes
Verschulden oder ungünstige Conjuncturen, so schiebt er das Alles seinen
Vorgesetzten in die Schuhe. Gleich ist er mit Vorwürfen, mit Ungehorsam
da und schreit gar über Verrath. Das war namentlich der Fall beim Revolutions¬
heere in den traurigen Jahren, wo in einer Stunde der tüchtigste, erprob¬
teste und bisher bei den Truppen beliebteste General alles Vertrauen, selbst
Leben und Ehre verlieren konnte. Nicht selten fielen Helden, die in man¬
cherlei Schlachten Zeugniß ihrer Bravour abgelegt hatten, durch ihre eigenen


greifen. In diesem Kriege verläugnete er ganz seine frühere Kampfweise, man
kann sagen sein Naturell; denn er suchte vor Allem im freien Feld Deckungen,
grub sich zwei- bis dreifach hintereinander gelegene Schützengräben, feuerte
Wie besessen schon auf 1600 bis auf 2000 Schritte und knallte fort und fort,
bis der Gegner an ihm heran war und ihn aus feiner uneinnehmbar ge¬
währten Stellung herauftrieb. So lag er jetzt Stunden lang im Feuer,
machte nur selten einen Vorstoß und vergeudete dabei nutzlos eine Unsumme
kostbarer Munition. Dabei waren die meisten so erregt, daß alles Zielen,
die Hauptsache, aufhörte, man das Gewehr gar nicht mehr an die Backe
brachte. Man hielt dabei nicht immer der Mühe werth, heruntergefallene
und in der Hitze weggeworfene Patronen aufzuheben. So war denn der
Franzose mit einem Male in die Defensive hineingekommen, er wußte selbst
nicht wie. —

Der französische Soldat geht mit Muth und Todesverachtung dem Feind
entgegen, er zählt ihn nicht, er wiederholt auch feine Attaken mehrere Male,
wenn sie abgeschlagen wurden; wird er aber gründlich geworfen, dann wan¬
delt sich seine Kampflust in förmliche Niedergeschlagenheit um und leicht
wird er dann von einer I'aniizue erfaßt, die ihn aller Sinne förmlich beraubt.
Dem munteren: en avantl folgt dann zu leicht und plötzlich das verhängniß-
volle: Lauve yui xout! und nichts ist vermögend, ihn in seinem Laufen zu
halten, er hört weder auf den Zuruf feiner Vorgesetzten noch seiner Kamera¬
den. Ist der böse Geist wieder von ihm gewichen, so ist er auch wieder der
alte Tapfere. Wir finden dergleichen Beispiele in allen Feldzügen, wo es
hie und da dem Franzosen übel ging und so auch in diesem Kriege. Die
Niederlage bei Wörth bot ein Seitenstück zu Roßbach. Das ist ein an¬
derer unvertilgbarer Zug im französischen Nationalcharakter. Der Franzose
von heute hat ihn von seinen Vorvätern, den alten Galliern, ererbt, denn
von diesen that schon der römische Feldherr, Julius Cäsar, der so langwie¬
rige Kriege gegen sie führte, in gleicher Weise Erwähnung. ,

Wie sich beim Franzosen so vielfach die Gegensätze berühren, so findet
man neben der staunenswerthesten Leichtgläubigkeit zugleich auch das einge¬
wurzeltste Mißtrauen, und gerade da, wo es am wenigsten am Platze ist —
gegen seine Vorgesetzten. Geht etwas schief, wenn auch durch sein eignes
Verschulden oder ungünstige Conjuncturen, so schiebt er das Alles seinen
Vorgesetzten in die Schuhe. Gleich ist er mit Vorwürfen, mit Ungehorsam
da und schreit gar über Verrath. Das war namentlich der Fall beim Revolutions¬
heere in den traurigen Jahren, wo in einer Stunde der tüchtigste, erprob¬
teste und bisher bei den Truppen beliebteste General alles Vertrauen, selbst
Leben und Ehre verlieren konnte. Nicht selten fielen Helden, die in man¬
cherlei Schlachten Zeugniß ihrer Bravour abgelegt hatten, durch ihre eigenen


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[0188] greifen. In diesem Kriege verläugnete er ganz seine frühere Kampfweise, man kann sagen sein Naturell; denn er suchte vor Allem im freien Feld Deckungen, grub sich zwei- bis dreifach hintereinander gelegene Schützengräben, feuerte Wie besessen schon auf 1600 bis auf 2000 Schritte und knallte fort und fort, bis der Gegner an ihm heran war und ihn aus feiner uneinnehmbar ge¬ währten Stellung herauftrieb. So lag er jetzt Stunden lang im Feuer, machte nur selten einen Vorstoß und vergeudete dabei nutzlos eine Unsumme kostbarer Munition. Dabei waren die meisten so erregt, daß alles Zielen, die Hauptsache, aufhörte, man das Gewehr gar nicht mehr an die Backe brachte. Man hielt dabei nicht immer der Mühe werth, heruntergefallene und in der Hitze weggeworfene Patronen aufzuheben. So war denn der Franzose mit einem Male in die Defensive hineingekommen, er wußte selbst nicht wie. — Der französische Soldat geht mit Muth und Todesverachtung dem Feind entgegen, er zählt ihn nicht, er wiederholt auch feine Attaken mehrere Male, wenn sie abgeschlagen wurden; wird er aber gründlich geworfen, dann wan¬ delt sich seine Kampflust in förmliche Niedergeschlagenheit um und leicht wird er dann von einer I'aniizue erfaßt, die ihn aller Sinne förmlich beraubt. Dem munteren: en avantl folgt dann zu leicht und plötzlich das verhängniß- volle: Lauve yui xout! und nichts ist vermögend, ihn in seinem Laufen zu halten, er hört weder auf den Zuruf feiner Vorgesetzten noch seiner Kamera¬ den. Ist der böse Geist wieder von ihm gewichen, so ist er auch wieder der alte Tapfere. Wir finden dergleichen Beispiele in allen Feldzügen, wo es hie und da dem Franzosen übel ging und so auch in diesem Kriege. Die Niederlage bei Wörth bot ein Seitenstück zu Roßbach. Das ist ein an¬ derer unvertilgbarer Zug im französischen Nationalcharakter. Der Franzose von heute hat ihn von seinen Vorvätern, den alten Galliern, ererbt, denn von diesen that schon der römische Feldherr, Julius Cäsar, der so langwie¬ rige Kriege gegen sie führte, in gleicher Weise Erwähnung. , Wie sich beim Franzosen so vielfach die Gegensätze berühren, so findet man neben der staunenswerthesten Leichtgläubigkeit zugleich auch das einge¬ wurzeltste Mißtrauen, und gerade da, wo es am wenigsten am Platze ist — gegen seine Vorgesetzten. Geht etwas schief, wenn auch durch sein eignes Verschulden oder ungünstige Conjuncturen, so schiebt er das Alles seinen Vorgesetzten in die Schuhe. Gleich ist er mit Vorwürfen, mit Ungehorsam da und schreit gar über Verrath. Das war namentlich der Fall beim Revolutions¬ heere in den traurigen Jahren, wo in einer Stunde der tüchtigste, erprob¬ teste und bisher bei den Truppen beliebteste General alles Vertrauen, selbst Leben und Ehre verlieren konnte. Nicht selten fielen Helden, die in man¬ cherlei Schlachten Zeugniß ihrer Bravour abgelegt hatten, durch ihre eigenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/188>, abgerufen am 18.06.2024.