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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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später gefangen genommenen Franzosen einen der früher an uns gefallenen
Kameraden, so ist gar nichts Seltenes, ihn ein nicht immer gemurmeltes
"I^eKe" von sich geben zu hören, wie denn der Ton unter allen Kategorien,
soviel man ihrer auch sonst machen mag. durchaus kein feiner ist und sehr viel
von der durch deutsche Schriftsteller gerühmten Eleganz vermissen läßt. So
wird ein Hauptverdienst dieses Krieges sein, daß sich die beiden Völker, die
sich einander theils über-, theils unterschätzten, gegenseitig kennen lernen.

Doch gehen wir zu der ersten Classification der Gefangenen, nach ihrer Her¬
kunft, über, so müssen wir im Voraus bemerken, daß wir dabei lediglich den
Verschiedenheiten folgen, welche die französischen Gefangenen unter sich selber con-
statiren. Die Abkömmlinge der einzelnen Departementsgruppen werden nach
dem Grade der Tapferkeit geordnet. Während die Pariser nicht als die
größten Helden betrachtet werden, und auch den Leuten aus den mittleren
Departements (csntre) nur eine mittelmäßige Tauglichkeit zugeschrieben wird,
gibt man allgemein den höchsten Preis der valeui-, des militärischen Werths,
den Grenzbewohnern. Und wessen Lob, meint man wohl, erschallt am lautesten
und durchaus ungetheilt aus den Reihen der französischen Gefangenen aller
Kategorien? Das Lob unserer Sprachgenossen und bald Reichsbrüder, das
Lob der Elsässer und Deutsch-Lothringer! "Niemand ficht so gut", sagte mir
ein alter durchwetterter Sergeantmajor., "als derjenige, der schlecht französisch
spricht, und wer es am schauderhaftesten radebrecht ^ der hat das beste fran¬
zösische Herz und schlägt die beste Klinge; das sind die oonserits 6u Min!"




v Wie anderwärts in Deutschland, hat der nationale Krieg auch im Groß-
herzogthum Hessen auf viele Gegner des nationalen Gedankens heilsam ge¬
wirkt, und eine nicht geringe Zahl derselben ist zu warmen Freunden der
deutschen Einheit geworden. Trotzdem kann man sich hier der Besorgniß
nicht völlig enthebt'ager,. daß nach Beendigung des Krieges die alten Gegen¬
sätze wieder erwachen und sich geltend zu machen versuchen werden, wenn
nicht mit dem alten Regierungsshstem gründlich gebrochen, wenn nicht -- um
deutlicher zu reden -- der Großherzog bewogen wird, das Ministerium des
allgemeinen Mißtrauens mit einem solchen zu vertauschen, welches aufrich¬
tig national gesinnt ist.

Die Haltung des Freiherrn v. Dalwigk in den letzten beiden Jahrzehnten vor
dem Kriege ist bekannt. Die schroffste, weitgehendste Reaction in der innern Re¬
gierung,die preußenfeindlichste Politik in allen Verhältnissen des Großherzogthums
nach außen, bezeichnet das System Dalwigk's von dem Moment an, wo er 18L0 auf¬
hörte, Territorialcommissar in Rheinhessen zu sein, um Ministerpräsident von
Hessen zu werden. Sein erster Schritt war 1850 der Rücktritt vom Dreikönigs-
bündniß, dann am 4. Oct. desselben Jahres die verfassungswidrige Auf¬
hebung der Preßfreiheit durch einfache Ministerialverordnung, die nicht minder
verfassungswidrige Forterhebung der Steuern ohne landständische 'Genehmi¬
gung, die Aufhebung des Vereins- und Versammlungsrechts. Dann folgten
die noch heute den Frieden des unglücklichen Landes schwer gefährdenden heim¬
lichen Unterhandlungen mit dem Bischof von Mainz, die frivole Ausantwor-


später gefangen genommenen Franzosen einen der früher an uns gefallenen
Kameraden, so ist gar nichts Seltenes, ihn ein nicht immer gemurmeltes
„I^eKe" von sich geben zu hören, wie denn der Ton unter allen Kategorien,
soviel man ihrer auch sonst machen mag. durchaus kein feiner ist und sehr viel
von der durch deutsche Schriftsteller gerühmten Eleganz vermissen läßt. So
wird ein Hauptverdienst dieses Krieges sein, daß sich die beiden Völker, die
sich einander theils über-, theils unterschätzten, gegenseitig kennen lernen.

Doch gehen wir zu der ersten Classification der Gefangenen, nach ihrer Her¬
kunft, über, so müssen wir im Voraus bemerken, daß wir dabei lediglich den
Verschiedenheiten folgen, welche die französischen Gefangenen unter sich selber con-
statiren. Die Abkömmlinge der einzelnen Departementsgruppen werden nach
dem Grade der Tapferkeit geordnet. Während die Pariser nicht als die
größten Helden betrachtet werden, und auch den Leuten aus den mittleren
Departements (csntre) nur eine mittelmäßige Tauglichkeit zugeschrieben wird,
gibt man allgemein den höchsten Preis der valeui-, des militärischen Werths,
den Grenzbewohnern. Und wessen Lob, meint man wohl, erschallt am lautesten
und durchaus ungetheilt aus den Reihen der französischen Gefangenen aller
Kategorien? Das Lob unserer Sprachgenossen und bald Reichsbrüder, das
Lob der Elsässer und Deutsch-Lothringer! „Niemand ficht so gut", sagte mir
ein alter durchwetterter Sergeantmajor., „als derjenige, der schlecht französisch
spricht, und wer es am schauderhaftesten radebrecht ^ der hat das beste fran¬
zösische Herz und schlägt die beste Klinge; das sind die oonserits 6u Min!"




v Wie anderwärts in Deutschland, hat der nationale Krieg auch im Groß-
herzogthum Hessen auf viele Gegner des nationalen Gedankens heilsam ge¬
wirkt, und eine nicht geringe Zahl derselben ist zu warmen Freunden der
deutschen Einheit geworden. Trotzdem kann man sich hier der Besorgniß
nicht völlig enthebt'ager,. daß nach Beendigung des Krieges die alten Gegen¬
sätze wieder erwachen und sich geltend zu machen versuchen werden, wenn
nicht mit dem alten Regierungsshstem gründlich gebrochen, wenn nicht — um
deutlicher zu reden — der Großherzog bewogen wird, das Ministerium des
allgemeinen Mißtrauens mit einem solchen zu vertauschen, welches aufrich¬
tig national gesinnt ist.

Die Haltung des Freiherrn v. Dalwigk in den letzten beiden Jahrzehnten vor
dem Kriege ist bekannt. Die schroffste, weitgehendste Reaction in der innern Re¬
gierung,die preußenfeindlichste Politik in allen Verhältnissen des Großherzogthums
nach außen, bezeichnet das System Dalwigk's von dem Moment an, wo er 18L0 auf¬
hörte, Territorialcommissar in Rheinhessen zu sein, um Ministerpräsident von
Hessen zu werden. Sein erster Schritt war 1850 der Rücktritt vom Dreikönigs-
bündniß, dann am 4. Oct. desselben Jahres die verfassungswidrige Auf¬
hebung der Preßfreiheit durch einfache Ministerialverordnung, die nicht minder
verfassungswidrige Forterhebung der Steuern ohne landständische 'Genehmi¬
gung, die Aufhebung des Vereins- und Versammlungsrechts. Dann folgten
die noch heute den Frieden des unglücklichen Landes schwer gefährdenden heim¬
lichen Unterhandlungen mit dem Bischof von Mainz, die frivole Ausantwor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/330>, abgerufen am 16.06.2024.