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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Deutsche Jeldzüge gegen Frankreich.
Bon Max Jähns.
III.

Schon die nächste Zukunft bewies, wie recht der große Kurfürst hatte,
als er dem Frieden von Nymwegen so ernstlich widerstrebte; denn dieser
steigerte den Uebermuth Ludwigs XIV. in's Maßlose. Es schien wie empö¬
render Hohn gegen den Friedensvertrag, daß der französische König in Elsaß
und Lothringen jene berüchtigten Reunionskammern einsetzte, welche unter der
Maske juristischer Autorität ungemessene Annexionen vorbereiteten oder durch¬
führten, und der frechste Schlag in das Antlitz des deutschen Reichs war die
Ueberrumpelung und Behauptung von Straßburg, Tief und gramvoll war
die Entrüstung der Deutschen. Sogar der Kurfürst von Mainz rief aus:
"Oestreich ist nicht mehr fähig, das Reich zu schirmen; man muß sich einen
anderen Kaiser wählen!" Aber es geschah nichts derart; selbst ein Mann
wie Leibnitz wußte nichts besseres vorzuschlagen, als ein "^eoommoäömont
Äveo ig. ^ranee^. Und wirklich lagen in diesem Augenblicke die europäischen
Verhältnisse so ungünstig, daß Widerstand kaum möglich war. Konnte man
sich wundern, wenn Ludwig fortfuhr mit seinen Reunionen?! 1684 nahm er
Luxemburg und Trier. Wohl weigerte sich das Reich, das Geschehene anzu¬
erkennen; Apathie und Verzweiflung dictirten jedoch einen 20 jährigen Waffen¬
stillstand. Schon 1688 indeß begehrte Frankreich die Verwandlung dieses
Provisoriums in einen festen Frieden, d. h. die rechtliche Anerkennung seiner
Neunionen, und es stellte diese Forderung in der unerhörtesten Form: es siel
ohne Kriegserklärung in Deutschland ein.

Der Dauphin führte das Heer, welchem die ungedeckte Rhein Pfalz
auf den ersten Anlauf in die Hände fiel. Bis tief in Schwaben und Franken
brandschatzten die plündernden Schaaren; ohne Widerstand fiel Mainz; durch
Verrath gingen die Festungen des Kölner Erzstifts über. Alle jene Plätze
zu behaupten war die französische Armee nicht stark genug, und dieser Um¬
stand wurde der Vorwand zu dem scheußlichsten Attentat, welches jemals
eine Nation an der andern verübt. Louvois war es, der den Gedanken


Grwzboten l. 1871. (Z2
Deutsche Jeldzüge gegen Frankreich.
Bon Max Jähns.
III.

Schon die nächste Zukunft bewies, wie recht der große Kurfürst hatte,
als er dem Frieden von Nymwegen so ernstlich widerstrebte; denn dieser
steigerte den Uebermuth Ludwigs XIV. in's Maßlose. Es schien wie empö¬
render Hohn gegen den Friedensvertrag, daß der französische König in Elsaß
und Lothringen jene berüchtigten Reunionskammern einsetzte, welche unter der
Maske juristischer Autorität ungemessene Annexionen vorbereiteten oder durch¬
führten, und der frechste Schlag in das Antlitz des deutschen Reichs war die
Ueberrumpelung und Behauptung von Straßburg, Tief und gramvoll war
die Entrüstung der Deutschen. Sogar der Kurfürst von Mainz rief aus:
„Oestreich ist nicht mehr fähig, das Reich zu schirmen; man muß sich einen
anderen Kaiser wählen!" Aber es geschah nichts derart; selbst ein Mann
wie Leibnitz wußte nichts besseres vorzuschlagen, als ein „^eoommoäömont
Äveo ig. ^ranee^. Und wirklich lagen in diesem Augenblicke die europäischen
Verhältnisse so ungünstig, daß Widerstand kaum möglich war. Konnte man
sich wundern, wenn Ludwig fortfuhr mit seinen Reunionen?! 1684 nahm er
Luxemburg und Trier. Wohl weigerte sich das Reich, das Geschehene anzu¬
erkennen; Apathie und Verzweiflung dictirten jedoch einen 20 jährigen Waffen¬
stillstand. Schon 1688 indeß begehrte Frankreich die Verwandlung dieses
Provisoriums in einen festen Frieden, d. h. die rechtliche Anerkennung seiner
Neunionen, und es stellte diese Forderung in der unerhörtesten Form: es siel
ohne Kriegserklärung in Deutschland ein.

Der Dauphin führte das Heer, welchem die ungedeckte Rhein Pfalz
auf den ersten Anlauf in die Hände fiel. Bis tief in Schwaben und Franken
brandschatzten die plündernden Schaaren; ohne Widerstand fiel Mainz; durch
Verrath gingen die Festungen des Kölner Erzstifts über. Alle jene Plätze
zu behaupten war die französische Armee nicht stark genug, und dieser Um¬
stand wurde der Vorwand zu dem scheußlichsten Attentat, welches jemals
eine Nation an der andern verübt. Louvois war es, der den Gedanken


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[0493] Deutsche Jeldzüge gegen Frankreich. Bon Max Jähns. III. Schon die nächste Zukunft bewies, wie recht der große Kurfürst hatte, als er dem Frieden von Nymwegen so ernstlich widerstrebte; denn dieser steigerte den Uebermuth Ludwigs XIV. in's Maßlose. Es schien wie empö¬ render Hohn gegen den Friedensvertrag, daß der französische König in Elsaß und Lothringen jene berüchtigten Reunionskammern einsetzte, welche unter der Maske juristischer Autorität ungemessene Annexionen vorbereiteten oder durch¬ führten, und der frechste Schlag in das Antlitz des deutschen Reichs war die Ueberrumpelung und Behauptung von Straßburg, Tief und gramvoll war die Entrüstung der Deutschen. Sogar der Kurfürst von Mainz rief aus: „Oestreich ist nicht mehr fähig, das Reich zu schirmen; man muß sich einen anderen Kaiser wählen!" Aber es geschah nichts derart; selbst ein Mann wie Leibnitz wußte nichts besseres vorzuschlagen, als ein „^eoommoäömont Äveo ig. ^ranee^. Und wirklich lagen in diesem Augenblicke die europäischen Verhältnisse so ungünstig, daß Widerstand kaum möglich war. Konnte man sich wundern, wenn Ludwig fortfuhr mit seinen Reunionen?! 1684 nahm er Luxemburg und Trier. Wohl weigerte sich das Reich, das Geschehene anzu¬ erkennen; Apathie und Verzweiflung dictirten jedoch einen 20 jährigen Waffen¬ stillstand. Schon 1688 indeß begehrte Frankreich die Verwandlung dieses Provisoriums in einen festen Frieden, d. h. die rechtliche Anerkennung seiner Neunionen, und es stellte diese Forderung in der unerhörtesten Form: es siel ohne Kriegserklärung in Deutschland ein. Der Dauphin führte das Heer, welchem die ungedeckte Rhein Pfalz auf den ersten Anlauf in die Hände fiel. Bis tief in Schwaben und Franken brandschatzten die plündernden Schaaren; ohne Widerstand fiel Mainz; durch Verrath gingen die Festungen des Kölner Erzstifts über. Alle jene Plätze zu behaupten war die französische Armee nicht stark genug, und dieser Um¬ stand wurde der Vorwand zu dem scheußlichsten Attentat, welches jemals eine Nation an der andern verübt. Louvois war es, der den Gedanken Grwzboten l. 1871. (Z2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/493>, abgerufen am 26.05.2024.