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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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klarsten Abmachungen der Präliminarien zuwiderlaufen. Dazu die in mei¬
nem vorigen Brief' erwähnte Weigerung, die erst nach dem Abschluß der Prä¬
liminarien als Prisen erklärten Handelsschiffe herauszugeben. Am S. Mai
hat sich nun Fürst Bismarck, auf Ersuchen der französischen Regierung, nach
Frankfurt a/M. begeben, um das in Brüssel stockende Geschäft der Friedens¬
verhandlungen durch eine persönliche Besprechung mit Jules Favre in gedeih¬
lichen Gang zu bringen. Es wird sich in Frankfurt wahrscheinlich um vier
Punkte vorzugsweise handeln. 1) Um die Ziehung der deutsch-lothringischen
Grenzlinie im Norden. Denn auch hier haben die'französischen Unterhändler
neue Anstünde erhoben. 2) Um das Verhältniß der Ostbahn, welche Frank¬
reich nicht als Privatgesellschaft behandeln lassen will. Deutscherseits will
man dieser Gesellschaft Kaufanträge hinsichtlich ihres auf deutschem Boden
belegenen Eigenthums machen, nötigenfalls dieselbe erpropriiren. Frankreich
^dagegen wünscht das Verhältniß der Ostbahn international geregelt zu sehen.
? 3) Um die Herausgabe der unrechtmäßig condemnirten Handelsschiffe. 4) Um
- den Zahlungsmodus der Kriegsentschädigung. Der letzte Punkt ist bei Wei¬
tem der wichtigste und schwierigste. Man hegt hier zwar eine günstige Mei¬
nung von dem guten Willen und der Einsicht des Herrn Favre. Aber die
französische Regierung bildet leider keine zuverlässige Einheit, weder durch die
Eintracht der Mitglieder, noch durch den durchgreifenden Einfluß Eines der¬
selben. Auch der Einfluß des Herrn Thiers, selbst wenn wir seines guten
Willens aufs Neue versichert wären, ist nicht überall ausreichend. Die ma¬
teriellen Bürgschaften werden daher ein Hauptgegenstand der deutschen Ob¬
sorge bleiben müssen. Dies macht die Aufgabe der Friedensverhandlungen
schwieriger als sie unter anderen Umständen wäre, gegenüber einer einheit¬
lichen und unangefochtenen, ihrer Stellung sicheren Regierung.

Der Argwohn, daß Herr Thiers den Pariser Aufstand benutzen wolle,
um die französische Waffenmacht zu reorganisiren und in Paris einen solchen
Theil derselben Stellung nehmen zu lassen, der es Frankreich gestatten könnte,
den schon angenommenen Friedensforderungen Deutschlands noch einmal
zu trotzen, darf nicht verschwiegen werden. Auch die Meinung hat ihre Ver¬
treter, daß einem solchen Plan des Herrn Thiers die Ermuthigung Englands
nicht fehle. Ohne den Grund solcher Vermuthungen edler zu untersuchen,
darf man der Zuversicht Ausdruck geben, daß solche Winkelzüge gegenüber
der deutschen Macht und der Entschlossenheit, die sie leitet, vergeblich bleiben
werden. Wir haben genug von Frankreich in Händen, um den Versuch, die
in Versailles eingegangenen Friedensbedingungen abzuschwächen, durch Re¬
pressalien zu strafen, welche den Nutzen des Unternehmens auch für franzö¬
sische Augen ganz und gar in Frage zu stellen geeignet sein würden.





Zwei Worte über die Erziehung unsrer Kinder.
I.

In dieser Zeit, welche Deutschland endlich wieder zu lange vergessenem
Glänze unter den Völkern emporsteigen sah, mag schon Vielen klar ge¬
worden sein, daß die Ursache unsrer Siege nicht lediglich in der Einigung


klarsten Abmachungen der Präliminarien zuwiderlaufen. Dazu die in mei¬
nem vorigen Brief' erwähnte Weigerung, die erst nach dem Abschluß der Prä¬
liminarien als Prisen erklärten Handelsschiffe herauszugeben. Am S. Mai
hat sich nun Fürst Bismarck, auf Ersuchen der französischen Regierung, nach
Frankfurt a/M. begeben, um das in Brüssel stockende Geschäft der Friedens¬
verhandlungen durch eine persönliche Besprechung mit Jules Favre in gedeih¬
lichen Gang zu bringen. Es wird sich in Frankfurt wahrscheinlich um vier
Punkte vorzugsweise handeln. 1) Um die Ziehung der deutsch-lothringischen
Grenzlinie im Norden. Denn auch hier haben die'französischen Unterhändler
neue Anstünde erhoben. 2) Um das Verhältniß der Ostbahn, welche Frank¬
reich nicht als Privatgesellschaft behandeln lassen will. Deutscherseits will
man dieser Gesellschaft Kaufanträge hinsichtlich ihres auf deutschem Boden
belegenen Eigenthums machen, nötigenfalls dieselbe erpropriiren. Frankreich
^dagegen wünscht das Verhältniß der Ostbahn international geregelt zu sehen.
? 3) Um die Herausgabe der unrechtmäßig condemnirten Handelsschiffe. 4) Um
- den Zahlungsmodus der Kriegsentschädigung. Der letzte Punkt ist bei Wei¬
tem der wichtigste und schwierigste. Man hegt hier zwar eine günstige Mei¬
nung von dem guten Willen und der Einsicht des Herrn Favre. Aber die
französische Regierung bildet leider keine zuverlässige Einheit, weder durch die
Eintracht der Mitglieder, noch durch den durchgreifenden Einfluß Eines der¬
selben. Auch der Einfluß des Herrn Thiers, selbst wenn wir seines guten
Willens aufs Neue versichert wären, ist nicht überall ausreichend. Die ma¬
teriellen Bürgschaften werden daher ein Hauptgegenstand der deutschen Ob¬
sorge bleiben müssen. Dies macht die Aufgabe der Friedensverhandlungen
schwieriger als sie unter anderen Umständen wäre, gegenüber einer einheit¬
lichen und unangefochtenen, ihrer Stellung sicheren Regierung.

Der Argwohn, daß Herr Thiers den Pariser Aufstand benutzen wolle,
um die französische Waffenmacht zu reorganisiren und in Paris einen solchen
Theil derselben Stellung nehmen zu lassen, der es Frankreich gestatten könnte,
den schon angenommenen Friedensforderungen Deutschlands noch einmal
zu trotzen, darf nicht verschwiegen werden. Auch die Meinung hat ihre Ver¬
treter, daß einem solchen Plan des Herrn Thiers die Ermuthigung Englands
nicht fehle. Ohne den Grund solcher Vermuthungen edler zu untersuchen,
darf man der Zuversicht Ausdruck geben, daß solche Winkelzüge gegenüber
der deutschen Macht und der Entschlossenheit, die sie leitet, vergeblich bleiben
werden. Wir haben genug von Frankreich in Händen, um den Versuch, die
in Versailles eingegangenen Friedensbedingungen abzuschwächen, durch Re¬
pressalien zu strafen, welche den Nutzen des Unternehmens auch für franzö¬
sische Augen ganz und gar in Frage zu stellen geeignet sein würden.





Zwei Worte über die Erziehung unsrer Kinder.
I.

In dieser Zeit, welche Deutschland endlich wieder zu lange vergessenem
Glänze unter den Völkern emporsteigen sah, mag schon Vielen klar ge¬
worden sein, daß die Ursache unsrer Siege nicht lediglich in der Einigung


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[0285] klarsten Abmachungen der Präliminarien zuwiderlaufen. Dazu die in mei¬ nem vorigen Brief' erwähnte Weigerung, die erst nach dem Abschluß der Prä¬ liminarien als Prisen erklärten Handelsschiffe herauszugeben. Am S. Mai hat sich nun Fürst Bismarck, auf Ersuchen der französischen Regierung, nach Frankfurt a/M. begeben, um das in Brüssel stockende Geschäft der Friedens¬ verhandlungen durch eine persönliche Besprechung mit Jules Favre in gedeih¬ lichen Gang zu bringen. Es wird sich in Frankfurt wahrscheinlich um vier Punkte vorzugsweise handeln. 1) Um die Ziehung der deutsch-lothringischen Grenzlinie im Norden. Denn auch hier haben die'französischen Unterhändler neue Anstünde erhoben. 2) Um das Verhältniß der Ostbahn, welche Frank¬ reich nicht als Privatgesellschaft behandeln lassen will. Deutscherseits will man dieser Gesellschaft Kaufanträge hinsichtlich ihres auf deutschem Boden belegenen Eigenthums machen, nötigenfalls dieselbe erpropriiren. Frankreich ^dagegen wünscht das Verhältniß der Ostbahn international geregelt zu sehen. ? 3) Um die Herausgabe der unrechtmäßig condemnirten Handelsschiffe. 4) Um - den Zahlungsmodus der Kriegsentschädigung. Der letzte Punkt ist bei Wei¬ tem der wichtigste und schwierigste. Man hegt hier zwar eine günstige Mei¬ nung von dem guten Willen und der Einsicht des Herrn Favre. Aber die französische Regierung bildet leider keine zuverlässige Einheit, weder durch die Eintracht der Mitglieder, noch durch den durchgreifenden Einfluß Eines der¬ selben. Auch der Einfluß des Herrn Thiers, selbst wenn wir seines guten Willens aufs Neue versichert wären, ist nicht überall ausreichend. Die ma¬ teriellen Bürgschaften werden daher ein Hauptgegenstand der deutschen Ob¬ sorge bleiben müssen. Dies macht die Aufgabe der Friedensverhandlungen schwieriger als sie unter anderen Umständen wäre, gegenüber einer einheit¬ lichen und unangefochtenen, ihrer Stellung sicheren Regierung. Der Argwohn, daß Herr Thiers den Pariser Aufstand benutzen wolle, um die französische Waffenmacht zu reorganisiren und in Paris einen solchen Theil derselben Stellung nehmen zu lassen, der es Frankreich gestatten könnte, den schon angenommenen Friedensforderungen Deutschlands noch einmal zu trotzen, darf nicht verschwiegen werden. Auch die Meinung hat ihre Ver¬ treter, daß einem solchen Plan des Herrn Thiers die Ermuthigung Englands nicht fehle. Ohne den Grund solcher Vermuthungen edler zu untersuchen, darf man der Zuversicht Ausdruck geben, daß solche Winkelzüge gegenüber der deutschen Macht und der Entschlossenheit, die sie leitet, vergeblich bleiben werden. Wir haben genug von Frankreich in Händen, um den Versuch, die in Versailles eingegangenen Friedensbedingungen abzuschwächen, durch Re¬ pressalien zu strafen, welche den Nutzen des Unternehmens auch für franzö¬ sische Augen ganz und gar in Frage zu stellen geeignet sein würden. Zwei Worte über die Erziehung unsrer Kinder. I. In dieser Zeit, welche Deutschland endlich wieder zu lange vergessenem Glänze unter den Völkern emporsteigen sah, mag schon Vielen klar ge¬ worden sein, daß die Ursache unsrer Siege nicht lediglich in der Einigung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/285>, abgerufen am 16.06.2024.